13 Wissenschaftler*innen schlagen eine NO-COVID-Strategie vor  bei der die Infektionszahlen auf 0 gesenkt und dort gehalten werden sollen. Foto: ©iStock.com/kzenon
13 Wissenschaftler*innen schlagen eine NO-COVID-Strategie vor bei der die Infektionszahlen auf 0 gesenkt und dort gehalten werden sollen. Foto: ©iStock.com/kzenon

NO-COVID-Strategie: Grüne Zonen für Deutschland und Europa

Fabriken und Kitas können offenbleiben, es gibt keine Grenzschließungen und schon gar keinen langfristigen, landesweiten Lockdown, wie wir ihn derzeit haben – dies alles sieht eine NO-COVID-Strategie vor, die namhafte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Disziplinen erarbeitet haben. Allerdings müssen bestimmte Ziele gesteckt und erreicht werden.
Ziel der NO-COVID-Strategie: Leben ohne Kontaktbeschränkungen. 
Foto: ©iStock.com/Alessandro Biascioli
Ziel der NO-COVID-Strategie: Leben ohne Kontaktbeschränkungen.
Foto: ©iStock.com/Alessandro Biascioli

Das zehnseitige Grundsatzpapier, das zuerst auf „Zeit online“ veröffentlicht wurde, hat es in sich: Die 13 Autoren und Autorinnen entwickeln darin eine Strategie, die darauf abzielt, COVID-19-Neuinfektionen und -Todesfälle ebenso zu vermeiden wie weitere bundesweite Lockdowns. Wie das gehen soll? Im Prinzip besteht die Strategie aus drei Schritten: schnelles Absenken der Infektionszahlen; Einrichtung so genannter „Grüner Zonen“; und schließlich „rigoroses Ausbruchsmanagement bei sporadischem Auftreten neuer Fälle.“

NO-COVID-Strategie: Vorbild Melbourne

Vorbild für die NO-COVID-Strategie sind Länder wie Australien oder Neuseeland, wo es mit ebenso gezielten wie konsequenten Maßnahmen gelungen ist, das SARS-CoV-2-Virus in Schach zu halten. So gab es etwa in der australischen Großstadt Melbourne einen Vier-Stufen-Plan, mit dem innerhalb von vier Wochen eine stabile Inzidenz von 0 erreicht wurde – es gab also keine Neuinfektionen mehr. Dafür mussten in den ersten zwei Wochen deutliche Einschränkungen hingenommen werden. Auch in dieser Zeit gab es keinen kompletten Lockdown, aber die eigene Wohnung durfte nur aus triftigem Grund verlassen werden und Schulunterricht fand ab der 3. Klasse vor dem Computerbildschirm statt. Gearbeitet wurde möglichst im Homeoffice. Anfangs durften nur „systemrelevante Berufe“ in der Arbeitsstätte ausgeübt werden, dann folgte eine schrittweise Öffnung für weitere Berufsfelder „nach Plänen der Wirtschaft“. Kitas und Krippen blieben von Anfang an geöffnet. Je weiter die Inzidenz absank, desto mehr Freiheiten gab es, bis Melbourne schließlich den Status der „Grünen Zone“ erreichte – ohne Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen, mit Präsenzunterricht an allen Schulen und einer schrittweisen Rückkehr der Beschäftigten an den Arbeitsplatz.

Im Kampf gegen COVID-19: Grüne Zonen schaffen

"Grüne Zonen" für Deutschland & Europa. ©iStock.com/gabriel_bostan/FilmColoratStudio
“Grüne Zonen” für Deutschland & Europa. ©iStock.com/gabriel_bostan/FilmColoratStudio

Solche „Grünen Zonen“ soll es nach den Vorstellungen der Wissenschaftler*innen bald auch in Deutschland und Europa geben. Mit einem harten Lockdown zu Beginn lasse sich zügig der Grüne-Zone-Status erreichen, der dann durch Mobilitäts-Kontrollen, Tests und Quarantänen abgesichert werden soll. Ansonsten herrscht wieder ein normales Leben mit offenen Schulen, Kneipen, Geschäften oder Konzertsälen. Sobald jedoch neue COVID-19-Fälle auftreten, werden die Maßnahmen wieder verschärft – aber eben nur regional begrenzt in jener Zone, die von grün auf rot gesprungen ist. Will heißen: In einem Landkreis mit steigenden Fallzahlen gibt es deutliche Einschränkungen, im Nachbarlandkreis ohne aktuelle Erkrankungsfälle bleiben alle Freiheiten erhalten – mit Ausnahme der Freiheit, von „grün“ nach „rot“ und umgekehrt zu reisen.

Zu den 13 Wissenschaftler*innen, die die NO-COVID-Strategie entwickelt haben, gehören der Mediziner Michael Hallek, die Ökonomen Andreas Peichl und Clemens Fuest und die Virologin Melanie Brinkmann. Sie erklärte in einem Gespräch mit tagesschau.de: „Wir müssen diesen Brand jetzt löschen. Nur, wenn man auf null Infektionen kommt, kann man diesen ewigen Zyklus von immer neuen Verschärfungen mit ungewissem Ende durchbrechen.“ Damit das gelingt, sei kein radikaler Shutdown der Wirtschaft notwendig, sondern ein positiver Ansporn für die Menschen – mit einer klaren Zielmarke, die auch funktioniert. Aus Sicht von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist eine Null-Covid-Strategie für Deutschland nicht geeignet. Er sehe das „nicht auf Deutschland übertragbar“, sagte er. Das Land liege in der Mitte eines Kontinents, in der Mitte der Europäischen Union, „deswegen sehe ich Null als dauerhafte Zielmarke nicht als das, was in einem Land wie Deutschland mit unserer Lage und Situation funktionieren kann.“

Anne Will: Ein Patient und 16 Ärzte

Die NO-COVID-Strategie war auch Thema bei der Anne-Will-Sendung vom 24. Januar. Dort saß zwar keiner der 13 Wissenschaftler*innen in der Runde, aber die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer erklärte: „Wir leben in Europa. Eine Zero-Covid-Strategie ist hier nicht realisierbar. Den Menschen zu vermitteln, dass wir zur Null kommen müssen, ist keine gute Idee.“ Mit Blick auf Malu Dreyer und die anderen Ministerpräsidenten und -präsidentinnen sagte der Intensivmediziner Uwe Janssens: „Deutschland ist der Patient, um den 16 Ärzte herumstehen.“ Jeder davon schlage eine etwas andere, mehr oder minder halbherzige Therapie vor, die schließlich zur Resistenz führe. „Ich vermisse klare Ziele über den Februar hinaus“, so Janssens, „wir müssen ein positives Ziel ausgeben.“ Die NO-COVID-Strategie halte mit ihren grünen Zonen solche Ziele bereit. Die Wissenschaftsjournalistin Vanessa Vu von „Zeit online“ pflichtete ihm bei: „Wir sehen in vielen Regionen dieser Welt, dass man dieses Virus kontrollieren kann. Und je besser man das Virus in den Griff bekommt, desto besser geht es auch der Wirtschaft“. Das habe sich nicht nur in Australien gezeigt, sondern auch in Ländern wie Südkorea oder Taiwan.

NO-COVID: Mit konsequenten Maßnahmen das Virus in Schach halten. 
Foto: ©iStock.com/kzenon
NO-COVID: Mit konsequenten Maßnahmen das Virus in Schach halten.
Foto: ©iStock.com/kzenon

Melanie Brinkmann gehört auch zu den Autor*innen eines Aktionsplanes „für einen europaweit koordinierten Schutz vor neuen SARS-CoV-2-Varianten“, der jetzt im Wissenschaftsmagazin „The Lancet“ veröffentlicht wurde. Hier weisen die Autor*innen besonders auf die Gefahren hin, die von Virus-Mutanten wie B.1.1.7 ausgehen – sie schlagen eine klare Präventionsstrategie vor, bei der es wie bei NO-COVID darum geht, möglichst niedrige Fallzahlen zu erreichen und beizubehalten. Auch die Maßnahmen sind identisch und sollten möglichst in ganz Europa gelten.

„NO-COVID“ und „Zero Covid“: Verwechslungsgefahr

Die wissenschaftsbasierte NO-COVID-Strategie sollte übrigens nicht verwechselt werden mit einer „Zero-Covid“-Kampagne, die derzeit ebenfalls durch die Medien geistert. Diese Kampagne erinnert die Süddeutsche Zeitung „verdächtig an Venezuela“. Sie erwecke den Eindruck „als wolle jemand die Pandemie benutzen, um im Vorbeigehen den Kapitalismus abzuschaffen“. Zu den Erstunterzeichnenden der Kampagne zählen nach SZ-Angaben nicht nur Künstlerinnen, Theologen oder Soziologen, sondern auch „Abgeordnete einer trotzkistischen Splittergruppe aus dem Tessiner Kantonsparlament“.

„Zero-Covid“ ist also nicht mit NO-COVID gleichzusetzen. Die Initiatoren und Initiatorinnen der NO-COVID-Strategie wollen nichts abschaffen, sondern mit klarem Vorgehen einen halbherzigen Endlos-Lockdown beenden und dabei eine Inzidenz von 0 erreichen – so, wie es in Melbourne gelungen ist. Melanie Brinkmann und ihre Kollegen und Kolleginnen schreiben in ihrem Grundsatzpapier zur Übertragbarkeit auf Deutschland und Europa: „Insgesamt betrachten wir die Übertragung der Vorgehensweise (von Australien, Neuseeland, Finnland, Taiwan etc.) als gegeben, da auch große urbane Ballungsräume von COVID-19 befreit werden konnten.“

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