„Selten“ heißt eine Krankheit, die selten vorkommt – in der Europäischen Union (EU) ist das unmissverständlich definiert: Nicht mehr als fünf Betroffene auf 10.000 Menschen dürfen es sein. Selten bedeutet hingegen nicht, dass es nur wenige Krankheiten gibt, die in diese Kategorie fallen: Es sollen zwischen 6.000 und 8.000 sein – je nachdem, wen man fragt. In Deutschland leiden rund vier Millionen Menschen an einer dieser „orphan diseases“ – europaweit sind es rund 30 Millionen: Selten sind viele (Pharma Fakten berichtete).
Die Forschung hat diese Menschen nicht vergessen. In der EU stehen ihnen rund 190 Medikamente zur Verfügung. Über 40 Prozent der im Jahr 2020 in Deutschland neu eingeführten Arzneimittel wurden für die Behandlung seltener Erkrankungen zugelassen – und manche davon sind eine erste ursächliche Therapie überhaupt. Darunter findet sich ein erstes Medikament gegen Hepatitis D, eine neue Therapie zur Behandlung der Mukoviszidose (Pharma Fakten berichtete) oder des Multiplen Myeloms, eine Behandlungsmöglichkeit für die Beta-Thalassämie oder eine Gentherapie gegen die spinale Muskelatrophie.
Forschung im Fokus: Mehr als 2.000 Therapien in der Entwicklung
Mit dem wachsenden Angebot steigen auch die Umsätze mit Orphan Drugs. Ihr Anteil am Arzneimittel-Gesamtmarkt ist aber weiterhin sehr überschaubar (s. Grafik): Im vergangenen Jahr lag er laut IQVIA bei 6,4 Prozent. Interessant sind die Unterschiede zwischen dem niedergelassenen Bereich und den Kliniken: Während der Anteil bei letzteren rund ein Sechstel ausmacht (16,9 %), sind es bei niedergelassenen Ärzt:innen rund ein Zwanzigstel (Apothekenmarkt: 4,7 %). Das liegt daran, dass manche dieser Erkrankungen ausschließlich in spezialisierten Kliniken behandelt werden.
Für die forschenden Unternehmen stehen seltene Erkrankungen im Fokus: Derzeit befinden sich rund 2.150 Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen gegen seltene Erkrankungen in der Entwicklung, so ihr Verband vfa. Der medizinische Bedarf ist enorm – und die wissenschaftlichen Herausforderungen sind es auch: Etwa 80 Prozent der seltenen Erkrankungen gelten als genetisch bedingt. Deshalb wird immer mehr an Gentherapien geforscht (Pharma Fakten berichtete).