Dringend gesucht: Neue Antibiotika. Foto: © iStock.com/cosinart
Dringend gesucht: Neue Antibiotika. Foto: © iStock.com/cosinart

Das Antibiotika-Dilemma

Weil sie zu wenig damit verdienen, steigen Pharmaunternehmen aus der Antibiotika-Forschung aus, heißt es dieser Tage in vielen Medien. Diese Analyse greift zu kurz. Ihr liegt ein tiefgreifendes Unverständnis zugrunde, wie Arzneimittelforschung funktioniert. Ein Kommentar von Florian Martius.
Florian Martius, Foto: ©pharmafakten
Florian Martius, Foto: ©pharmafakten

„Im Gegensatz zu Krebsmedikamenten oder chronischen Erkrankungen ist der Verkauf von Antibiotika nicht lukrativ – schließlich muss der Patient die Bakterienkiller nur für kurze Zeit einnehmen.“ So oder ähnlich war es in den vergangenen Tagen in vielen Medien zu lesen, die einen Bericht des NDR über die „Antibiotikakrise“ aufgegriffen hatten.

Es ist ein einigermaßen absurdes Argument. Denn dies zu Ende gedacht, müsste man Pharmaunternehmen vorwerfen, dass sie nicht alle Tassen im Schrank haben, weil sie Impfstoffe entwickeln, die Krankheiten verhindern können, bevor sie entstehen. Oder eine Tablette erforschen, mit der man Hepatitis C in wenigen Wochen heilen kann, womit sich die Unternehmen durch die Elimination einer Infektionskrankheit ihr eigenes Umsatzgrab schaufeln – was für eine Schnapsidee! Oder sich bemühen, bessere und nebenwirkungsärmere Medikamente zu entwickeln, denn schließlich sind nach dieser Lesart weder gesunde noch geheilte Patienten ein Geschäftsmodell.

Seit 2011 sind elf neue Antibiotika auf den Markt gekommen. Foto: CC0 (Stencil)
Seit 2011 sind elf neue Antibiotika auf den Markt gekommen. Foto: CC0 (Stencil)

Antibiotika-Forschung: Es tut sich nicht nichts

Ganz abgesehen davon, dass der Eindruck vermittelt wird, dass im Bereich der Antibiotika-Forschung gar nichts passiert. Dem ist aber nicht so: Die Forschungsaktivitäten einiger großer und vieler kleiner Pharma-Unternehmen haben gerade erst zur Zulassung zweier neuer Antibiotika geführt. Weitere sechs sind zur Zulassung eingereicht, wie der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) mitteilt. Das „sind wichtige Gegenmaßnahmen, reichen aber nicht aus“, heißt es dort. Seit 2011 sind elf neue Antibiotika auf den Markt gekommen.

Richtig ist aber eines: Mit Antibiotika lässt sich schlecht Geld verdienen. Das liegt aber nicht an einem Marktversagen, sondern daran, dass sinnvollerweise massiv in den Markt eingegriffen wird. Denn die Strategie ist es, jede Innovation in diesem Bereich nach Zulassung in den Arzneimittelschrank zu verbannen – als Notfall-Reserve, wenn mit den heute noch wirksamen Antibiotika überhaupt nichts mehr geht. Dr. Siegfried Throm, vfa-Geschäftsführer Forschung sagt: „Fakt ist, dass sich die Entwicklung neuer Antibiotika kaum refinanzieren lässt, da diese nur im Notfall eingesetzt werden sollen.“

Antibiotika: Ein Geschäft ohne Geschäftsmodell?

Alt-Gesundheitsminister Hermann Gröhe hat das Dilemma schon vor Jahren so zusammengefasst: „Wir sagen: Erfindet etwas Neues. Und dann sagen wir: Aber verkauft es möglichst selten.“ Als „Business Model“ müsse sich das erst mal durchsetzen. Prof. Dr. Jochen Maas, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung bei Sanofi-Aventis,  erklärte  auf dem Hauptstadtkongress 2018 im Hinblick auf Reserveantibiotika: „Wenn Sie mir ein Geschäftsmodell nennen, wo Sie mit möglichst wenig Verkauf Profit machen, dann haben Sie die 100-Millionen-Dollar-Frage beantwortet.“ Er erinnerte daran, dass über 99 Prozent neuer Forschungsansätze im Bereich der Antibiotika es nicht auf den Markt schafften.

CDU-Politiker Liese: Politikversagen

Konsequenterweise spricht der Europapolitiker Peter Liese (CDU) von einem Politikversagen: „Man kann Unternehmen nicht vorwerfen, nicht in ein Produkt zu investieren, bei dem sie am Ende massiv draufzahlen. In allen Bereichen der Wirtschaft ist es so, dass niemand in ein Produkt investiert, wenn er dadurch Geld verliert.“ Liese fordert deshalb einen gesetzlichen Rahmen, der die Unternehmen in die Lage versetzt – und gegebenenfalls verpflichtet – Antibiotika-Forschung voranzutreiben.

Fakt ist: Weil die Zeit drängt, muss dringend etwas passieren. Denn längst ist klar, dass Antibiotikaresistenzen eine der großen globalen Bedrohungen sind, die das Potenzial haben, wichtige Erfolge bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten zunichte zu machen. Von Superbugs ist die Rede – also Bakterien, gegen die kein Medikament mehr wirkt – und von der Rückkehr in das „Vor-Penicillin-Zeitalter“, bei der jede Schramme, jede Routine-Operation ein gesundheitliches Risiko darstellen kann.

Vfa-Geschäftsführer Throm fordert deshalb zu Recht neuen Schub für die Antibiotika-Entwicklung. Es „muss das Anreizsystem zur Entwicklung von Antibiotika in Europa und in Deutschland verbessert werden. Das betrifft insbesondere die adäquate und zeitnahe Vergütung neuer Antibiotika.”

Tatsache ist: Das Problem ist nicht neu. Aber es braucht dringend eine Lösung. Ein funktionierendes Geschäftsmodell wäre schon einmal ein Anfang.

Sehen Sie dazu auch das Pharma Fakten-Video: Warum gibt es Antibiotika-Resistenzen?

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