„5 für Gesundheit“: Auf einer Pfizer-Veranstaltung diskutierten 5 Expert:innen über ihre Ideen und aktuelle Entwicklungen im deutschen Gesundheitssystem. Foto: ©iStock.com/ipopba
„5 für Gesundheit“: Auf einer Pfizer-Veranstaltung diskutierten 5 Expert:innen über ihre Ideen und aktuelle Entwicklungen im deutschen Gesundheitssystem. Foto: ©iStock.com/ipopba

Reformstau im Gesundheitswesen: „Allergie gegen Konjunktiv“

Zu viel Komplexität und Bürokratie, zu wenig Kommunikation und Vernetzung: Diese Kritik am deutschen Gesundheitssystem hält schon seit Jahrzehnten an. Wer daran etwas ändern will, braucht Durchhaltevermögen. Dass es sich lohnt dranzubleiben, zeigte sich bei „5 für Gesundheit“ – eine Dialogplattform, die das forschende Pharma-Unternehmen Pfizer initiiert hat. 5 Fachleute diskutierten in einer Gesprächsrunde über ihre Ideen und aktuelle Entwicklungen – die das Leben von vielen Patient:innen und Bürger:innen besser machen sollen.

Er habe inzwischen „eine Allergie gegen den Konjunktiv“ entwickelt, erklärte Social Entrepreneur Bernd Rosenbichler. Diese Beschreibung passt nicht nur auf ihn, sondern auf alle 5 Gäste, die zum Pfizer-Event geladen waren: Sie alle sind Macher:innen. Sie alle sehen nicht nur die Probleme und Hürden des deutschen Gesundheitssystems – sie entwickeln zugleich Lösungen. Und sie haben Visionen einer besseren Zukunft im Kopf. 

ALSTRÖM-Initiative
Bernd Rosenbichlers Sohn hat das Alström-Syndrom. Foto: ALSTRÖM-Initiative

Bernd Rosenbichler widmet sich als ehemaliger Auto-Manager seit Anfang 2021 dem Aufbau von Strukturen zur Unterstützung der Forschung zum Alström-Syndrom. Sein Sohn lebt mit dieser Erkrankung, die so selten ist, „dass es vielleicht 20 bis 25 Fälle in Deutschland gibt“. Keine Organisationen, keine Strukturen, wenig Wissen: Mit der „Ohnmacht“ wollte der Vater sich nicht abgeben – er wurde selbst aktiv. Seine Bilanz der vergangenen 2 Jahre kann sich sehen lassen: Er hat eine Petition gestartet und eine Kampagne ins Rollen gebracht, die in zahlreichen Medien und im öffentlichen Raum zu sehen war. Das Ziel: Aufmerksamkeit schaffen – denn es darf nicht sein, dass Menschen mit einer seltenen, genetisch bedingten Erkrankung 4, 6, 8, 10 oder mehr Jahre warten müssen, bis sie eine gesicherte Diagnose erhalten. Die Kampagne „war ein tolles Highlight und hat uns geholfen das Thema Information – Menschen zu informieren, Daten zu sammeln – stärker vorantreiben zu können.“ Als nächstes stand die Gründung einer Patient:innenorganisation für Alström-Betroffene auf dem Plan. Inzwischen gibt es ein Patient:innenregister – „damit schaffen wir es, Daten zu strukturieren“. Ende 2022 ist es Rosenbichler gelungen, „wesentliche Forscher aus Europa zum Alström-Syndrom zusammenzubringen.“ Ihm geht es darum, Wissen zu bündeln. „Gemeinsam statt einsam“ – das ist sein Appell an alle Akteur:innen im Gesundheitssystem.

Durch den Dschungel des Gesundheitssystems 

Durch den Dschungel des Gesundheitssystems
Patientenlots:innen: Ansprechen, vermitteln, koordinieren. Foto: ©iStock.com/ArLawKa AungTun

Joachim Sproß, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (DGM), weiß, was es heißt, wenn „komplexe chronische Erkrankungen“ auf ein „komplexes Gesundheitssetting“ treffen. Das sei „für alle Beteiligten – Patienten, Mediziner, Kostenträger – eine Herausforderung“. Eine Lösung sieht er in Patientenlots:innen. Sie haben es sogar in den Koalitionsvertrag geschafft: „Für erfolgreiche geförderte Projekte, wie die der Patientenlotsen werden wir einen Pfad vorgeben, wie diese in die Regelversorgung überführt werden können“, so die Regierungsparteien. Aktuell gebe es 52 Lotsen-Projekte in ganz Deutschland in verschiedenen Krankheitsgebieten. Auch über die DGM sind mehrere Patientenlots:innen angestellt: Sie arbeiten an sogenannten Neuromuskulären Zentren und sind dort als Ansprechpartner:innen, Vermittler:innen sowie Koordinator:innen für die Patient:innen tätig; sie organisieren interdisziplinäre Konsultationen und leiten die Betroffenen durch das System. Das soll dem medizinischen Fachpersonal Zeit ersparen, weil es sich weniger Administration und Organisation widmen muss; es soll die Wartezeiten bei den Zentren verkürzen und Kostenträgern Geld sparen – denn bestenfalls werden Diagnosen früher gestellt und Therapien zügiger begonnen. Das Ziel lautet nun: die Lotsentätigkeit in die öffentlichen Finanzierungssysteme bringen.

Kommunikation im Gesundheitssystem verbessern

Medizin-Student Nikolas Groth hatte – als er ab Oktober 2020 für mehrere Monate auf einer Intensivstation arbeitete – vor allem COVID-19-Patient:innen und andere Schwerkranke im Blick. Geprägt durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie initiierte er das Projekt IntensivKontakt. Er habe „viele COVID-Patient:innen – auch jüngeren Alters – sterben sehen. In großer Isolation“. Damals bestellte er Tablets mit entsprechender Software, um den Menschen den Kontakt zu ihren Angehörigen über ein Videotelefonat zu ermöglichen. 

Kommunikation im Gesundheitssystem verbessern
Projekt IntensivKontakt: Kommunikation verbessern. Foto: ©iStock.com/ipopba

Inzwischen ist daraus die IntensivKontakt GmbH und Co. KG geworden, deren Gründer und CEO Groth ist. „Wir haben gemerkt, dass da viel Bedarf ist, der auch COVID-unabhängig besteht“. Er berichtete von „Fehlinformation, Intransparenz, fehlender Kommunikation“ zwischen den verschiedenen Akteur:innen. Auf der IntensivKontakt-Website heißt es: „IntensivKontakt verbindet Patient:innen, Angehörige und Behandelnde in einer zentralen Plattform und macht eine reibungslose Kommunikation erlebbar. Damit trägt IntensivKontakt zu einer erhöhten Effizienz in Krankenhäusern bei und verbessert zugleich die digitale Infrastruktur in der Gesundheitsbranche.“ Keine „unkontrollierbaren Angehörigen-Anrufe auf dem Stationstelefon“ mehr, eine „einfache Übermittlung von Informationen zum Patient:innen-Zustand“, so lauten zwei der Versprechen an Kliniken. Eine wissenschaftliche, unabhängige Studie untersucht aktuell, wie groß der Nutzen der Anwendung für die Patient:innen ist – so könne unter anderem das Risiko für Angstzustände sinken. Laut Groth ist IntensivKontakt „technisch interoperabel“ – und somit in jedes bestehende System im Krankenhaus integrierbar.

Digitalisierung im Gesundheitssystem: Die Sache mit den Daten

Wie wichtig es ist, dass unterschiedliche Systeme und Daten miteinander „sprechen“ können, weiß kaum jemand so gut wie Prof. Dr. med. Sylvia Thun, Universitätsprofessorin für Digitale Medizin und Interoperabilität am Berlin Institute of Health (BIH) der Charité. Nur wenn sie in einheitlichen Formaten und IT-Standards vorliegen, lassen sich Daten aus unterschiedlichen Quellen – seien sie aus dem Labor oder dem Krankenhaus – nutzen, verknüpfen, vergleichen, erforschen. 

Digitalisierung im Gesundheitssystem: Die Sache mit den Daten
Daten nutzen, verknüpfen, vergleichen, erforschen. Foto: ©iStock.com/anyaberkut

Als großartige Idee empfindet sie den „European Health Data Space“ – ein „Vorschlag für eine Verordnung auf EU-Ebene, wonach jeder Bürger in Europa eine eigene Patientenakte bekommt […]. Und wenn er oder sie möchte, dann kann man die Daten auch freigeben – für Forschungszwecke.“ Die Expertin machte deutlich: „Ich bekomme endlich meine eigenen Daten. […] Ich habe ein digitales Anrecht darauf, eine Patientenakte zu bekommen und diese so auszugestalten, dass ich Teilnehmer bin“. Das, was da in Europa aktuell passiert, hält Prof. Dr. Thun für „ethisch korrekt“. „Ethisch korrekt ist für mich, dass ich meine Daten zur Verfügung habe. […] Und dann kann ich es zumindest versuchen sie zu verstehen. Das ist gerecht: Es geht hier auch um Selbstbestimmung, um Gerechtigkeit, um Demokratie von Daten.“ Im Moment seien „die Daten alle hinter so Mauern bei Krankenkassen […], hinter anderen Mauern wie der Softwareindustrie“ – das ändere sich nun „endlich“. 

Gesundheitspolitik: Wirtschaft, Finanzen, Wissenschaft mitdenken

Wolfgang Branoner, ehemaliger Berliner Wirtschaftssenator und heutiger Geschäftsführender Gesellschafter der Strategie- und Politikberatung SNPC, nahm Wind aus den Segeln der optimistischen Gesprächsrunde: „Wir haben in den 3 Spitzen unserer Regierung andere Schwerpunkte“. Anstelle von „Gesundheit“ seien das „Klimaschutz“, „keine Steuern zu erhöhen, sondern eher zu entlasten“ sowie „soziale Sicherung“. 

5 für Gesundheit
5 für Gesundheit. Foto: Pharma Fakten

Doch er appellierte an die Politik, eine andere Perspektive einzunehmen: „Wenn die Leute gesund sind oder wenn sie vernünftig gepflegt werden, können sie […] mit dazu beitragen, dass das Bruttoinlandsprodukt gesteigert wird. Wäre ich Wirtschaftsminister würde ich sagen: ‚Karl Lauterbach, wir brauchen eine gute Pflege. Wir brauchen ein gutes medizinisches Versorgungssystem. Wir müssen die Daten nutzen, damit wir mehr Zeit verwenden können auf die zwischenmenschliche Arbeit zwischen Patient und Arzt […].’ Der Finanzminister müsste sagen: ‚Karl, wir brauchen ein vernünftiges Gesundheitssystem. Stell dir mal vor, hier wird geforscht, dann wird hier entwickelt, dann wird hier produziert, und exportiert. Ich kriege Steuereinnahmen, unser Exportanteil steigt.’“ Wirtschaft, Finanzen und Wissenschaft mitdenken: Das fordert Branoner. „Wir brauchen eine Allianz für Gesundheit“. Moderatorin Christina Claußen, Senior Director Patient Advocacy bei Pfizer, fasste zusammen: „5 für Gesundheit geht alle etwas an: nicht nur die Gesundheitspolitik – sondern es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema. Und wir brauchen positive Beispiele.“ Diese konnte die Gesprächsrunde auf jeden Fall liefern.

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Arzttermine koordinieren, Patient:innen von A nach B führen, Ansprechperson für alle Belange sein: Patientenlots:innen sind echte Unterstützung für chronisch Kranke und medizinisches Personal. Foto: ©iStock.com/Inside Creative House

Gemeinsam durch den Dschungel des Gesundheitswesens

Das deutsche Gesundheitssystem ist komplex. Sehr komplex. Das wird besonders bei Erkrankungen deutlich, die chronisch verlaufen und deren Behandlung eine Vielzahl an medizinischen Fachdisziplinen bedarf. Wer soll da den Überblick über notwendige Untersuchungen, verschiedene Ärzt:innen und Kostenträger behalten? Joachim Sproß, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke, findet: Patientenlots:innen sind die Lösung.

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Wir haben mit Ärztin und Diplomingenieurin Prof. Sylvia Thun über den Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen gesprochen – und kamen zu erstaunlichen Erkenntnissen. Foto: ©iStock.com/ipopba

Digitale Medizin: „Kopf im Sand“

Leicht gesagt, schwer umgesetzt: „Wir müssen die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben“. So lautet eine der häufigsten Forderungen von Gesundheitsexpert:innen. Doch was bedeutet das? Welche Schritte sind notwendig und was wurde bereits erreicht? Wohl kaum jemand kann das besser beantworten als Prof. Dr. Sylvia Thun, Professorin für Digitale Medizin und Interoperabilität am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH).

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Bernd Rosenbichler war erfolgreicher Auto-Manager und lebte seinen Traum. Als bei seinem Sohn das Alström-Syndrom diagnostiziert wird  schmeißt er alles hin. Er hat jetzt Wichtigeres zu tun. Foto: ©iStock.com/Serhii Bezrukyi

Einer seltenen Erkrankung den Kampf ansagen

Bernd Rosenbichler war erfolgreicher Auto-Manager und lebte seinen Traum. Dann kam eine Nachricht, die alles auf den Kopf stellte: Sein Sohn Ben leidet unter dem Alström-Syndrom – einer extrem seltenen genetischen Erkrankung. Rosenbichler war schnell klar: Ein Weiter-so kann es nicht geben. Er warf den Job hin und widmet sich seitdem einer Krankheit, für die es kaum Expert:innen gibt und bei der das Wissen rar ist.

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