Im ersten Quartal 2023 sind die Ausgaben für Arzneimittel um 2,7 Prozent gestiegen – bei einer Inflation von rund 8 Prozent. Die Attacken gegen Arzneimittelpreise reißen trotzdem nicht ab. Foto: ©iStock.com/Dilok Klaisataporn
Im ersten Quartal 2023 sind die Ausgaben für Arzneimittel um 2,7 Prozent gestiegen – bei einer Inflation von rund 8 Prozent. Die Attacken gegen Arzneimittelpreise reißen trotzdem nicht ab. Foto: ©iStock.com/Dilok Klaisataporn

Arzneimittelausgaben der GKV: Real im Sinkflug

Im ersten Quartal 2023 sind die Ausgaben für Arzneimittel um 2,7 Prozent gestiegen – bei einer Inflation von rund 8 Prozent in den ersten 3 Monaten des Jahres ist das real ein deutliches Minus. Die gesamten Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) stiegen hingegen um 5,3 Prozent – fast doppelt so viel wie der Arzneimittelsektor. Die Attacken gegen die Preise von Arzneimitteln reißen trotzdem nicht ab.

Keine 3 Prozent: Das ist die Steigerungsquote für den gesamten Arzneimittelsektor im ersten Quartal des laufenden Jahres. Das sind die GKV-Ausgaben für die Medikamente selbst, die Mehrwertsteuer sowie die Ausgaben für den Medikamenten-Großhandel und Deutschlands Apotheken (die Arzneimitteldistribution). Zum Vergleich: Der Krankenhaussektor hat fast 8 Prozent mehr ausgegeben als im Vergleichszeitraum. Auch wenn die Zahlen des 1. Quartals immer mit Vorsicht zu genießen sind – einige Zahlen beruhen auf Schätzungen – so zeigt sich doch ein Trend. Vor allem, weil die Zahl der GKV-Versicherten wieder gestiegen ist – um 1,1 Prozent, was ungefähr 740.000 Menschen mit Versorgungsanspruch entspricht. Das geht aus den Zahlen hervor, die das Bundesgesundheitsministerium (BMG) Ende Juni veröffentlicht hat. Der Anteil der pharmazeutischen Industrie an den GKV-Arzneimittelausgaben liegt bei lediglich rund 10 bis 12 Prozent.

GKV-FinStG
GKV-FinStG: Unterdurchschnittlicher Anstieg bei den Arzneimittelausgaben. Foto: ©iStock.com/yavdat

Den unterdurchschnittlichen Anstieg bei den Arzneimittelausgaben begründet das BMG mit dem Inkrafttreten des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG). Das Gesetz hatte Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach mit einer vermeintlich hohen Dynamik bei den Arzneimittelausgaben begründet. Doch schon im vergangenen Jahr galt: Der Anstieg war mit 5,2 Prozent moderat. Der Apothekenverband ABDA schrieb dazu: „Somit bleibt der Kostenzuwachs der Krankenkassen nicht nur hinter den Rahmenvorgaben von GKV-Spitzenverband und Kassenärztlicher Bundesvereinigung in Höhe von 5,3 Prozent zurück, sondern auch hinter der allgemeinen Preisentwicklung. Das Statistische Bundesamt hatte die Inflationsrate für das Jahr 2022 in Deutschland zuletzt mit 7,9 Prozent angegeben.“ Der Sparbeitrag der Pharmaunternehmen durch das Festbetragssystem, die gesetzlichen Herstellerabschläge, die Rabattverträge oder das Zusatznutzenbewertungsinstrument AMNOG lag im Jahr 2022 bei rund 23 Milliarden Euro. Durch das GKV-FinStG wird diese Summe in diesem Jahr weiter steigen.

Pharma-Unternehmen: Nächste Runde Preisabschläge?

Trotzdem geht die Debatte um die Arzneimittelausgaben weiter: Der Chef der Techniker-Krankenkasse Jens Baas hatte jüngst im Handelsblatt einen Gewinndeckel für Pharmaunternehmen gefordert. Die Begründung: Die „teils obszönen Gewinne“ der Unternehmen. Sie zögen „auf eine Art und Weise Geld aus dem Gesundheitssystem, die gesellschaftlich nicht mehr akzeptabel ist.“ Die Aussage verwundert, denn sie unterstellt, dass Pharmaunternehmen die Preise von Arzneimitteln selbst festlegen – das gilt aber nur für die ersten 6 Monate nach Einführung und auch nur für Arzneimittelneuheiten. Dann greift ein komplexes Geflecht an Preisdämpfungsmaßnahmen. Herr Baas weiß: Seine Kasse zahlt nur den Preis, den sein Spitzenverband mit dem jeweiligen Pharmaunternehmen ausgehandelt hat – minus die gesetzlichen Rabatte und Abschläge. So ist es Gesetz in Deutschland.

Die Preisdebatte legt aber etwas anderes offen; sie ist Beleg für die Reformunfähigkeit des Systems. Im Arzneimittelsektor ist es mit ein paar Federstrichen; sprich: per Gesetz, möglich ein paar Milliarden „reinzuholen“ – ob das nun Sinn macht oder nicht. Dabei ist allen Beteiligten bewusst: Das GKV-System schiebt einen immensen Reformstau vor sich her, ist hochgradig ineffizient strukturiert, nutzt die Effizienzreserven, die allein in der Digitalisierung schlummern, fast gar nicht. Mit den vielen Milliarden, die die GKV in sich hineinsaugt, wird im Gesundheitswesen nicht besonders clever umgegangen. Es gibt „Über-, Unter- und Fehlversorgung“ (O-Ton FDP-Gesundheitspolitiker Professor Andrew Ullmann) – und alles davon ist teuer und sorgt am Ende für eine mittelmäßige Medizin. Aber notwendige Strukturreformen werden nicht umgesetzt, über Jahrzehnte (!) verzögert oder am Ende so verwässert, dass sie zumindest als „Reform“ nicht mehr taugen. 

Reformdebatte: Etwas fantasielos

Reformdebatte: Etwas fantasielos
Weniger Investitionen: Folgen erst in ein paar Jahren spürbar. Foto: ©iStock.com/Dilok Klaisataporn

Da kommen die Arzneimittelausgaben den „Gestaltern“ im System gerade recht –das Vorgehen ist seit Jahren dasselbe: Mit Begriffen wie „obszön“ wird eine gesamte Branche mit all ihren Mitarbeiter:innen diffamiert, um dann locker aus der Hüfte die nächste Sparidee in den öffentlichen Raum zu werfen. Das ist zumindest fantasielos, hat aber langfristige Auswirkungen: Denn wenn aufgrund weiterer eingeforderter milliardenschwerer Eurobeträge heute Investitionen zurückgefahren werden, sind die Folgen erst in ein paar Jahren spürbar – in Form von Arzneimittelinnovationen, die es nicht geben wird. Und in Form einer schlechteren Versorgung für Menschen mit Erkrankungen.

Nun ist es nicht so, dass es einen Mangel an Ideen geben würde. Das Beratungsunternehmen Vandage hat nachgezählt und kommt seit 1998 auf 413 Reformvorschläge, die sich, wenn man Redundanzen herausnimmt, immer noch auf 93 Einzelvorschläge summieren. Sie “umfassen neben direkt wirksamen Finanzierungsreformen auch übergeordnete strukturelle Vorhaben in den Themenbereichen Digitalisierung, Prävention, neue Versorgungsformen, Versorgungsstrukturen und Wettbewerb.” Die Vandage-Verantwortlichen finden: “Angesichts des breiten Spektrums potenzieller Lösungsansätze sollte sich die Diskussion über die Sicherstellung einer stabilen, verlässlichen und solidarischen Finanzierung der GKV nicht auf ausgabenseitige Maßnahmen beschränken.” Das Gutachten zeigt zudem, dass es durchaus Themen gibt, für die es schon jetzt einen breiten politischen Konsens gibt, die aber schlicht noch nicht realisiert wurden. Dazu zählt die Auslagerung bzw. Umfinanzierung versicherungsfremder Leistungen – wie etwa die Kosten für Bürgergeld-Empfänger:innen. Mit dem Projekt „Reformvorschläge zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung – eine Inventur“ will Vandage einen Beitrag zu einer konstruktiven Reformdebatte leisten und wird dabei von verschiedenen Pharmaverbänden und -unternehmen unterstützt.

Investitionen in die Zukunft? Der Bundeshaushalt schrumpft

Wo erklärter Reformwille der Ampel-Regierung auf die Realität trifft, zeigt sich beim Blick in den Bundeshaushalt 2024. Demnach sind für Gesundheit und Pflege 16,2 Milliarden Euro vorgesehen. Davon sind allein 14,5 Milliarden Euro als üblicher Zuschuss an die GKV gebunden. Der Anteil für Gesundheit und Pflege am Gesamthaushalt beläuft sich demnach auf 3,64 Prozent und soll in den kommenden Jahren weiter sinken.

Aus 2 Gründen ist das eine schlechte Nachricht:

  • Deutschland altert – die Ausgaben für Gesundheit und Pflege werden steigen. Der entsprechende Haushalt aber schrumpft.
  • Strukturelle Reformen im Gesundheitswesen kosten zunächst viel Geld, bevor sie in Form von Einsparungen sichtbar werden. Man muss zunächst investieren, bevor man ernten kann.

Der Bundeshaushalt spricht eine andere Sprache. Wenn das Realität wird, ist auch das eine Zeitenwende – mit Vollgas in die Rückständigkeit.

Weiterführende Links:

Vandage: Reformvorschläge zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung: Eine Inventur.

https://www.abda.de/aktuelles-und-presse/pressemitteilungen/detail/arzneimittelausgaben-2022-bleiben-hinter-allgemeiner-preisentwicklung-zurueck/

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