Die Freunde des Spargesetz-Entwurfes – offiziell trägt es den Titel „GKV-Finanzstabilisierungsgesetz“ – passen in eine Telefonzelle. Mit seinen Plänen, die am 16. September im Bundesrat diskutiert werden, hat sich Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach nicht gerade beliebt gemacht: Ärzteschaft, Apotheker:innen und Krankenkassen finden sich in Empörung vereint. Das Gesetz ist unter der Not geschnürt, dass schnell zweistellige Milliardensummen zusammen kommen müssen, um die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zu stabilisieren.
Das GKV-Spargesetz: „Mehr Fortschritt wagen“ sieht anders aus
Die Pharmaindustrie ist schlicht fassungslos. Die geplanten Einschnitte lesen sich für eine Industrie, die wie keine andere Forschung und Entwicklung vorantreibt, wie ein Horrorrezept aus Frankensteins Küche: Darunter findet sich unter anderem ein 20-prozentiger Pauschalrabatt auf Kombinationstherapien nach bereits erfolgten Rabattverhandlungen, eine Absenkung der Umsatzschwelle auf Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen, das Vorziehen der Geltung des ausgehandelten Erstattungsbetrags auf 7 Monate (bisher: 12). Mit dabei sind der Herstellerzwangsrabatt (erhöht) und das Preismoratorium (verlängert).
Vor diesem Hintergrund klingt das im Koalitionsvertrag versprochene „Mehr Fortschritt wagen“ für die forschende Pharmaindustrie wie eine Drohung. Das wurde auf einer Veranstaltung der Pharmainitiative Bayern, einem Zusammenschluss von 16 in Bayern vertretenen Unternehmen, deutlich.
Dabei, das erklärte die Chefin des forschenden Unternehmens MSD Chantal Friebertshäuser, ist die Pharmabranche gar nicht das Problem. „Sie leistet schon heute einen Sparbeitrag von 21 Milliarden Euro und ist als einzige Branche nicht in der Lage, ihre Preise kurzfristig an steigende Kosten anzupassen.“ Auf unter 10 Prozent wird der Anteil taxiert, den die Pharmaindustrie aus den Kassen der GKV nach Abzug aller Rabatte und Abschläge erhält. Hinzu kommt: Der Anteil der Arzneimittel an den Gesamtkosten der GKV ist seit 50 Jahren (!) stabil.
Gesetzentwurf: für Arzneimittelhersteller eine Zäsur
Chantal Friebertshäuser will deshalb mehr Fakten in der Diskussion über den Gesetzentwurf, denn: „Aus Sicht der forschenden Arzneimittelhersteller sind die Sparmaßnahmen eine Zäsur – nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Patientinnen und Patienten.“ Auf der Veranstaltung der Pharmainitiative wurden dazu 5 Botschaften präsentiert.
- Volkwirtschaftlich betrachtet ist die Pharmaindustrie eine sehr wertvolle Branche. „Sie ist Schlüsselfaktor für Wachstum, Produktivität und Wohlstand“, so Dr. Andreas Jäcker von Bristol Myers Squibb. Bruttowertschöpfung? Exportüberschuss? Alles Spitzenwerte.
- Schon heute leistet die Branche einen erheblichen Sparbeitrag zugunsten der GKV. Wie eine von der Pharmainitiative beauftragte Studie gezeigt hat, addieren sich die Kostendämpfungsmaßnahmen zwischen 2010 und 2020 auf 72 Milliarden Euro.
- Die Studie habe auch gezeigt, so Jäcker, dass sich solche Kostendämpfungsmaßnahmen gleich 3-mal negativ auf Investitionen auswirken. „Cashflow und Kapitalrendite gehen zurück und damit langfristig betrachtet auch die Umsatz- und Ertragserwartungen.“
- Dabei sind, auch das ist ein Ergebnis der BASYS-Studie, Effekte auf Investitionen als Folge von staatlichen Maßnahmen „empirisch nachweisbar.“ Im Falle der forschenden Pharmaindustrie bedeuten weniger Investitionen, dass sich Forschungsprojekte verzögern oder ganz abgebrochen werden. Neue Therapien bleiben auf der Strecke und Patient:innen schauen in die Röhre.
- Und schließlich hat die BASYS-Studie gezeigt, dass sich die negativen Wertschöpfungs- und Investitionseffekte auf das Doppelte der vermeintlichen Einsparung einer Erhöhung des Herstellerrabatts auswirken. „Oder anders formuliert: Die Erhöhung des Herstellerrabatts um 1 Euro verursacht Einkommensverluste und Minderinvestitionen von 2 – 3 Euro“, so Jäcker.
Dabei sind die Folgen für das zukünftige Angebot neuer Therapien nicht enthalten. Sein Fazit: „Sparen kann richtig teuer sein.“
Minister Holetschek: „Eine herbe Enttäuschung“
Auch die politische Konkurrenz von Minister Lauterbach ist von den Sparideen nicht angetan. Für Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek ist der Entwurf „eine herbe Enttäuschung“, der im Übrigen auch sein Ziel nicht erreichen werde. „Dem Arzneimittelstandort Deutschland, der laut Koalitionsvertrag eigentlich gestärkt werden soll, erweist der Bundesgesundheitsminister einen Bärendienst. Durch überstürzte Änderungen beim Bewertungsverfahren für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sowie weitere Preisregulierungen gefährdet er den Pharma- und Forschungsstandort Deutschland. Die pharmazeutischen Unternehmen werden überproportional stark belastet.“ Und ergänzt: „Die Corona-Pandemie hat eindrücklich gezeigt, wie wichtig eine stabile Versorgung mit qualitativ hochwertigen und innovativen Arzneimitteln ist.“
Weiterführende Links:
BASYS Beratungsgesellschaft für angewandte Systemforschung: Gesamtwirtschaftliche und gesundheitswirtschaftliche Auswirkungen der Rabatte auf pharmazeutische Produkte, 2022.
Abschlag auf Kombitherapien: 20 Prozent rückwärtsgewandt
Das Spargesetz des Bundesgesundheitsministers sieht einen pauschalen 20-prozentigen Abschlag auf Kombinationstherapien vor; also auf Arzneimittel, die ihre volle Wirksamkeit in der Verbindung mit einem weiteren oder mehreren Wirkstoffen entfalten. Das ist medizinisch nicht begründbar, regulatorisch bedenklich und innovationsfeindlich.
Deutschland fördert Braunkohle, aber keine Spitzenforschung
Scheibchenweise kommt es ans Licht: Der Beitrag der Pharmaunternehmen zum geplanten GKV-Spargesetz des Bundesgesundheitsministeriums hat sich gegenüber der ersten Ankündigung mehr als verdoppelt. Damit werden einer Hightech-Branche, die wie kaum eine andere für Spitzenforschung steht, massiv Investitionsgelder entzogen. Vor diesem Hintergrund klingt das im Koalitionsvertrag versprochene „Mehr Fortschritt wagen“ wie eine Drohung. Ein Kommentar von Florian Martius.
72.000.000.000 Euro
72,3 Milliarden Euro: Auf diesen Betrag summieren sich die Rabatte und andere Kostendämpfungsmaßnahmen, die die pharmazeutische Industrie zugunsten der Gesetzlichen Krankenkassen zwischen 2010 und 2020 gezahlt hat. Dass das negative Folgen hat, zeigt eine Studie.