Seltene Erkrankungen diagnostizieren – mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz

Menschen mit einer seltenen Erkrankung haben oftmals eine lange Odyssee hinter sich, bis ein Mediziner die richtige Diagnose stellt. Es ist wie eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen in der Europäischen Union (EU) sind von dem jeweiligen Leiden betroffen. Und auch der beste Arzt der Welt kann nicht alle der rund 8.000 seltenen Erkrankungen kennen. Neue Möglichkeiten eröffnen hier Big Data und Künstliche Intelligenz (KI).

Im Durchschnitt muss ein Patient mit einer „rare disease“ zu 7,3 Ärzten gehen, bis er eine Diagnose erhält. Erst nach rund fünf Jahren steht fest, an welcher seltenen Erkrankung er leidet. Es ist ein langer Weg – mit so einigen Rückschlägen: 40 Prozent der Betroffenen bekommen zunächst eine Fehldiagnose. Das geht aus einer Veröffentlichung von IQVIA hervor. Dr. Frank Wartenberg, President Central Europe des Beratungsunternehmens, weiß: „Angesichts der zunehmenden Komplexität von Therapien bei komplexen Erkrankungen benötigen Ärzte Instrumente, die Entscheidungen unterstützen.“ Schließlich ist das „frühe Erkennen von Krankheiten […] entscheidend für eine ordnungsgemäße, rechtzeitige Diagnose und die Einleitung einer wirksamen Therapie“.

Große Hoffnungen geben Technologien des maschinellen Lernens, die auf Künstlicher Intelligenz basieren. Die Voraussetzung: Es muss eine ausreichende Menge an Patientendaten aus dem klinischen Alltag zur Verfügung stehen. Dann könnte maschinelles Lernen helfen, „komplexe klinische Muster für die Frühdiagnose von Krankheiten zu erkennen“, so Wartenberg. Noch wird dieses Potenzial wenig genutzt – doch es ist enorm: Denkbar wäre etwa der Einsatz von Algorithmen, die so entwickelt wurden, dass sie „krankhafte Veränderungen z.B. in bestimmten Körperregionen“ erkennen. Oder die Anwendung von Systemen, die Bilddaten der Patienten „standardisiert und automatisch“ analysieren.

Dr. Frank Wartenberg. Foto: IQVIA
Dr. Frank Wartenberg. Foto: IQVIA

Es gilt: Umso mehr Informationen von einer Vielzahl an Erkrankten vorliegen, desto eher kann KI zuverlässig bestimmte Muster erkennen und den Arzt bei der Diagnosefindung unterstützen. Wartenberg ist sich sicher: „Mit einem Zugewinn an Daten als Basis des Maschinellen Lernens sind den diagnostischen Möglichkeiten kaum Grenzen gesetzt.“ Das gilt auch für den Bereich der seltenen Erkrankungen.

KI: Große Potenziale auch für die Therapie

Darüber hinaus eröffnet KI für die Arzneimitteltherapie neue Möglichkeiten. So könnte z.B. die Auswertung anonymisierter Patientendaten die Mediziner dabei unterstützen, mehr über den Verlauf einer Krankheit zu erfahren und die Betroffenen besser einzuordnen. „Welche Patienten sollten möglichst früh therapiert werden, um den weiteren Verlauf zu bremsen, und wer profitiert vom Abwarten? Wer benötigt welche Medikamente in welcher Dosierung? Und wer sollte auf weitere Krankheiten untersucht sowie behandelt werden?“

Wartenberg resümiert: „Digital Health wird die Versorgung von Patienten revolutionieren – unter der Voraussetzung, dass methodisch hochwertige, umfangreiche Datenpools (‚Big Data‘) vorliegen.“ Auch ein effektiverer Einsatz von Ressourcen ist dann möglich, meint der Experte: Komplexe und kostenintensive Therapien kommen nur bei den Patienten zum Einsatz, bei denen die Datenanalyse ergeben hat, dass sie von diesen tatsächlich profitieren.

Noch ist es ein weiter Weg hin zu einer umfassenden Digitalisierung der Gesundheitsbranche. Als eine Art Booster kann jedoch die Coronavirus-Krise wirken. So gibt es laut Wartenberg aktuell „viele Initiativen, um Patientendaten (etwa auch durch individuelle ‚Datenspende‘) für die ad-hoc- Forschung im Kontext des Virus (Impfstoffentwicklung, Identifizierung potenzieller Therapien, Krankheitsverläufe) zu nutzen“. Das zeigt: Aus einer Pandemie kann man durchaus auch etwas lernen.

teilen
teilen
teilen

Verwandte Nachrichten

Anmeldung: Abo des Pharma Fakten-Newsletters

Ich möchte per E-Mail News von Pharma Fakten erhalten: