Klimakrise, alternde Gesellschaften, globale Abhängigkeiten: Die Welt ist im Wandel. Eine starke Pharmabranche in Deutschland ist wichtiger denn je. Foto: ©iStock.com/wildpixel
Klimakrise, alternde Gesellschaften, globale Abhängigkeiten: Die Welt ist im Wandel. Eine starke Pharmabranche in Deutschland ist wichtiger denn je. Foto: ©iStock.com/wildpixel

Pharmabranche: Anker einer modernen Gesellschaft

Wer nicht schwer krank ist, nimmt Gesundheit oft als selbstverständlich hin. Das gilt ebenso für Instrumente wie Medikamente und Impfstoffe: Ihr Wert wird vielen Menschen erst in Notsituationen wirklich bewusst. Davor sind auch Politiker:innen nicht gefeit. Zunehmend verschlechtern sich in Deutschland die Rahmenbedingungen für eine gute Arzneimittelversorgung und für innovative pharmazeutische Forschung. Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck findet: Es braucht mehr Debatten, „sodass verstanden wird, dass hier eine Branche nicht einfach selbstverständlich da ist“.

Kopfschmerzen? Eine Tablette kann schnell Linderung bringen. Erkältung? Nasenspray gehört bei vielen Menschen zur eigenen Hausapotheke einfach dazu. Und auch bei Innovationen – darunter etwa Gentherapien gegen Krebs – gilt für Deutschland: Nirgendwo in Europa stehen neu zugelassene Medikamente den Patient:innen so schnell und umfangreich zur Verfügung wie hier (s. Pharma Fakten).

Dass eine gute Arzneimittelversorgung jedoch kein Naturgesetz ist, zeigen Engpässe bei generischen Präparaten – von Kinder-Fiebersaft über Antibiotika bis hin zu Krebsmedikamenten. Es ist die „Folge eines jahrelangen Drucks auf Preise und Herstellkosten“, so der Verband Pro Generika

Fehler bei Arzneimittelinnovationen nicht wiederholen

Fehler bei Arzneimittelinnovationen nicht wiederholen
GKV-Finanzstabilisierungsgesetz: Radikale Einschnitte bei der Vergütung innovativer Medikamente. Foto: ©iStock.com/yavdat

Die Engpässe verdeutlichen „was passiert, wenn die Politik die Kostenschraube überdreht“, sagt Han Steutel, Präsident des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa). „Den Fehler sollte sie nicht bei den innovativen Arzneimitteln wiederholen.“ 

Doch momentan tut sie genau das: Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hat die Politik im vergangenen Jahr radikale Einschnitte bei der Vergütung innovativer Medikamente beschlossen. Dabei lagen schon 2021 76 Prozent der deutschen Arzneimittel-Erstattungsbeträge „unter den durchschnittlichen publizierten Preisen der betreffenden Produkte in den europäischen Vergleichsländern“. Das schreiben die Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Dieter Cassel und Prof. Dr. Volker Ulrich in den „AMNOG-Daten 2022“ des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie. „Eine unmittelbare Folge davon ist, dass es verstärkt zu Parallelexporten aus Deutschland in Länder mit jetzt höheren Preisen kommen kann“. Dadurch bestehe „zunehmend die Gefahr, dass ein steigender Warenabfluss künftig im Einzelfall zu Versorgungslücken in Deutschland führen könnte.“ Eine andere mögliche Konsequenz einer nach unten drehenden Preisspirale: Herstellerfirmen können ihre Präparate bei mangelnder Wirtschaftlichkeit gar nicht auf den hiesigen Markt bringen. Die Pharmafirmen Roche und AbbVie haben jüngst als erste Unternehmen Verfassungsbeschwerde gegen das GKV-Spargesetz eingereicht.

Hinzu kommt: Auch die Rahmenbedingungen für die Forschung an künftigen Innovationen könnte deutlich besser sein. Als Standort für klinische Pharma-Studien fällt die Bundesrepublik im internationalen Vergleich immer weiter zurück – von Platz 2 auf Platz 6 innerhalb weniger Jahre. Überbordende Bürokratisierung, fehlende Harmonisierung bei Datenschutzanforderungen, komplexe Vertragsverhandlungen mit medizinischen Einrichtungen – Länder wie Spanien können das besser und erweisen sich somit im globalen Wettbewerb als attraktiver.

Pharma: Gut für Gesundheit, Gesellschaft, Wirtschaft

Pharma: Gut für Gesundheit, Gesellschaft, Wirtschaft
Schlüsselindustrie Pharma-Branche. Foto: ©iStock.com/Andrei Vasilev

Die Coronakrise hat deutlich gemacht, wie wichtig eine starke Pharmaindustrie ist. „Stellen Sie sich vor, es wäre nicht gelungen in Rekordzeit Impfstoffe oder auch therapeutische Medizin zu entwickeln: Was heute dann weltweit und in Deutschland los wäre. Wir hätten diese Pandemie durchrauschen lassen müssen. […] Mit was für Kosten, mit was für Verlusten an Menschenleben, mit was für gesellschaftlichen Kosten“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck kürzlich auf dem „Tag der innovativen Gesundheitswirtschaft“ des vfa in Berlin. „Es war eine harte Zeit. Dass wir sie kurzhalten konnten, liegt daran, dass geforscht und entwickelt wurde und die Impfstoffe auf den Markt gebracht wurden“. 

Nicht nur in Pandemien spielt die Pharmaindustrie eine wichtige Rolle für Gesundheit, Gesellschaft, Wirtschaft. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek bezeichnete die Gesundheits- und Pflegewirtschaft im Pharma Fakten-Interview als „Leitökonomie“. Er sieht sie als „Wachstums- und Beschäftigungstreiber“. Ihre Bedeutung werde „aufgrund der demographischen Entwicklung und einem weiterhin zunehmenden Gesundheitsbewusstsein in der Zukunft noch weiter steigen.“ Der vfa führt aus: „Deutschlands industrielle Struktur steht vor einem großen Wandel. Die Energiewende, die Digitalisierung und die Demographie verändern das Geschäftsmodell der Wirtschaft grundlegend. Um im globalen Standortwettbewerb bestehen zu können, bedarf es Schlüsselindustrien wie der Pharma-Branche, die hochproduktiv, ressourcenschonend, innovativ und zugleich mit großer technologischer Strahlkraft versehen sind. Sie kompensieren die Nachteile einer alternden Gesellschaft. Ihnen muss das Augenmerk einer gezielten Industriepolitik gelten.“ 

Pharma: Schlüssel für künftigen Wohlstand

Weniger Erwerbstätige treffen auf eine immer älter werdende Bevölkerung. „Deshalb braucht Deutschland Industrien mit hoher Produktivität. Denn nur wenn pro Kopf mehr erwirtschaftet wird, kann dies die sinkende Zahl Erwerbstätiger ausgleichen“, so der vfa.

Pharma: Schlüssel für künftigen Wohlstand
Pharma ist die forschungsintensivste Hightech-Industrie. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff
  • Die Pharmaindustrie zählt zu den produktivsten Wirtschaftszweigen.
  • Außerdem gehört sie „zu den fünf Industrien mit der höchsten Investitionsquote in Maschinen und Anlagen. […] Damit strahlt die Branche auch intensiv in den spezialisierten Maschinen- und Anlagenbau aus.“ Das ist wichtig, denn: „Deutschland kann nur mit hochtechnisierten und modernen Produktionsanlagen international konkurrenzfähig produzieren“, betont der vfa.
  • Angesichts weniger Rohstoffe ist Innovationskraft essenziell, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. „Deutschland hat nur wenige Hightech-Industrien. Pharma ist eine davon – und die mit Abstand forschungsintensivste. Jeder zehnte privat investierte Euro für Forschung und Entwicklung wird von der pharmazeutischen Industrie aufgewendet.“
  • Pharma gehört zu den Wirtschaftszweigen in Deutschland, die einen überdurchschnittlichen Modernitätsgrad des Kapitalstocks – dazu gehören Maschinen, Anlagen, Infrastruktur, vorhandenes Wissen – aufweisen. Das ist Ergebnis einer vfa-Auswertung. Insgesamt ist die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands durch „einen veralteten Kapitalstock gefährdet. Sein Modernitätsgrad fällt deutlich hinter den in anderen Ländern zurück.“
  • Immer weniger Erwerbstätige, Fachkräftemangel: Deutschland braucht „gut bezahlte, hochproduktive Arbeitsplätze“ mehr denn je. Genau die kann die pharmazeutische Industrie bieten. Sie „beschäftigt überdurchschnittlich viele gut qualifizierte Menschen: Akademiker:innen und hochqualifiziertes Fachpersonal“ (s. vfa).
  • Wie wichtig „strategische Unabhängigkeit“ ist, haben Coronakrise und Generika-Engpässe gezeigt. „Eine sichere Versorgung mit innovativen Arzneimitteln braucht krisenresiliente und nachhaltige Lieferketten“, fordert der vfa. Zwar können globale Abhängigkeiten nicht gänzlich aufgehoben werden. „Zielführend sind aber Investitionen in moderne und flexible Verfahren und Anlagen für die Herstellung innovativer Arzneimittel.“ Dabei geht es darum, „technologisches Knowhow zu sichern und auch Reservekapazitäten für Krisenzeiten vorzuhalten.“ So kann eine starke Pharmaindustrie die Gesundheitsversorgung sichern.
Pharmabranche: Anker einer modernen Gesellschaft
Aktuell sind rund 120.000 Menschen in der Pharmaindustrie beschäftigt. Foto: ©iStock.com/Martin Barraud

Aktuell sind rund 120.000 Menschen in der Pharmaindustrie beschäftigt. 18,2 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfung erwirtschaftete sie allein im Jahr 2020, heißt es in einem Bericht des vfa und des Instituts der deutschen Wirtschaft. Die Branche strahlt weit in andere Sektoren hinein – so regt beispielsweise ihre Produktion die Produktion in vorgelagerten Produktionsstufen an.

Habeck weiß um den „Spillover-Effekt in andere Bereiche“, die „vergleichsweise niedrige Energieintensivität“, die hohe „Hightech-Innovationskraft“ der Pharmaindustrie – dies machte er jüngst in Berlin deutlich. Dieses „Unsichtbare“ müsse aufgelöst werden – es brauche mehr Debatten, „sodass verstanden wird, dass hier eine Branche nicht einfach selbstverständlich da ist“. Bleibt zu hoffen, dass diese Erkenntnis bei allen politischen Entscheidungsträger:innen ankommt.

Denn obwohl die nachhaltige Finanzierung des Gesundheitssystems eine Herausforderung ist und bleibt, gilt: Falsches Sparen kann teuer werden. Eine Studie der Beratungsgesellschaft für angewandte Systemforschung zeigt an einem Beispiel, was damit gemeint ist: Die Erhöhung des Herstellerrabatts um 1 Euro verursacht demnach 2 bis 3 Euro an Einkommensverlusten und Minderinvestitionen. „Herstellerrabatte senken die Investitionsausgaben. Die unterlassenen Investitionen führen dann zu weiteren Effekten in der industriellen Verflechtung“, fasst die Pharmainitiative Bayern zusammen. Die vermeintlichen Einsparungen sind keine Einsparungen – stattdessen entziehen sie einer Schlüsselindustrie die Mittel, die sie benötigt, um das zu tun, was sie am besten kann: innovative Arzneimittel und Impfstoffe entwickeln – und dabei einen Beitrag für den Wohlstand unserer Gesellschaft leisten.

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