Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), spricht von einer Krankheit, die „sich schnell über neue Übertragungswege auf der ganzen Welt ausgebreitet hat“ und „über die wir zu wenig wissen“. Klingt nach dem Coronavirus? Gemeint sind in diesem Fall die Affenpocken – die nun seit einigen Tagen offiziell eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ sind. Über 16.000 Fälle in 75 Ländern und Territorien wurden inzwischen weltweit gemeldet (Stand: 22.07.2022). Die WHO schätzt das Risiko global gesehen als „moderat“ ein – in Europa als „hoch“. Allein in Deutschland sind insgesamt 2.410 Fälle aus allen 16 Bundesländern an das Robert Koch-Institut (RKI) übermittelt worden (Stand: 26.07.2022).
„Affenpocken sind eine seltene, vermutlich vor allem von Nagetieren auf den Menschen übertragene Viruserkrankung“, erklärt das RKI. Ausgelöst werden sie durch „Orthopoxvirus simiae“ – auch „Monkeypox virus” (MPXV) genannt. Dieses Virus ist in West- und Zentralafrika bei Nagetieren verbreitet.
„Seit Mai 2022 werden in verschiedenen Ländern außerhalb Afrikas Fälle von Affenpocken registriert, darunter auch in Deutschland. Das Besondere an diesen Fällen ist, dass die Betroffenen zuvor nicht – wie sonst bei Erkrankungsfällen in der Vergangenheit – in afrikanische Länder gereist waren, in denen das Virus endemisch ist, und dass viele Übertragungen offenbar im Rahmen von sexuellen Aktivitäten erfolgt sind.“ Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist laut RKI „nur bei engem Kontakt möglich“ – wenn eine Person zum Beispiel mit Körperflüssigkeiten und „den typischen Hautveränderungen“ von Infizierten oder mit kontaminierten Gegenständen wie Kleidung in Berührung kommt. Eine Ansteckung kann allerdings „bereits beim Auftreten unspezifischer Symptome“ wie Fieber über den „Face-to-Face-Kontakt durch ausgeschiedene Atemwegssekrete“ in Tröpfchen-Form passieren. Insgesamt gilt die Übertragbarkeit aber als „eher beschränkt“: Über Aerosole – wie bei SARS-CoV-2 – breitet sich das Virus nach aktuellem Kenntnisstand wahrscheinlich eher nicht aus.
Affenpocken: Todesfälle möglich
„Die Erkrankung wird häufig – aber nicht immer – von allgemeinen Krankheitssymptomen wie Fieber, Kopf-, Muskel- und Rückenschmerzen, geschwollene Lymphknoten, Frösteln oder Abgeschlagenheit eingeleitet oder begleitet“, so das RKI. „Charakteristisch sind die teils sehr schmerzhaften Hautveränderungen, welche die Stadien vom Fleck bis zur Pustel […] durchlaufen und letztlich verkrusten und abfallen.“ Der Ausschlag betrifft vor allem Gesicht, Handflächen und Fußsohlen – kann aber auch an Stellen wie dem Anus, im Rektum oder an den Genitalien auftreten. In der Regel hält das „zwischen zwei und vier Wochen an“ und heilt „ohne Behandlung von selbst ab, wobei es allerdings zu Narbenbildung kommen kann.“
In manchen Fällen sind jedoch schwere Verläufe möglich: Die WHO zählt beim aktuellen Ausbruch bislang fünf Todesfälle. Eine bakterielle Superinfektion der Hautveränderungen kann Komplikationen wie Hirnentzündung, Hautinfektionen oder Lungenentzündung zur Folge haben. Die Therapie von Affenpocken „ist in erster Linie symptomatisch und unterstützend“. Zudem ist ein „zur Behandlung von Orthopockenvirus-Infektionen entwickeltes Arzneimittel […] in der EU auch zur Behandlung der Affenpocken zugelassen“, heißt es beim RKI.
Affenpocken: Jede:r kann sich infizieren
„Jeder, der engen körperlichen Kontakt mit einer ansteckenden Person hat, kann sich infizieren“, betonen die RKI-Expert:innen. Aktuell sind vor allem Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) (s. WHO) betroffen. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) stuft die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Ausbreitung der Affenpockenviren insbesondere bei Personen mit mehreren Sexualpartner:innen als hoch ein.
Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus hält die Affenpocken-Verbreitung bislang für einen „Ausbruch, der mit den richtigen Strategien […] gestoppt werden kann“. Das Ausrufen der „gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite“ soll in erster Linie die Aufmerksamkeit der Mitgliedsländer erhöhen; über etwaige Maßnahmen entscheiden die Regierungen selbst.
Generell gilt: Eine ungewöhnliche Hautveränderung sollte ärztlich abgeklärt, enger Haut-zu-Haut-Kontakt mit anderen Menschen bis dahin möglichst vermieden werden. Das RKI und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) haben einen gemeinsamen Flyer mit weiteren Infos herausgegeben. Sie erklären darin zum Beispiel, was zu tun ist, wenn man selbst oder ein:e Partner:in erkrankt ist. Dazu zählen unter anderem folgende Punkte:
- Händehygiene: „Waschen Sie Ihre Hände mit Seife und Wasser.“
- Isolation: „Bleiben Sie in Isolation und vermeiden Sie engen Körperkontakt, bis Schorf und Krusten vollständig abheilen bzw. abfallen und keine neuen Läsionen auftreten – jedoch mindestens für 21 Tage.“
- Aufmerksamkeit: „Achten Sie auf Symptome und kontrollieren Sie regelmäßig Ihre Haut – auch an Stellen, die selbst nicht so einfach einsehbar sind.“
- Information: „Informieren Sie die Personen, mit denen Sie seit Symptombeginn engen Körperkontakt hatten, dass ein Infektionsrisiko vorliegen könnte.“
RKI und BZgA weisen zudem drauf hin, dass „nach dem Kontakt mit einer Affenpocken-infizierten Person“ eine „rasche Impfung“ – bestenfalls innerhalb von vier Tagen – das Erkrankungsrisiko verringern kann.
Impfen gegen (Affen-)Pocken
Am besten schützt die Vakzine allerdings, wenn sie vorbeugend gegeben wird. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt sie „Personen mit einem erhöhten Expositions- und Infektionsrisiko“. Derzeit seien das unter anderem Männer ab 18 Jahren, „die Sex mit Männern haben (MSM) und dabei häufig die Partner wechseln.“ Solange der Impfstoff begrenzt ist, sollen „Personen mit einer erhöhten Gefahr für einen schweren Verlauf (z.B. Personen mit Immundefizienz) bevorzugt geimpft werden“ (siehe RKI). 40.000 Dosen hatte das Bundesministerium für Gesundheit im ersten Schwung beschafft – weitere Lieferungen sind vorgesehen.
Bei dem Impfstoff handelt es sich um eine Vakzine, die seit 2013 gegen (Menschen-)Pocken in Deutschland zugelassen ist. Sie schützt nach vorliegenden Studiendaten und aufgrund des hohen Verwandtschaftsgrades der Viren auch vor einer Affenpockeninfektion. Die EU-Kommission hat die Zulassung daher entsprechend erweitert.
Die (Menschen-)Pocken gelten seit 1980 übrigens als weltweit ausgerottet – eine allgemeine Impfempfehlung gibt es nicht mehr. Bis in die 1970/1980er war die Pockenimpfung aber eine „Pflichtimpfung in Deutschland“, so das RKI. „Man geht davon aus, dass Personen, die in der Vergangenheit gegen Pocken geimpft wurden, […] auch einen Schutz gegen Affenpocken aufweisen. Trotz der mit der Zeit nachlassenden Wirkung der Pockenimpfung, schätzt man auf der Basis von Studienergebnissen, dass eine vorangegangene Pockenimpfung einen Schutz von 85 % gegenüber Affenpocken vermittelt. Vor schweren Krankheitsverläufen ist man noch besser geschützt.“ Anders gesagt: Eine Vakzine, die vor mehreren Jahrzehnten gegeben wurde, kann heute einen Beitrag zur Eindämmung eines neuartigen Krankheitsausbruchs leisten.
Affenpocken jetzt eindämmen
Das RKI ist optimistisch: „Es scheint weiterhin möglich, den aktuellen Ausbruch in Deutschland zu begrenzen“. Die Voraussetzung: Infektionen werden rechtzeitig erkannt, Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt. „Informationen zu Symptomen, Übertragungswegen und Schutzmöglichkeiten (u.a. auch die Möglichkeit einer Impfung) sind daher essentiell.“ Ärzt:innen sollten bei entsprechenden Hautveränderungen die Affenpocken im Hinterkopf haben.
„Eine Gefährdung für die Gesundheit der breiten Bevölkerung“ schätzt das RKI aktuell als gering ein. Die Situation werde aber „sehr genau“ beobachtet. „Eine weitere Verbreitung der Affenpocken sollte jetzt so gut wie möglich verhindert werden – einerseits, um Krankheitsfälle und ggf. auch schwere Verläufe in der aktuellen Situation zu vermeiden, andererseits, um zu verhindern, dass sich Affenpocken als Infektionskrankheit in Deutschland etablieren.“ Denn dann „wäre mittelfristig auch mit Fällen in besonders gefährdeten Gruppen (Schwangere, Kinder, Immunsupprimierte, ältere Menschen) zu rechnen. Außerdem besteht immer ein gewisses Risiko, dass sich das Virus verändert und möglicherweise auch krankmachender werden könnte.“ Das zeigt: Das Virus geht alle Menschen in der Gesellschaft gleichermaßen an. Denn infizieren kann sich jede:r.
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