Um die Kräfte gegen den Krebs zu bündeln, wurde die Nationale Dekade gegen Krebs gegründet, die viele Pharmaunternehmen unterstützen. Ein Gespräch mit Dr. Katrin Dreßler von Bayer Vital über das Warum. Foto: ©iStock.com/howtogoto
Um die Kräfte gegen den Krebs zu bündeln, wurde die Nationale Dekade gegen Krebs gegründet, die viele Pharmaunternehmen unterstützen. Ein Gespräch mit Dr. Katrin Dreßler von Bayer Vital über das Warum. Foto: ©iStock.com/howtogoto

Arzneimittel: Wenn neue Therapien auf alte Regeln treffen

Der Fortschritt ist rasant: Gerade in der Onkologie jagt eine Innovation die nächste. Gen-, Zell- und Immuntherapien sind ein Segen für kranke Menschen, aber auch eine große Herausforderung für das Gesundheitssystem. Um die Kräfte gegen den Krebs zu bündeln, wurde 2019 die Nationale Dekade gegen Krebs (NDK) gegründet. Auch viele forschende Pharmaunternehmen unterstützen sie. Ein Gespräch mit Dr. Katrin Dreßler von Bayer Vital über das Warum.

Frau Dr. Dreßler, Sie koordinieren bei der LAWG* – einer Vereinigung global aufgestellter, forschender Pharmaunternehmen – innerhalb der Politikgruppe Onkologie eine eigene Arbeitsgruppe zur NDK. Wie wichtig ist die Nationale Dekade gegen Krebs, um bei der Krebsbekämpfung voranzukommen?

Krebsbekämpfung
Krebs: Immun- und Zelltherapie hat ein neues Kapitel aufgeschlagen. Foto: ©iStock.com/peterschreiber.media

Dr. Katrin Dreßler: Die NDK ist sehr wichtig. Sie wurde vor fast 5 Jahren durch das Forschungs- und das Gesundheitsministerium gegründet, um beim Thema Krebs die Kräfte zu bündeln – das ist der Leitgedanke. Viele Pharmaunternehmen sind dabei und Bayer war davon überzeugt und einer der ersten Unterstützer aus unserer Branche. Krebs ist ja nicht nur eine Krankheit, es sind sehr viele. Krebs ist ein hochkomplexes Geschehen, das über die ganze Breite der Gesundheitsversorgung gedacht werden muss. Außerdem erleben wir gerade in der Onkologie unglaubliche Fortschritte: Die Immun- und Zelltherapie hat ein neues Kapitel aufgeschlagen. Außerdem wissen wir, dass wir fast jeden zweiten oder dritten Krebsfall vermeiden könnten, wenn wir die uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Prävention konsequent umsetzen würden. Deshalb müssen alle an einen Tisch – und genau das macht die NDK. Was mir besonders gefällt: Die NDK hat die Maxime ausgegeben, dass die Forschung konsequent auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten auszurichten ist. Es ist genau das, was wir in unseren Unternehmen tun: Wir wollen mit unserer Forschung schwerkranken Menschen Lebensperspektiven und Lebensqualität ermöglichen.

Viele forschende Pharmaunternehmen sind Unterstützer der NDK. Was ist das Ziel?

Dreßler: Krebsforschung ist einer der Schwerpunkte der forschenden Pharma-Industrie. Rund jedes dritte Arzneimittel, das bei uns im Jahr neu zugelassen wird, richtet sich gegen eine Krebserkrankung. Das ist gut so; Krebs ist in Deutschland noch die zweithäufigste Todesursache. Aber Tumore zu behandeln ist mehr, als „nur“ neue Therapien zu entwickeln. Ein Beispiel: Medikamente, die sich gegen eine bestimmte genetische Mutation richten, können nur wirkungsvoll eingesetzt werden, wenn es entsprechende Testungen gibt. Das bedeutet: Wir müssen gleichzeitig die Möglichkeit schaffen, dass solche Testungen flächendeckend verfügbar sind. Wir setzen uns zudem dafür ein, dass die Ergebnisse aus der Krebsforschung schneller in die flächendeckende Versorgung kommen. Schließlich können die Patientinnen und Patienten nur dann von Innovationen profitieren. Mit Zell- und Gentherapien, zum Beispiel, gehen wir über symptomatische Behandlungen hinaus, die das Potenzial haben, Krankheiten umzukehren. Basierend auf dem, was die Branche und das breitere Gesundheitsökosystem bereits erreicht haben, halten wir die Zukunft dieser Spitzentechnologien für sehr spannend.

Innovationsboom
Innovationsboom in der Onkologie. Foto: ©iStock.com/howtogoto

Wie können die Unternehmen die Dekade unterstützen?

Dreßler: Wir sind aufgefordert worden, uns dazu Gedanken zu machen, wie wir die Ziele der Dekade unterstützen können und wir sind auch gefragt worden, was unsere Erwartungen sind und mit welchem Beitrag wir diese Plattform konkret unterstützen können. Insofern versteht sich unsere Gruppe als eine Art „NDK-Industrieforum“, als Impulsgeber und potenzieller Dialogpartner gegenüber dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Können Sie das konkretisieren?

Dreßler: Wir haben einen regelrechten Innovationsboom in der Onkologie – und der hat Folgen: Therapiestandards, also die Art und Weise, wie wir eine Krebserkrankung am besten behandeln, ändern sich ständig und innerhalb weniger Monate. Neue Therapien treffen auf alte Regeln; etwa, wie der Nutzen einer Therapie bewertet wird. Oder wie Therapien ans Krankenbett kommen, weil die neuen Gentherapien nur in extra dafür zertifizierten Zentren verabreicht werden können. An Bedeutung gewinnt auch die Frage nach den Versorgungsdaten, den so genannten Real World-Daten, mit denen eine viel bessere, weil zielgerichtete und am Patientenwohl orientierte Medizin möglich ist. Ich will sagen: Hochinnovative Therapien sind heute als eine Herausforderung für das Gesundheitssystem zu betrachten. Als Forum versuchen wir, mögliche Versorgungshürden zu identifizieren und Vorschläge zu unterbreiten, damit wir diese Herausforderungen in Chancen umwandeln. So haben wir erst vor Kurzem zu einem parlamentarischen Frühstück geladen, um die Themen mit politischen Entscheidungsträgern, insbesondere auch aus dem BMBF, zu diskutieren.

Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Probleme?

Dreßler: Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass sich die Rahmenbedingungen, um Arzneimittelinnovationen in die Versorgung zu bringen, in Deutschland insbesondere seit vergangenem Jahr verschlechtert haben. Da ist nicht nur das umstrittene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, das gerade auch durch seine neuen Rabatt- und Preisverhandlungsregeln einen innovationsfeindlichen Charakter zeigt. Hinzu kommt, dass das AMNOG zur Bewertung des Zusatznutzens neuer Therapien eine Reform braucht, um mit der medizinischen Entwicklung mithalten zu können. Neue Behandlungsformen, die zunehmend patientenindividuell sind, stellen für die Versorgungslandschaft, wie wir sie kennen, große Herausforderungen dar.

Patient:in im Mittelpunkt
Herausforderung: Patientenindividuelle Behandlungsformen. Foto: ©iStock.com/PeopleImages

Es ist fast Halbzeit bei der NDK. Was erwarten Sie sich von der Dekade in den nächsten 5 Jahren?

Dreßler: 13 Pharmaunternehmen sowie der Verband forschender Pharmaunternehmen (vfa) unterstützen die Dekade; das ist sehr viel Forschungspower und – wenn Sie so wollen – eine große „Ideenschmiede“ zur Generierung von Wissen. Wissen ist nun mal die Voraussetzung dafür, dass wir im Kampf gegen Krebs besser werden können. Insofern möchten wir uns als forschende Unternehmen noch mehr einbringen: Wir wünschen uns eine intensivere Zusammenarbeit mit den Akteuren und den Gremien der NDK. Auch bei der Translation können wir besser werden.

Was meinen Sie damit?

Dreßler: Arzneimittelinnovationen entstehen und erreichen letztlich den Patienten in enger Kooperation zwischen Forschungseinrichtungen, Behandlungszentren und forschender Industrie. Durch dieses Netzwerk ist es möglich, dass Krankheiten erforscht und neue Therapien und Gesundheitslösungen entwickelt werden. Wir müssen schneller werden bei der Übertragung von Forschungserkenntnissen in die Versorgung. Deutschland verliert international gerade den Anschluss bei klinischen Studien; diesen Trend müssen wir wieder umkehren. Nur dann ist Translation wirklich möglich. Insgesamt glaube ich, dass die NDK dann am erfolgreichsten ist, wenn es uns gelingt, Forschungs- und Gesundheitspolitik gemeinsam zu denken und umzusetzen. Insofern braucht die Dekade auch mehr Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft und wir würden es begrüßen, wenn auch der Beitrag der forschenden Pharmaindustrie in der NDK stärker zum Ausdruck kommen würde.

Weiterführende Links:
Nationale Dekade gegen Krebs
LAWG Deutschland e.V.

 

*Der LAWG Deutschland e.V. ist ein Verein, dem 17 weltweit agierende, forschungsorientierte Arzneimittelunternehmen angehören. Der Verein setzt sich für die Förderung Deutschlands als Standort für Forschung und Entwicklung, Produktion sowie Vermarktung pharmazeutischer Produkte ein und will – in Zusammenarbeit mit allen Akteuren des Gesundheitswesens – dazu beitragen, dass eine bestmögliche Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Arzneimittelinnovationen in Deutschland sichergestellt werden kann.

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