Das GKV-Spargesetz droht die hiesige Arzneimittelversorgung zu verschlechtern. Gleichzeitig sind Umsetzbarkeit und Nutzen teils fragwürdig. Foto: iStock.com/jotily
Das GKV-Spargesetz droht die hiesige Arzneimittelversorgung zu verschlechtern. Gleichzeitig sind Umsetzbarkeit und Nutzen teils fragwürdig. Foto: iStock.com/jotily

Arzneimittelversorgung: Falsches Sparen kommt Deutschland teuer zu stehen

Vor „medizinischen Leistungskürzungen durch die Hintertür“ warnt der Pharmaverband vfa mit Blick auf das 2022 beschlossene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Expert:innen aus Industrie, Wissenschaft, Medizin befürchten, dass die jüngsten Kostendämpfungsmaßnahmen die Arzneimittelversorgung der Menschen in Deutschland verschlechtern. Nun verstärkt der aktuelle AMNOG-Report der Krankenkasse DAK-Gesundheit das Gefühl, dass die neuen Regelungen nicht so richtig durchdacht wurden.

„Bedingt durch die Belastungen während der COVID-19-Pandemie sowie langfristigen strukturellen Herausforderungen wie dem demografischen Wandel und dem medizinisch-technischen Fortschritt, sieht sich die solidarisch finanzierte GKV mit einer anwachsenden Finanzierungslücke konfrontiert. Allein für das Jahr 2023 wurde ein Defizit von 17 Mrd. Euro prognostiziert“, schreibt Gesundheitsökonom Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Universität Bielefeld, gemeinsam mit einem Team an Versorgungsforschenden der Vandage GmbH in dem von der DAK-Gesundheit beauftragten „AMNOG-Report 2023“. Alle Akteur:innen im Gesundheitssystem sind sich wohl einig: Es braucht Lösungen, um die Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) kurz- sowie langfristig zu sichern. 

Die Frage ist nur das „Wie“. Im vergangenen Jahr hatte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach seine „Antwort“ parat: das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG). Die pharmazeutische Industrie zeigte sich angesichts der neuen Regelungen entsetzt (Pharma Fakten berichtete). Und nicht nur aus der Branche, auch aus anderen Lagern des Gesundheitswesens kam laute Kritik (s. Pharma Fakten). Für sie alle dürfte der aktuelle AMNOG-Report auf die ein oder andere Weise Wasser auf die Mühlen sein. Denn er macht deutlich: Sparen ist nicht ganz so einfach, wie sich das Prof. Dr. Lauterbach vorgestellt hat.

GKV-FinStG: Umsetzung und Nutzen teils fragwürdig

Auf einer digitalen Veranstaltung wurde der AMNOG-Report 2023 vorgestellt. Foto: Pharma Fakten
Auf einer digitalen Veranstaltung wurde der AMNOG-Report 2023 vorgestellt. Foto: Pharma Fakten

Auf Basis aktueller Versorgungsdaten von Versicherten haben die Wissenschaftler:innen um Prof. Dr. Greiner die finanziellen Auswirkungen der im GKV-FinStG enthaltenen Maßnahmen analysiert. Auf einer Veranstaltung zur Vorstellung der Ergebnisse erklärte der Gesundheitsökonom: „Wir sehen – was die Schätzungen des Einsparpotenzials angeht – in der Regel eine Überschätzung“. Soll heißen: Die Regelungen dürften großteils nicht den Nutzen bringen, den sich die Politik erhofft. Teilweise sei das Einsparpotenzial auch gar nicht seriös berechenbar.

Beispiel: Nach dem GKV-FinStG erhalten die Krankenkassen für (fast alle) Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, die in einer Kombination eingesetzt werden, von der pharmazeutischen Firma einen Abschlag in Höhe von 20 Prozent auf den Erstattungsbetrag. Doch die Umsetzung dieser Vorgabe – genauso wie die Analyse ihrer Auswirkungen – steht noch vor vielen ungelösten, komplexen Fragen. Und sie wird laut den Wissenschaftler:innen „potenziell mit erheblichen Unsicherheiten“ verbunden sein: „Unklar“ sei etwa, „wie Wirkstoffkombinationen zum Zwecke der Abrechnung identifiziert und von Monotherapien und Therapiesequenzen abgegrenzt werden sollen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Arzneimittel auf verschiedene Art und Weise kombiniert werden können. Sie können gleichzeitig oder nacheinander in Kombination eingesetzt werden. Die Arzneimittel können explizit laut Fachinformation ausschließlich für den Kombinationseinsatz vorgesehen sein oder aber nach Entscheidung des Arztes miteinander kombiniert werden.“ 

Im Übrigen: Medizinisch begründbar ist der pauschale Sparbetrag nicht. „Durch die Kombination der Wirkprinzipien mehrerer Arzneimittel wird inzwischen vor allem bei Krebstherapien eine Verlängerung der Überlebenszeit, eine Kontrolle der Erkrankung und eine Linderung der Krankheitsfolgen erreicht, die noch vor einigen Jahren nicht möglich schien“, erklärte der vfa in einer Stellungnahme. „Ein zusätzlicher Pflichtrabatt für Kombinationen on top zur AMNOG-Preisregulierung bremst diesen wichtigen, innovativen Forschungs- und Therapieansatz aus.“

Massive Eingriffe in Grundprinzipien der Arzneimittelpreisfindung

Als wäre das nicht genug, sieht das GKV-FinStG außerdem strukturelle Eingriffe in die etablierten Mechanismen der Nutzenbewertung und Preisfindung bei neuen Arzneimitteln vor. Demnach dürfen die verhandelten Jahrestherapiekosten in der Regel nur noch bei Präparaten, denen ein ‚beträchtlicher’ oder ‚erheblicher’ Zusatznutzen zugesprochen wurde, oberhalb der zweckmäßigen Vergleichstherapie liegen. Laut Prof. Dr. Greiner sei das Einsparpotenzial zwar „potenziell hoch“ – aber nicht seriös berechenbar. Denn auch hier gilt: Die praktische Umsetzung dürfte komplex sein, vieles ist bislang unklar – und sie werde sich auf nahezu alle Verfahren der Arzneimittelbewertung auswirken. 

Neue Arzneimittel können mehr Lebensqualität bringen. Foto: ©iStock.com/kieferpix
Neue Arzneimittel können mehr Lebensqualität bringen. Foto: ©iStock.com/kieferpix

Für Prof. Dr. med. Jörg Ruof von der strategischen Beratungsorganisation r-connect GmbH sind die neuen Erstattungsleitplanken ein „falsches Signal zur falschen Zeit“. „Das ist natürlich zunächst einmal eine faktische Entwertung von ‚geringem’ und ‚nicht quantifizierbaren’ Zusatznutzen“, so Prof. Dr. Ruof. „Ich habe eine Situation, wo ich Medikamente mit einem nachgewiesenen Zusatznutzen habe – wo aber durch die neue Gesetzeslage zementiert ist, dass sie keinen zusätzlichen Preis mehr erwirtschaften dürfen.“ Er betont: „Ein geringer und nicht quantifizierbarer Zusatznutzen sind für die Patienten relevant“ – zum Beispiel kann sich das in Form einer „Verbesserung der Lebensqualität“ oder von „Verbesserungen des Nebenwirkungsprofils“ ausdrücken. Er befürchtet künftig eine „Benachteiligung einzelner Krankheitsgebiete“ – wie etwa bei Herz-Kreislauf-Leiden. 

Prof. Josef Hecken, Unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, schreibt dazu in einem Beitrag im AMNOG-Report: „Im Anwendungsbereich einer chronischen Erkrankung ist es wahrscheinlich, dass zur Markteinführung noch keine Langzeitdaten vorliegen und aufgrund der Studienlage nur das Ausmaß eines ‚geringen’ Zusatznutzens abgeleitet werden kann.“ Auf der Veranstaltung ergänzte er, dass die neuen Leitplanken daher „möglicherweise sehr schädlich für die Versorgung von chronisch kranken Patienten sein“ können.

Falsches Sparen – zu Lasten einer guten Gesundheitsversorgung

Der vfa findet in einer Pressemitteilung deutliche Worte: „Der Zusatznutzen einer neuen Therapie ermöglicht nicht mehr in jedem Fall einen höheren Preis als ihn die bisherige Vergleichstherapie hatte. Dadurch ist nicht länger jede Innovation für den hiesigen Markt interessant und nicht jedes neue Medikament wird künftig auch hierzulande verfügbar sein. Deutschland wird mit einer Schlechterstellung bei der Versorgung mit Arzneimitteln leben müssen, die sich für Patientinnen und Patienten wie Leistungskürzungen auswirken werden“.

Gleichzeitig sind viele Expert:innen der Meinung, dass das GKV-FinStG seinen Zweck nicht erfüllt: Der Bundesrat hatte in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf geschrieben, dass die enthaltenen Maßnahmen nicht geeignet seien, um „eine andauernde Stabilisierung“ der Finanzen zu erreichen. Laut Andreas Storm, Vorsitzender des Vorstands der DAK-Gesundheit, lösen sie „keine strukturellen Probleme“. 

Vielmehr könnte die Lauterbach’sche Art zu sparen Deutschland teuer zu stehen kommen. Seit der COVID-19-Pandemie sollte eigentlich klar sein, wie wichtig eine gute und sichere Gesundheitsversorgung ist – für die Gesundheit der Patient:innen, für die Entfaltungsmöglichkeiten einer Gesellschaft, für die Wirtschaft des Landes.

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