Der BPI hat die AMNOG-Daten 2019 veröffentlicht. Foto: © iStock.com/utah778
Der BPI hat die AMNOG-Daten 2019 veröffentlicht. Foto: © iStock.com/utah778

Sechs Jahre AMNOG: Der Hürdenlauf zum Zusatznutzen

Das Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) geht ins siebte Jahr. Für Pharmaunternehmen entwickelt es sich immer mehr zum Hürdenlauf.

Sechs Jahre AMNOG – das sind sechs Jahre frühe Nutzenbewertung in Deutschland. Per Jahresschluss 2016 wurden insgesamt 228 Verfahren durchgeführt. Das Gesetz habe sich bewährt, lobt sich die Bundesregierung selbst in ihrem Entwurf zum neuen Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AM-VSG). Der will auch das AMNOG weiterentwickeln – schließlich soll es ein „lernendes“ System sein.

Bei 228 Verfahren möchte man meinen, dass das System schon aus Erfahrung besser wird. Das darf getrost bezweifelt werden. Zweifel, die nicht nur die pharmazeutische Industrie vorträgt.

Gerade erst hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) das Verfahren zum Krebspräparat Nivolumab bei Patienten mit fortgeschrittenem Melanom abgeschlossen. Einen Zusatznutzen sieht der G-BA gegenüber der Vergleichstherapie aus formalen Gründen nicht. Die Vergleichstherapie hatte der G-BA noch während des Verfahrens geändert – ohne das Unternehmen vorab darüber zu informieren, wie Bristol-Myers Squibb in einer Pressemitteilung mitteilte. BMS zeigte sich „schockiert“ und fragt sich, was Konsultationen mit dem G-BA und die daraus basierende Dossier-Erstellung noch für einen Sinn machen.

„Aus formalen Gründen kein Zusatznutzen“ – diese Bewertung ist im AMNOG fast schon ein Klassiker. Leider steckt dahinter ein Methodenstreit, der in diesem Fall auf dem Rücken einer besonders sensiblen Patientengruppe ausgetragen wird. Der fortgeschrittene Schwarze Hautkrebs ist schwer heilbar und endet oft tödlich. Dass sich die Chancen der Patienten zuletzt deutlich erhöht haben, liegt an neuen, systemischen Therapien, wie die Deutsche Krebsgesellschaft erklärt. Nivolumab ist eine solche systemische Therapie. Die Frage ist also: Wie patienten-orientiert ist eine solche Entscheidung? Auch die onkologische Fachgesellschaft DGHO sieht vermehrt Anzeichen dafür, dass gerade bei der Bewertung von Krebsmedikamenten die Patientenorientierung unter die Räder gerät.

Das Hauptanliegen des AMNOG, mittels einer Nutzenbewertung das Innovationspotenzial und den Mehrwert eines neuen Wirkstoffs zu untersuchen und auf dieser Basis einen Erstattungsbetrag zu verhandeln, wird von den pharmazeutischen Unternehmen unterstützt. Aber das erwähnte Beispiel ist ein weiterer Beleg dafür, dass es in der Praxis weiterhin nicht gelingt, ein Gleichgewicht zwischen den Akteuren herzustellen.  Die Folgen davon – das sollte jedem klar sein – gehen nicht nur zu Lasten der Firmen. Vornehm ausgedrückt: Sie haben das Potenzial, die Versorgung von Patienten in Deutschland zu verschlechtern.

Die rigide Bewertungspraxis von IQWiG und G-BA und die daraus folgenden Konsequenzen für die Preisverhandlungen führen dazu, dass immer mehr neue Wirkstoffe in Deutschland gar nicht mehr auf den Markt gebracht werden oder im Laufe des AMNOG-Prozesses wieder vom Markt verschwinden. Darunter sind Arzneimittel gegen Diabetes, Epilepsie, HIV und Krebs. Außerdem führt die im internationalen Vergleich sehr strenge Bewertungspraxis dazu, dass die meisten Präparate aus formalen Gründen scheitern. Das birgt das Risiko, dass Innovationen – bzw. ihr Mehrwert für Patienten – gar nicht erkannt werden. Das AMNOG entwickelt sich zu einer Hürde für Innovationen.

Von dort ist es zur Versorgungshürde nicht weit. Denn Arzneimittel, die nicht am Markt verfügbar sind, sind auch in der Therapie genau das: für Patienten nicht verfügbar. Eine weitere Hürde wird dadurch aufgebaut, dass viele Player im System (z.B. die Krankenkassen, die Kassenärztlichen Vereinigungen) dem Glauben verfallen sind, Präparate ohne belegten Zusatznutzen hätten keinen oder einen geringeren Nutzen als ältere Präparate. Sie werden entsprechend selten verschrieben – obwohl sie oftmals eine wertvolle Therapie-Alternative darstellen oder sogar eine echte therapeutische Verbesserung, die der AMNOG-Prozess nur nicht in der Lage war zu erkennen.

Schließlich haben selbst die im Rahmen des AMNOG verhandelten Preise einen „Hürdeneffekt“: Parallel-Händler machen sich die höheren Preise im Ausland zunutze und exportieren in Länder mit höherem Erstattungspreis. So entstehen hierzulande Liefer- und Versorgungsengpässe – zum Schaden der Patienten. Nur am Rande sei bemerkt, dass die im internationalen Vergleich unattraktiven Erstattungspreise die Attraktivität des deutschen Pharmastandortes nicht erhöhen: Das AMNOG wird zur Investitionshürde.

Hat sich das AMNOG wirklich bewährt? Es gleicht heute vielmehr einem Hürdenlauf. Aber Innovations-, Versorgungs- und Investitionshürden zu errichten, war nicht das Ziel der Politik, als das Gesetz aus der Taufe gehoben wurde. Noch ist es Zeit, das zu ändern – z.B. im aktuell diskutierten Gesetzentwurf zur Stärkung der Arzneimittelversorgung. Dann würde dieser seinen Namen auch zu Recht tragen.

Florian Martius

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