Seit Jahren müssen Pharmaunternehmen einen Herstellerrabatt abführen. Eine Projektion des vfa zeigt: Das kostet Milliarden Euro an Zukunftsinvestitionen. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff
Seit Jahren müssen Pharmaunternehmen einen Herstellerrabatt abführen. Eine Projektion des vfa zeigt: Das kostet Milliarden Euro an Zukunftsinvestitionen. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

Herstellerrabatt: Eine teure Wette auf die Zukunft

Seit Jahren müssen pharmazeutische Unternehmer einen Herstellerrabatt abführen – zurzeit sind es 7 Prozent auf jede verkaufte patentgeschützte Arzneimittelpackung. Eine Projektion des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) zeigt: Es ist eine Sparmaßnahme, die in den Investitionsvolumina dieser Firmen eine kräftige Bremsspur hinterlässt.
Dr. Claus Michelsen, Geschäftsführer Wirtschaftspolitik beim vfa und Autor des Policy Brief
Dr. Claus Michelsen, Geschäftsführer Wirtschaftspolitik beim vfa. Foto: ©vfa/B. Brundert

Der Herstellerrabatt zugunsten der Krankenkassen ist nur eine von vielen Maßnahmen, mit denen der Gesetzgeber in den Arzneimittelmarkt eingreift. In den Jahren zwischen 2010 und 2014 lag er statt bei den aktuellen 7 bei 16 Prozent. Der vfa schreibt dazu: „Eine Anhebung des Herstellerrabatts auf Arzneimittel kommt dem Verlust von Investitionen in Milliardenhöhe gleich. Grund für die Annahme: Als der Herstellerrabatt von 2010 bis 2014 auf 16 Prozent erhöht wurde, gingen nach Berechnungen des vfa die Investitionen in der pharmazeutischen Industrie um rund zwei Milliarden Euro zurück. Das entspricht in etwa der Investitionsleistung eines ganzen Jahres.“ Das geht aus dem Economic Policy Brief #MacroScopePharma 06/22 hervor. „Falsche politische Weichenstellungen haben in der pharmazeutischen Industrie höhere Investitionen verhindert“, schreibt Dr. Claus Michelsen, Geschäftsführer Wirtschaftspolitik beim vfa und Autor des Policy Brief. Es sind zwei Milliarden Euro, die fehlen, um den wissenschaftlichen Fortschritt in neue Therapien zu überführen. Es ist ein kurzfristiger Sparerfolg zulasten künftiger, innovativer Arzneimitteltherapien oder Impfstoffe.

Standort Deutschland: Es wird zu wenig investiert

Dabei hat der Standort Deutschland sowieso schon ein Investitionsproblem: Zu Beginn der 1970er Jahre investierte das Land mehr als 30 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in neue Maschinen, Anlagen, Bauten und geistiges Eigentum; Mitte der 2000er Jahre waren es zeitweilig unter 20 Prozent. Seitdem geht es wieder langsam bergauf. Deutschland liegt aber weiterhin unterhalb dessen, was Länder wie Frankreich, Japan oder Südkorea – gemessen an ihrem Bruttoinlandsprodukt – investieren. 

Investitionen gelten als „das Fundament für Wachstum und Beschäftigung einer Volkswirtschaft“, als Voraussetzung für technologischen Fortschritt und die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes, als Grundlage für unternehmerischen Erfolg, den nachhaltigen Aufbau hochqualifizierter Beschäftigung und eines intakten und qualitativ hochwertigen Gemeinwesens, wie die Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums im April 2015 schrieb. „Damit der ‚Standort Deutschland‘ auch für kommende Generationen Wohlstand und Beschäftigung bieten kann, müssen heute die erforderlichen Investitionen für morgen getätigt werden.“ Wenn die Investitionsquote als Gradmesser dafür gilt, wie sehr eine Volkswirtschaft in ihre Zukunft investiert, dann hat Deutschland Nachholbedarf. 

Pharmaindustrie: Spitze bei Forschungs- und Entwicklungsausgaben 

Pharmaindustrie: Spitze bei Forschungs- und Entwicklungsausgaben
Pharmaindustrie: Spitze bei Forschungs- und Entwicklungsausgaben. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

Dabei ist die „signifikante Investitionsschwäche“ (O-Ton Expertenkommission) in Teilen hausgemacht. Soll heißen: Sie ist das Ergebnis politischer Entscheidungen. Noch einmal Michelsen: „Für die pharmazeutische Industrie, die aufgrund ihres Spitzenwerts bei den Forschungs- und Entwicklungsausgaben zu den Hightech-Branchen Deutschlands zählt, wurden im Nachgang der Weltfinanzkrise einschneidende Veränderungen in der Erstattung für Arzneimittel beschlossen.“ So gilt seit dem Jahr 2011 das Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG), das die Preisfindung bei neu auf den Markt kommenden, innovativen Arzneimitteln grundlegend neu geregelt hat. Außerdem wurde der Herstellerrabatt für drei Jahre auf 16 Prozent erhöht. 

Und das ist noch nicht alles. Eine Studie der BASYS Beratungsgesellschaft für angewandte Systemforschung hat herausgefunden, dass sich die Kostendämpfungsmaßnahmen zulasten der Pharmaunternehmen in Deutschland im Zeitraum zwischen 2010 und 2020 auf 72,3 Milliarden Euro summiert haben. Allein der gesetzliche Herstellerrabatt machte im vergangenen Jahrzehnt 21,3 Milliarden Euro an Abschlägen aus, das AMNOG-Gesetz weitere 13,5 Milliarden Euro. Allgemeine vertragliche Rabatte zwischen Herstellern und der GKV summierten sich auf 37,5 Milliarden Euro. 

Herstellerrabatt: Sparen zulasten der Zukunft

Man könne eine Erhöhung des Herstellerrabatts nicht empfehlen, so die Autoren der BASYS-Studie, denn die negativen Wertschöpfungs- und Investitionseffekte würden das Zwei- bis Dreifache der vermeintlich erzielten Einsparungen ausmachen. Und auch Michelsen glaubt, dass Kostendämpfungsmaßnahmen wie der Herstellerrabatt wirtschaftspolitische Ziele unterlaufen, weil sie unmittelbar den Verlust an Leistungsfähigkeit einer Hightech-Industrie nach sich ziehen. Es sind Kostendämpfungsmaßnahmen, die unter dem Strich teuer sind. Sie behindern Zukunft.

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