Ohne sie würde kein einziger mühsam entwickelter Wirkstoff zu den Patienten kommen: Denn erst die Galeniker bringen ihn in eine gebrauchsfertige Form. Foto: © iStock.com/WanjaJacob
Ohne sie würde kein einziger mühsam entwickelter Wirkstoff zu den Patienten kommen: Denn erst die Galeniker bringen ihn in eine gebrauchsfertige Form. Foto: © iStock.com/WanjaJacob

AMVSG: Von “knallenden Champagnerkorken” und anderen Märchen

Das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) ist verabschiedet. Was daran die Versorgung stärken soll, bleibt unklar. Ein Kommentar.

Für Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe ist das AMVSG ein „Gesamtkunstwerk“ – er dürfte froh sein, dass dieses umstrittene Gesetz nun endlich abgehakt ist. Vertreter der Krankenkassen vermuten, dass „bei der Pharma-Lobby die Champagnerkorken knallen“. Und die pharmazeutische Industrie lehnt das AM-VSG als Spargesetz ab, das das Potenzial hat, die Versorgung mit Medikamenten zu verschlechtern. Ja, alle drei sprechen über dasselbe Gesetz.

Warum ein pharmazeutischer Unternehmer allerdings ausgerechnet bei diesem Gesetz in Feierlaune verfallen soll, bleibt das Geheimnis von Kassenfunktionären. Das AM-VSG verlängert das Preismoratorium bis ins Jahr 2022; der Preisstopp für Arzneimittel ohne Preisregulierung gilt dann bald anderthalb Jahrzehnte und ist vor allem für mittelständische Unternehmen ein Schlag ins Gesicht.

Außerdem verankert das AMVSG die Voraussetzung dafür, dass Medikamente, die für Patienten in Deutschland vorgesehen sind, ins Ausland abfließen können. Dem hätte die Pharma-Industrie durch die Vertraulichkeit der ausgehandelten Erstattungspreise gern einen Riegel vorgeschoben. Denn: Sind die Preise hierzulande niedriger als beispielsweise in Italien, lohnt sich das Versenden dieser Medikamente über den Brenner. Gekniffen sind davon eigentlich alle: Ärzte und Patienten sehen sich mit Lieferengpässen konfrontiert, die Kassen müssen damit rechnen, dass sich der Widerstand der Industrie gegen Rabatte eher verstärkt und Pharma-Unternehmen bekommen einen auf den Deckel, wenn sich durch Preisgefälle ausgelöste Lieferengpässe zu Versorgungsproblemen ausweiten. Deshalb ist der Wegfall der im Gesetzentwurf noch geplanten Vertraulichkeit kein „Sieg der Transparenz“, sondern eigentlich ein Eigentor.

Nicht mehr im Gesetz auffindbar ist die Umsatzschwelle für Medikamente, die pro Jahr einen Umsatz von 250 Millionen Euro und mehr machen – aus Sicht der Kassen wäre das ein Mittel gegen die so genannten „Mondpreise“ gewesen. Getroffen hätte diese Regelung nach heutigem Stand nur drei Medikamente. Und damit ganz nebenbei die Innovationen unter den Innovationen, also Arzneimittel, die die Versorgung von Patienten mit schweren Erkrankungen nachhaltig verbessert haben. Die im Rahmen des AMNOG zwischen Unternehmer und GKV-Spitzenverband ausgehandelten Erstattungspreise lagen übrigens meist gar nicht weit auseinander. Sprich: Da war wenig Mond im Preis – was beweist, wie unnötig die Idee einer Umsatzschwelle war.

Tatsache ist: Die verschiedenen Nachlässe der Industrie – durch AMNOG-Erstattungsbeträge, Preismoratorium, Zwangsrabatt oder Rabattverträge – summieren sich mittlerweile auf 6,5 Milliarden Euro pro Jahr, wie der Datenanalyst Quintiles IMS vorgerechnet hat. Und wenn schon Champagnerkorken: Die dürften eher bei den Kassen knallen, denn Gesundheitsfonds und Krankenkassen haben momentan ein 25 Milliarden Euro schweres Finanzpolster.

Ein „AMNOG 2.0“ soll das AMVSG in den Vorstellungen der Regierungskoalition sein. Das ist es aber nicht – denn es ignoriert den Reformbedarf der frühen Nutzenbewertung von innovativen Medikamenten. Weder lässt sich mittlerweile die Kritik vieler Fachgesellschaften überhören, die im AMNOG eine Innovationshürde sehen, noch die Tatsache weg reden, dass in Deutschland noch nie so viele Medikamente nicht oder nicht mehr verfügbar sind. 

Florian Martius

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