Die deutsche Arzneimittelforschung ist Weltspitze, trotzdem verliert der Wissenschaftsstandort an Bedeutung. Die Probleme sind hausgemacht. Ein Kommentar von Florian Martius. Foto: ©iStock.com/Ojimorena
Die deutsche Arzneimittelforschung ist Weltspitze, trotzdem verliert der Wissenschaftsstandort an Bedeutung. Die Probleme sind hausgemacht. Ein Kommentar von Florian Martius. Foto: ©iStock.com/Ojimorena

Arzneimittel: Der Gesetzgeber als Innovationsverhinderungsmaschine

Die deutsche medizinisch-wissenschaftliche Forschungslandschaft ist Weltspitze. In Kliniken und Universitäten, in Forschungsinstituten und Unternehmen arbeiten Menschen von Weltruf. Biotechnologie made in Germany? Ein Gütesiegel. Und die andere Seite? Die Umsetzung von medizinischer Innovation in die Praxis verläuft schleppend, als Standort für klinische Studien verlieren wir an Bedeutung. Und auch die Tatsache, dass neue Arzneimittel ständig als „zu teuer“ an die Wand geredet werden, hilft nicht. Im Gegenteil. Ein Kommentar von Florian Martius.
Florian Martius, Chefredakteur Pharma Fakten
Florian Martius, Chefredakteur ©Pharma Fakten.

Janus heißt er, gehört zu den ältesten römischen Göttern und wird immer mit 2 Köpfen dargestellt; ein fast vergessener Gott, obwohl der Januar nach ihm benannt ist. Der arme Kerl wurde über die Jahre zum Symbol von Zwiespalt, von Ambivalenz, von Doppeldeutigkeit. Janusköpfig ist ein Mensch mit 2 Gesichtern –das ist nicht unbedingt positiv besetzt.

Janusköpfig ist in Deutschland die Haltung zur medizinischen Spitzenforschung. Auf der einen Seite ist der Stolz, was man alles kann; die Pandemie hat ins Rampenlicht geholt, was im Land tagtäglich passiert: Forscher:innen an Universitäten und Unternehmen arbeiten daran, für schwer kranke Menschen Therapien zu entwickeln, die ihnen Leben schenken – und Lebensqualität. Eine CAR-T-Zelltherapie gegen die Autoimmunerkrankung Lupus? Erlangen. Der erste Impfstoff auf mRNA-Basis? Mainz. Der erste Test, um Sars-CoV-2 zu identifizieren? Berlin. Die Grundlagen zur Entwicklung des ersten Medikaments gegen Hepatitis D? Heidelberg. Deutschland kann Biotechnologie. Deutschland kann medizinische Spitzenforschung. Wie cool ist das denn?

GKV-FinStG: innovationfeindlich und schlecht gemacht

Das 2. Gesicht des Janus? Seit Beginn des Jahres steigt die Zahl von Arzneimittelinnovationen, die entweder aus den Apotheken wieder verschwinden oder gar nicht erst dort landen. Der Grund? Das so genannte GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (schon der Name: falsch), das in bisher nicht dagewesener Weise die Voraussetzungen verändert hat, wie neuartige Arzneimittel bewertet und von der GKV erstattet werden. Dabei wurde die „bestechende Logik“ (O-Ton Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem), „dass teurer sein darf, was auch besser ist“, mal eben über Bord geworfen. Das Gesetz ist innovationsfeindlich, es ist schlecht für das Land und seine Menschen und es ist sehr schlecht gemacht. Geschaffen wurde ein Bürokratiemonstrum, dessen Umsetzung in Teilen auch 1 Jahr später nicht funktioniert. Teile der Berliner Ampel sind wegen des Gesetzes längst in einer tief sitzenden Bereu-Phase.

Janus: Römischer Gott des Zwiespalts
Janus: Römischer Gott des Zwiespalts. Foto: ©iStock.com/Ojimorena

Dabei war das AMNOG-System, nach dem pharmazeutische Neuheiten bewertet und erstattet werden, schon vor diesem GKV-FinStG hochgradig reparaturbedürftig. Mit seiner starren Methodik wird es dem rasanten medizinischen Fortschritt nicht mehr gerecht; soll heißen: Die angewandten Methoden und Formalismen schaffen es immer weniger, den Fortschritt für die Patient:innen zu erkennen. Das führte in diesem Sommer zu dem absurden Beschluss, dass einem Arzneimittel gegen eine seltene Hauterkrankung „kein Zusatznutzen“ bescheinigt wurde. Ganz anders die Bewertung von Mediziner:innen: Dermatologe Professor Stephan Grabbe schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.), dass das Präparat dazu führt, dass „beim überwiegenden Teil der Behandelten die potentiell lebensbedrohliche Hautreaktion innerhalb von wenigen Tagen vollständig abheilt.“

Der Gesetzgeber als Innovationsverhinderungsmaschine

Das Medikament ist hierzulande nicht mehr erhältlich – eine Therapie, die von der US-Zulassungsbehörde FDA als „turning point for dermatologists“ bezeichnet wurde. Beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) – die Gralshüter des AMNOG 1.0 – ist man offensichtlich der Meinung, dass die Betroffenen eine solche Therapie nicht benötigen. Was es jetzt bräuchte, ist ein AMNOG 4.0. Mindestens. Oder ein „AMNOG 2025“, wie das der Pharmaverband vfa in seinem Reformpapier nennt.

Das ist längst kein Einzelfall mehr: 5 neu zugelassene Medikamente sind für Patient:innen als Folge des GKV-FinStG nicht verfügbar, darunter Arzneien gegen Krebsleiden und eines zur Behandlung von HIV. Professor Grabbe schreibt in der F.A.Z: „Deutschland gefährdet den Zugang zu Arzneimittelinnovationen.“ Nach Schätzungen könnten es in den kommenden 2 Jahren bis zu 30 Innovationen sein, die kranken Menschen hierzulande nicht zur Verfügung stehen, wie die Ärzte Zeitung schreibt. Der Gesetzgeber wird zur Innovationsverhinderungsmaschine. Ist das sein Job?

Dabei brauchen Innovationen ein Ökosystem, in dem sie gedeihen können – man muss sie schon haben wollen, diese neuen Therapien. Zu einem solchen Ökosystem gehören die regulatorischen Rahmenbedingungen, von denen das GKV-FinStG eines der Sorte „abschreckendes Beispiel“ ist. Es braucht ein öffentliches Klima, das Innovationen nicht nur als Kostenfaktor versteht. 

Arzneimittelinnovationen kosten Geld

Arzneimittelinnovationen kosten Geld
GKV-FinStG: Innovationsverhinderungsmaschine. Foto: ©iStock.com/NicoElNino

Arzneimittel = Kostenproblem – dieses Pferd reiten hierzulande sehr konsequent die Managements der Krankenkassen, wie jüngst Dr. Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse im Gesundheitsdienst Observer. Dort wird der Alptraum des finanziellen Zusammenbruchs der GKV (mal wieder) an die Wand gemalt und als Begründung „die extreme Preisentwicklung bei neuen Arzneimitteln“ herausgekramt. Das tun Kassenmanager:innen seit gefühlt 25 Jahren, ohne dass Armageddon je eingetreten ist. Aber warum fragt man auch die, die sie bezahlen müssen, was sie von Arzneimittelpreisen halten? Natürlich finden sie die zu teuer. Gehört quasi zum Job.

93 Prozent der ausgegebenen Gelder gibt die GKV nicht für Arzneimittelinnovationen aus. Seit vielen Jahren liegt der Anteil der Ausgaben der Krankenkassen für patentgeschützte, weil neu entwickelte Arzneimittel bei rund 7 Prozent der Gesamtausgaben (nach Abzug der Mehrwertsteuer und der Handelsmargen). Diese Zahl kennt auch Dr. Baas. Das dieser einstellige Kostenanteil die gesamten GKV-Finanzen in Schieflage bringen soll, ist wenig glaubhaft. Nur am Rande bemerkt: Inflationsbereinigt sinken die Arzneimittelausgaben der GKV derzeit sogar

Auch der schöne Begriff der „Fantasiepreise“ fehlt in dem Artikel nicht. Auf wessen Fantasie der TK-Manager anspielt, bleibt unklar. Nur – die des Pharmaunternehmens kann es nicht sein. Jeder Erstattungspreis, den die GKV nach Abschluss des AMNOG-Verfahrens an den Hersteller überweist, ist ein Verhandlungspreis zwischen ihm und dem Spitzenverband der GKV. Warum beschweren sich Kassenmanager:innen in Deutschland ständig über Arzneimittelpreise, die ihr Verband abgesegnet hat? Großes Fragezeichen.

Das GKV-System im Reformstau

Was in der gesundheitspolitischen Szene allgemein bekannt ist: Die Finanzprobleme der GKV sind in erster Linie struktureller Natur, deren Behebung seit vielen Jahren gekonnt auf die lange Bank geschoben wird. Das Drehen an der Preisschraube von Medikamenten wird und kann das Problem nicht im Ansatz lösen. Aber es fügt dem Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort schweren Schaden zu. Diese janusköpfige-Politik kann nicht gesund sein. Firmen investieren nicht, wenn Therapien nicht ausreichend erstattet werden. Wer möchte schon in einem Land forschen, das Innovation nicht wertschätzt?

Ein Mantra deutscher Gesundheitspolitik lautet: Es wird in der GKV-Versorgung keine Leistungskürzungen geben; das betont vor allem der amtierende Bundesgesundheitsminister gerne. Realität ist das nicht mehr, wenn in Europa zugelassene Arzneimittel in Deutschland nicht mehr verfügbar sind, weil der GKV die Kraft für Reformen fehlt.

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