Der im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) diskutierte Sparbeitrag der Pharmaindustrie wird mit einer „überproportionalen Ausgabenentwicklung im Arzneimittelbereich“ und „deutlichen Gewinnsteigerungen“ in der Pandemie begründet. Ein Zahlencheck, den das IGES Institut durchgeführt hat, zeigt eine andere Welt. In einem Brief an die Abgeordneten des Bundestages fordern die Geschäftsführer:innen führender Pharmaunternehmen deshalb einen „fairen Umgang mit Zahlen, Daten und Fakten.“
Ein Preismoratorium, verlängert bis 2026. Ein Herstellerzwangsrabatt, erhöht auf 12 Prozent. Eingriffe in die seit 2011 geltenden Regeln zur Arzneimittel-Preisfindung („AMNOG-Verfahren“): Insgesamt geht es für die pharmazeutischen Unternehmen in dem von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach vorgelegten Gesetzentwurf um hohe Milliardensummen. Dabei leistet die Pharmabranche schon heute einen Sparbeitrag von rund 21 Milliarden Euro pro Jahr zugunsten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Die Geschäftsführer:innen von Bayer, Boehringer Ingelheim, Janssen-Cilag, Merck und Novartis haben deshalb das IGES-Institut mit einer Studie beauftragt, um die Ausgabenentwicklung im GKV-Arzneimittelmarkt zu untersuchen und „die jeweiligen Zahlen und Fakten auf wissenschaftlicher Basis zu benennen“, wie sie an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages schreiben.
Der Anteil für die Ausgaben für Arzneimittel, deren Distribution über Großhandel und Apotheke sowie die Mehrwertsteuer betrug im vergangenen Jahr 17,7 Prozent. Davon landen laut IGES rund 12 Prozent bei den Herstellern. Die Geschäftsführer:innen schreiben: „Die 12 Prozent der Industrie splitten sich fast genau 50/50 auf patentgeschützte und patentfreie Arzneimittel.“
Auch dass Innovationen in erster Linie die Kostentreiber sein sollen, lässt sich bei genauer Betrachtung nicht belegen. Die Untersuchungen des IGES zeigen, dass das Ausgabenplus im Arzneimittelsegment maßgeblich durch größere Mengen verursacht wird. „Mit anderen Worten: Der Mehrverbrauch einer alternden Gesellschaft treibt die Ausgaben, nicht Innovationen.“
In der Tat lässt sich im Arzneimittelsegment für die Jahre der Pandemie ein höheres Ausgabenvolumen feststellen – was angesichts einer globalen Gesundheitskrise mit allein in Deutschland registrierten 33,5 Millionen Covid-19-Infektionen auch frei von Überraschungen ist (Stand: 5.10.2022). 2021 war es ein Plus von 7,6 Prozent. Aber auch hier könnten die vom IGES-Institut analysierten Zahlen einer Mythenbildung vorbeugen, denn das ist auch Folge von regulatorischen Eingriffen. So war im 2. Halbjahr 2020 die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel abgesenkt und im Jahr darauf wieder angehoben worden – mit entsprechendem Effekt auf die Kostenentwicklung in 2021. Rechnet man solche Sondereffekte heraus, lag die Steigerung laut IGES nicht bei 7,6 Prozent, sondern bei 4,8 Prozent. In einem pandemischen Jahr klingt das wenig dramatisch.
Hinzu kommt: Auch pharmazeutische Unternehmen sind der hohen Inflation ausgesetzt, bleiben in dem streng regulierten Arzneimittelmarkt auf den Kosten aber sitzen. So ist der Preisindex für gewerbliche Erzeugerpreise im Juli 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat um 37,2 Prozent gestiegen – unter anderem lässt die Energiekrise grüßen. Einen Inflationsausgleich sieht die Regelung des Preismoratoriums aber nur für den so genannten Bestandsmarkt vor – das sind Wirkstoffe, die vor dem 1.1.2011 zugelassen wurden – und deckt auch nur einen Teil ab. Für Arzneimittelinnovationen gilt diese Regelung nicht.
GKV-FinStG: Die Pharmabranche würde nachhaltig geschwächt
Deutlich gestiegene Kosten und zusätzliche Milliardensummen zur Stabilisierung der GKV – all das wird Folgen für die Investitionen in Forschung und Entwicklung haben. Denn es trifft das Pharmageschäftsmodell im Kern, in dem es darum geht, Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe über lange Zeithorizonte zu finanzieren. Dass Kostendämpfungsmaßnahmen dazu führen, dass Investitionen zurückgefahren werden, ist empirisch bewiesen.
Als Fazit halten die Geschäftsführer:innen fest: „Die im GKV-FinStG vorgesehenen Kostendämpfungsmaßnahmen würden – so auch jüngst der Bundesrat in seinen Empfehlungen – eine hochinnovative Branche nachhaltig schwächen und die Versorgung mit nachweislich besseren Arzneimitteln beschädigen.“ Dies stehe im krassen Widerspruch zu den im Koalitionsvertrag formulierten Zielen einer Stärkung des pharmazeutischen und biotechnologischen Forschungs- und Produktionsstandortes Deutschland. Und IGES schreibt: „Einen Schwerpunkt der ausgabenseitigen Stabilisierungsmaßnahmen im aktuellen Gesetzentwurf auf den Arzneimittelbereich zu setzen, lässt sich im Vergleich der Leistungsbereiche der GKV somit nicht mit dessen Ausgabenentwicklung der letzten Jahre begründen.“
Das GKV-FinStG hat nicht nur bei Pharmaunternehmen einen schlechten Stand. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass im Grunde schon der Name nicht stimmt. Denn zur Stabilisierung der GKV trägt es – wenn überhaupt – nur kurzfristig bei. Sonst wären ja wenigstens die Krankenkassen dafür. Sind sie aber nicht.
Weiterführende Links:
IGES Institut, im Auftrag von Bayer AG, Boehringer Ingelheim Corporate Center GmbH, Merck Healthcare Germany GmbH, Janssen-Cilag GmbH und Novartis Pharma GmbH: Arzneimittelausgaben im gesamtwirtschaftlichen Kontext, September 2022.
Es betrifft alle Menschen in Deutschland: Die jüngsten Sparpläne der Politik bedrohen akut die Versorgung der Bundesbürger:innen mit innovativen Arzneimitteln. Das sagen Fachleute aus der Pharmabranche. Das sagen zahlreiche Mediziner:innen. Wird das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz in seiner jetzigen Form Realität, wird es den Zugang der Patient:innen zu wirksamen, neuen Medikamenten erschweren – und medizinischen Fortschritt im Keim ersticken.
Das Spargesetz des Bundesgesundheitsministers sieht einen pauschalen 20-prozentigen Abschlag auf Kombinationstherapien vor; also auf Arzneimittel, die ihre volle Wirksamkeit in der Verbindung mit einem weiteren oder mehreren Wirkstoffen entfalten. Das ist medizinisch nicht begründbar, regulatorisch bedenklich und innovationsfeindlich.
Seit Jahren müssen pharmazeutische Unternehmer einen Herstellerrabatt abführen – zurzeit sind es 7 Prozent auf jede verkaufte patentgeschützte Arzneimittelpackung. Eine Projektion des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) zeigt: Es ist eine Sparmaßnahme, die in den Investitionsvolumina dieser Firmen eine kräftige Bremsspur hinterlässt.
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