„Mehr Fortschritt wagen – viel versprochen, wenig gehalten?“ Auf dem Hauptstadtkongress 2023 diskutierten die Bundestagsparteien über die Bilanz der Regierung in Sachen Gesundheitspolitik. Foto: Pharma Fakten
„Mehr Fortschritt wagen – viel versprochen, wenig gehalten?“ Auf dem Hauptstadtkongress 2023 diskutierten die Bundestagsparteien über die Bilanz der Regierung in Sachen Gesundheitspolitik. Foto: Pharma Fakten

HSK 2023: 500 Tage Gesundheitspolitik im Check

„Mehr Fortschritt wagen – viel versprochen, wenig gehalten?“ Auf dem Hauptstadtkongress 2023 (HSK) in Berlin diskutierten die Bundestagsparteien über die Bilanz der Regierung in Sachen Gesundheitspolitik. Es war ein Schlagabtausch – durchaus mit Unterhaltungswert.

Noch rund 840 Tage hat die Ampel, um ihre im Koalitionsvertrag formulierten gesundheitspolitischen Ziele umzusetzen – rund 500 Tage sind rum. Zeit für einen Koalitionsvertrags-Check, dachten sich die Organisatoren des HSK, es ist so gut wie Halbzeit. Die Gesundheitspolitiker:innen Maria Klein-Schmeink (Grüne) und Professor Andrew Ullmann (FDP) mussten sich von den Linken (Kathrin Vogler) und der CDU/CSU (Stephan Pilsinger) einiges anhören.

Die Debatte – ausgerechnet an dem Tag, an dem bundesweit die Apotheker:innen auf die Barrikaden gingen. Für die allermeisten der Apotheken im Land hieß das: Wir machen dicht. Allein in Düsseldorf gingen 7.500 Menschen auf die Straße, in Berlin waren es 5.000. Ihre Botschaft: Wir wollen uns nicht kaputtsparen lassen. Sie sind mehr als unzufrieden mit der Gesundheitspolitik der Ampel – die Wut auf die Politik ist gewaltig. 

CDU/CSU: Gesetze im Schneckentempo

HSK 2023
HSK: Die Bundestagsparteien diskutierten über die Bilanz der Regierung in Sachen Gesundheitspolitik. Foto: Pharma Fakten

Auf dem HSK-Podium waren sich die vertretenen Parteien zumindest einig, dass sie dafür Verständnis haben: „Es gibt halt einige Apotheken, die mit immensen Problemen zu kämpfen haben und unter den seit 10 Jahren nicht mehr angepassten Honoraren ebenso leiden, wie unter der nahezu ehrenamtlichen Bewältigung der Arzneimittelengpässe“, so Kathrin Vogler. „Wenn alle 19 Stunden in Deutschland eine Apotheke für immer schließt, dann kriegen wir ein Versorgungsproblem.“ Ampelpolitikerin Maria Klein-Schmeink versprach Besserung, man habe 2 Versorgungsgesetze in Planung. CSU-Mann Pilsinger geht das alles nicht schnell genug: „Bisher gab es 10 Gesetze, keines mit großartigem Neuigkeitswert.“ Er sprach von „Schneckentempo“.

Schaut man auf die Gesundheitspolitik, erscheint das Lösen gordischer Knoten wie ein Kinderspiel: Deutschlands Politiker:innen stehen vor gewaltigen Aufgaben. Die Kassenlage ist angespannt – nach dem Hauruckgesetz zur GKV-Finanzstabilisierung (GKV-FinStG) zum notdürftigen Stopfen von Budgetlöchern für dieses Jahr, rechnen die Krankenkassen für das kommende Jahr wieder mit einem Minus zwischen 3 und 7 Milliarden Euro. Gleichzeitig steht das Gesundheitswesen vor einem nie dagewesenen Reformstau. Doch um tiefgreifende Reformen durchzusetzen, muss erst einmal investiert werden. Es ist sehr viel Geld nötig, um überhaupt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass das Gesundheitssystem durchlässiger, transparenter, digitaler und effizienter wird. Doch diese Milliarden sieht momentan niemand; der Bundesfinanzminister ist da sehr deutlich. Ein weiteres Problem: Die durch die Investitionen angepeilten Einsparungen werden sich erst in einigen Jahren bemerkbar machen. Es wird erstmal alles teuer, bevor es günstiger wird.

GKV: Strukturreformen sollen kommen

„Wir haben kein Einnahmenproblem, die Kasseneinnahmen waren nie so hoch wie heute. Wir haben ein Ausgabenproblem, das System ist ineffizient“, stellte FDP-Politiker Ullmann fest.  Es bestehe Fehl-, Unter- und Überversorgung. Die Ampel will das Problem mit 2 Versorgungsgesetzen angehen; außerdem wird gerade um die Reform der Krankenhauslandschaft gestritten. Nach den Sommerferien soll es konkret werden. Bleibt zu hoffen, dass sich nicht das wiederholt, was bei der Krankenhaus-Reform geschehen ist: Vor 16 Jahren gab es die ersten Gutachten, die auf dringende Veränderungen in der Krankenhauslandschaft drängten, so Klein-Schmeink. Aber geschehen ist wenig bis nichts. „Wir brauchen jetzt Investitionen in die Veränderung und wir kommen mit dem, was wir jetzt an Einnahmen haben, nicht hin. Hinzu kommt der medizinische Fortschritt, der finanziert werden will. Und wir müssen in die Digitalisierung investieren.“ Sie versprach mehr Tempo. Pilsinger bot an zu helfen: „Rufen Sie uns an.“ Schließlich verstehe man sich als konstruktive Service-Opposition. Bei den beiden Ampel-Koalitionären sorgte das für Heiterkeit – offenbar liegen die Vorstellungen, was „konstruktiv“ ist, auseinander.

"Hier wird die Zukunft gemacht."
HSK: „Hier wird Zukunft gemacht“? Foto: Pharma Fakten

Interessant war auch, was auf dem Podium gar nicht Thema war. Mit dem GKV-FinStG hatte die Koalition im vergangenen Herbst die Pharmabranche auf die Palme gebracht. Aus ihrer Sicht ist es klar innovationsfeindlich, weil es etwa Schrittinnovationen den Innovationscharakter abspricht und viele Kombinationspräparate, die gerade in der Krebsbehandlung eine wichtige Rolle spielen, preislich diskriminiert. Die Regelungen im Rahmen des sogenannten AMNOG-Verfahrens sollen deshalb eigentlich auf den Prüfstand. Denn die Befürchtung ist, dass sich die Versorgung mit innovativen Arzneimitteln in Deutschland deutlich verschlechtern könnte. 

Und so bleibt sich die deutsche Gesundheitspolitik treu: Es geht immer fast ausschließlich um das System selbst – und seine Finanzierung. Eine integrierte Politik, die Gesundheit als Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik versteht, ist nicht in Sicht – zumindest nicht auf Bundesebene. Schließlich ist moderne Gesundheitspolitik weit mehr als die Frage, ob das GKV-System irgendwie funktioniert.

Draußen am Messegebäude hing es wieder, dieses Plakat mit der Aufschrift: „Hier wird Zukunft gemacht“ – so ähnlich wie schon vergangenes Jahr. Drinnen – auf dem Podium – sah das ein wenig anders aus. Dort ist die Zukunft bisher nur angekündigt.

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