Für die einen sind sie der Motor für Innovationen, für die anderen behindern sie den Zugang der Menschen zu Innovationen. Warum Patente? Ein Interview. Foto: ©istock.com/gorodenkoff
Für die einen sind sie der Motor für Innovationen, für die anderen behindern sie den Zugang der Menschen zu Innovationen. Warum Patente? Ein Interview. Foto: ©istock.com/gorodenkoff

Patente: Neues möglich machen

Für die einen sind sie der Motor für Innovationen, für die anderen behindern sie den Zugang der Menschen zu Innovationen. Wie wichtig ist der Schutz des geistigen Eigentums für die Entwicklung der Menschheit? Ein Gespräch mit Dr. Martin Fensch. Er ist Vice President Governmental Affairs & Strategic Partnerships Europe and Canada beim forschenden Pharmaunternehmen Daiichi Sankyo.

Warum Patente? Was haben die Menschen davon?

Dr. Martin Fensch: Seit etwa 600 Jahren nutzen Menschen Patente als Übereinkunft, um verschiedenste Interessenslagen auszubalancieren und Innovationen einen Wert und einen Rechtsstatus zu verleihen. Patente beziehungsweise Schutzrechte geistigen Eigentums bieten dabei einen Rahmen, der die Entwicklung von Neuem möglich, attraktiv und sicher macht. Aus meiner Sicht ist das eine große und erstaunliche gesellschaftliche Errungenschaft. Die Geschichte hat gezeigt: Das funktioniert.

Dr. Martin Fensch, Vice President Governmental Affairs & Strategic Partnerships Europe and Canada beim forschenden Pharmaunternehmen Daiichi Sankyo
Dr. Martin Fensch, Daiichi Sankyo. Foto: Daiichi Sankyo

Ganz grob: Wie funktionieren sie?

Fensch: Patentrechte oder auch Copyrights sowie Trademarks geben vor allem immateriellen Gütern einen temporären Schutz, zum Beispiel vor Nachahmern und Fälschern, und regeln auch, wann dieser Schutz erlischt. Dann werden diese Güter Allgemeingut. Das ist der Deal, ein fairer, wie ich finde.

Perspektivwechsel: Was wäre das für eine Welt ohne Patentschutz?

Fensch: Der Steinbruch der Vergangenheit wäre dann wohl bald der einzige Rohstofflieferant für unsere technologische, medizinische, kulturelle Entwicklung – ein „sich Erschöpfen“ in immer neuen Konfigurationen des Gestern. Zunächst hätten es Produzenten geistigen Eigentums außerhalb von Universitäten oder Stiftungen schwer finanziell zu überleben. Sie müssten gegebenenfalls auf andere Tätigkeiten umschwenken, da eine noch so starke intrinsische Motivation ihre Grenzen hat, wenn es ums Überleben geht. Wer etwas erfindet, behält es wahrscheinlich für sich oder versucht es nur in kleinen Kreisen zu vermarkten. Das Fehlen eines verlässlichen rechtlichen Rahmens würde zudem das Teilen von Neuem, von Wissen und Erfindungen und damit innovative Eco-Systeme – das gegenseitige Befruchten verschiedener Sektoren – zum Erliegen bringen. Noch ein Punkt: Länder ohne größere Rohstoffvorkommen würden eine wichtige Möglichkeit einbüßen, Wohlstand und Entwicklung zu erzeugen.

Kritiker:innen sagen: Patente und andere Schutzrechte verhindern Zugang zu Innovationen…

Fensch: Der Zusammenhang ist natürlich da. Der Schutz verhindert den ungehinderten Zugang. Dafür ist er gedacht. So ist es ja auch bei materiellen Gütern. Ich kann mir nicht einfach das Auto des Nachbarn nehmen oder mit vollem Einkaufswagen im Supermarkt lächelnd an der Kasse vorbei gehen. Heben wir den Schutz aber heute auf, haben wir morgen nichts mehr zu schützen.

Und das gilt auch für Medikamente?

Fensch: Ja, unbedingt. Die medizinische Forschung ist Ressourcen-intensiv, langwierig, teuer, von vielen Rückschlägen geprägt, der Weg zur Zulassung über große klinische Studien steinig, die Produktion komplex – wer sollte das auf sich nehmen ohne einen verlässlichen rechtlichen Rahmen, der eine sichere Phase der möglichen Rekapitalisierung bietet? Allerdings sollten für extreme Ausnahmesituationen wie Pandemien Mechanismen gefunden werden, wie das Wissen unter Einbeziehung der Patentinhaber schnell und global geteilt werden kann.

Gesundheitsversorgung
Ziel: Gesundheitsversorgung der Bürger in allen EU-Ländern verbessern. Foto: ©iStock.com/seb_ra

Die EU plant im Rahmen des EU-Pharmapakets eine Reform der Urheberrechte. Eine gute Idee?

Fensch: Das Ansinnen der EU, die Gesundheitsversorgung der Bürger in allen EU-Ländern zu verbessern, ist absolut zu unterstützen. Mit einer Schwächung des Rahmens für Intellectual Property bei Medikamenten wird man dies allerdings nicht erreichen können. Ich befürchte, das geht sogar nach hinten los. Rund dreiviertel aller pharmazeutischen Innovationen kommen aus Nicht-EU-Ländern. Dass diese die Innovationen mit uns teilen, sollte man nicht als natürlich gegeben betrachten. Verschlechtert sich der Rahmen zu sehr, könnten Unternehmen ganz darauf verzichten, Produkte auf EU-Märkte zu bringen, oder später. Damit wäre niemandem geholfen. Zudem schwächt das Vorhaben meines Erachtens die Forschung und Entwicklung in der EU und die Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der EU. Unser Anteil am medizinischen Fortschritt würde weiter sinken und damit auch unsere Mitsprachemöglichkeiten. Der „Gap“ in Sachen Innovationen und Wettbewerbsfähigkeit beispielweise gegenüber den USA würde noch größer werden. Kurz: das Ziel der EU ist richtig, der angedachte Weg der falsche.

In einem neu entwickelten Auto stecken zig neue Patente – niemand kritisiert das. Warum steht Pharma wegen seiner Patente immer wieder in der Kritik?

Fensch: Bei Life Science geht es um das Leben. Da sind die Abwägungen, das Ausbalancieren von Interessen und Rechten, vom Einzelfall bis zur gesellschaftlichen oder internationalen Bedeutung besonders herausfordernd. Pharma muss das sicher noch besser erklären und Bedenken ernst nehmen.

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