Expert:innen diskutierten in Berlin darüber, wie sich die Gesundheitswirtschaft in der Hauptstadt und in Deutschland fit für die Zukunft machen kann. Foto: ©iStock.com/Ridofranz
Expert:innen diskutierten in Berlin darüber, wie sich die Gesundheitswirtschaft in der Hauptstadt und in Deutschland fit für die Zukunft machen kann. Foto: ©iStock.com/Ridofranz

Gesundheitswirtschaft als Zukunftsbranche

Um die Wettbewerbsfähigkeit der „Zukunftsbranche Gesundheitswirtschaft“ ging es beim siebten Fachforum zum Thema „Gesundheit“ im Verlagshaus des Berliner Tagesspiegels. Dabei wurde nicht nur diskutiert, sondern es gab auch konkrete Handlungs-Empfehlungen.

Es sind eindrucksvolle Zahlen, die beim „Fachforum Gesundheitswirtschaft“ des Berliner Tagesspiegels im Raum standen: Von 7,7 Millionen Mitarbeitenden in der gesamten Gesundheitswirtschaft berichtete etwa Pfizer Deutschland-Geschäftsführerin Dr. Sabine Gilliam. Und die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey erklärte: „Alleine in Berlin arbeiten über 400.000 Menschen im Gesundheitswesen.“ Sie seien ein Garant für das Wirtschaftswachstum der Stadt. Giffey verwies auf ein internationales Ranking, wonach Berlin zu den Top-Standorten in der Gesundheitswirtschaft zähle – weltweit liege die Stadt hinter Boston und London auf dem dritten Platz. 

Aber wird das auch so bleiben? Ist die Gesundheitswirtschaft in Berlin und Deutschland tatsächlich noch wettbewerbsfähig? Und was muss getan werden, um diese „Zukunftsbranche“ so aufzustellen, dass sie im internationalen Wettbewerb mithalten, vielleicht sogar ganz vorne liegen kann? In drei Diskussionsrunden des Fachforums kristallisierten sich fünf Themenfelder heraus, in denen es Handlungsbedarf gibt: 

Finanzierung des Gesundheitssystems

Finanzierung des Gesundheitssystems
In Deutschland gibt es 1.900 Krankenhäuser. Foto: CC0 (Stencil)

An Geld fehlt es an allen Ecken und Enden. Etwa in den Krankenhäusern. Die Berliner Kliniken werden nach Angaben von Oliver Heide, stellvertretender Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft, im kommenden Jahr ein Defizit einfahren, das zwischen 300 und 400 Millionen Euro liegt. Der Charité-Vorstandsvorsitzende Prof. Heyo K. Kroemer sagte klipp und klar: „Das deutsche Gesundheitssystem ist reformbedürftig. Wir haben in Deutschland 1.900 Krankenhäuser, darunter 500 Häuser mit weniger als 100 Betten – die meisten davon in Bayern, wo gerade garantiert wurde, kein einziges Haus zu schließen.“ Ein Krankenhaus mit 100 Betten könne aber niemals kostendeckend arbeiten. Kroemer plädierte deshalb für eine Reform, in der Fallpauschalen weitgehend durch „Vorhaltungsvergütungen“ ersetzt werden. Er verglich die Krankenhäuser mit der Feuerwehr: „Da fragt auch niemand, wie oft sie ausgerückt ist, sondern sie bekommt eine bestimmte Summe dafür, dass sie da ist.“ Kroemer warnte zudem: „Mit dem jetzigen System kommen wir nicht durch die nächsten zehn Jahre.“

Dramatisch sieht die Lage auch im pharmazeutischen Großhandel aus, der die 18.000 Apotheken in Deutschland täglich mit 4,6 Millionen Arzneimitteln und anderen medizinischen Produkten beliefert. Bundesverbands-Geschäftsführer Michael Dammann sprach von steigenden Kosten und davon, dass wir „in Deutschland die Kostendämpfungsspirale überdreht haben.“ Man könne von der pharmazeutischen Industrie nicht erwarten, ihre Produkte „zu Einstandspreisen auf den Markt zu bringen.“

Dr. Sabine Gilliam erklärte schließlich, sie wünsche sich „eine strukturelle und auch finanzielle Förderung von Forschungs-Kollaborationen und Public Private Partnership“ – wenn also Pharma-Unternehmen gemeinsam mit wissenschaftlichen Einrichtungen forschen und sich dabei auch staatliche Institutionen an der Finanzierung beteiligen.

Nachhaltigkeit und Umweltschutz

„Berlin muss das Uruguay Europas werden“, meinte Michael Zaske, Abteilungsleiter im brandenburgischen Gesundheitsministerium. Denn Uruguay sei weltweit das erste Land, in dem die Krankenhäuser komplett ohne fossile Energie auskommen. Berlin will bis 2045 klimaneutral sein. Doch damit das gelingen kann, müsse ein „Nachhaltigkeits-Booster für Krankenhäuser bereitgestellt werden, um sie zu sanieren“, so Dr. Johannes Danckert, Geschäftsführer der Vivantes-Kliniken. Und weiter: „Über 90 Prozent der Emissionen kommen aus Gebäudehüllen – die sind bei uns so oll und schlecht, dass man sich wundert, dass da Menschen immer noch einen hervorragenden Job machen.“

Demografie, Fachkräfte-Mangel und Prävention

Schon heute fehlen Fachkräfte in der Gesundheitsbranche. Wenn nicht gegengesteuert wird, dann wird sich dieser Trend fortsetzen. Prof. Heyo K. Kroemer mahnte, rasch zu handeln und sich dabei Singapur als Vorbild zu nehmen: „Das wird in 20 Jahren eines der ältesten Länder der Welt sein – aber sie denken schon heute darüber nach, wie sie das regeln können.“ Insbesondere gebe es dort eine Präventions-Initiative, die dazu beitrage, dass ältere Menschen weniger krank werden.

Digitalisierung

Digitalisierung
Digitalisierung vorantreiben. Foto: ©iStock.com/marchmeena29

Es war ein Abgeordneter der Berliner Linken, der die Sache mit der Digitalisierung auf den Punkt brachte: „Der Schatz, den wir mit Versorgungsdaten haben, ist unermesslich. Wir müssen das Gesundheitssystem verändern, aber das geht nur, wenn wir Daten haben“, so Tobias Schulze, Sprecher für Gesundheit, Wissenschaft und Forschung und Digitalisierung. Er forderte „offene Daten, mit denen Forschung gemacht wird“. Schulze weiter: „German Datenschutz ist an dieser Stelle ein bisschen fehl am Platz, denn es geht ja um anonyme und pseudonymisierte Daten.“ Wie wichtig es ist, die Digitalisierung voranzutreiben, machte Prof. Kroemer mit einem Vergleich deutlich: „Die großen Tech-Giganten gehen in den USA gezielt ins Gesundheitswesen rein. So eine Nummer haben wir schon einmal erlebt, in der Autoindustrie – wo wir auch dachten, wir wären die Weltbesten. Doch das meistverkaufte Auto der Welt ist heute kein deutsches mehr, sondern ein Tesla. Das gleiche kann uns in der digitalen Medizin passieren. Dann haben wir eine Teslarisierung, was dazu führt, dass wir die Wertschöpfung nicht mehr in der Hand hätten.“ Kroemer ging noch weiter: „Wir werden in kurzer Zeit einen Gesundheitscheck-GPT haben – bedauerlicherweise ohne deutsche Daten, weil wir die nicht verwenden dürfen.“ Dennoch sollten wir darüber nachdenken, „welche Teile der Medizin in den Bereich von Künstlicher Intelligenz fallen – und angesichts der Demografie vielleicht auch fallen müssen.“ Abschließend appellierte Kroemer: „Wir sollten uns da wirklich bewegen.“

Weniger Bürokratie, mehr Planbarkeit und Dialog

Weniger Bürokratie, mehr Planbarkeit und Dialog
Gesundheitswirtschaft: Beständiger Dialog und Austausch. Foto: ©iStock.com/Ridofranz

Weniger Bürokratie, mehr langfristige Planbarkeit, am besten über 10 Jahre hinweg – das wünscht sich Dr. Sabine Gilliam und mit ihr die gesamte Pharma-Industrie. Insbesondere „bei den Zulassungsverfahren für klinische Studien“ brauche es eine „schlankere Bürokratie.“ Zudem sei langfristige Planbarkeit sehr wichtig. Um das zu erreichen und um die Zukunftsbranche Gesundheitswirtschaft tatsächlich voranzubringen, sei ein beständiger Dialog und Austausch zwischen allen Akteuren des Gesundheitswesens notwendig. 

Wie das funktionieren könnte, das zeigte Agnes von Matuschka auf, die als Geschäftsführerin für den Potsdam Science Park zuständig ist. Auf einem 50 Hektar großen Areal haben sich dort wissenschaftliche Institute angesiedelt, aber auch 35 Unternehmen, darunter viele Start-ups. „Dort sind 800 internationale Wissenschaftler:innen vor Ort“, so Matuschka, „und junge Firmen haben die Möglichkeit, Labore zu mieten.“ Noch viel wichtiger aber sei der Austausch unter den 13.000 Menschen, die dort arbeiten – Wissenschaftler:innen, Studierende und Mitarbeitende von Unternehmen. „Miteinander reden, miteinander planen – darauf kommt es an“, fasste Tagesspiegel-Herausgeber und Moderator Stephan-Andreas Casdorff zusammen.

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