„Das Coronavirus verstehen“: Der Uniprofessor Raul Rabadan aus New York hat ein Sachbuch geschrieben  bei dem der Inhalt tatsächlich hält  was der Titel verspricht. Foto: ©iStock.com/wildpixel
„Das Coronavirus verstehen“: Der Uniprofessor Raul Rabadan aus New York hat ein Sachbuch geschrieben bei dem der Inhalt tatsächlich hält was der Titel verspricht. Foto: ©iStock.com/wildpixel

Dem Coronavirus auf die Schliche kommen

Das Coronavirus beherrscht die Nachrichten, die Gespräche mit Familie und Bekannten, unseren Tagesablauf. Sollten wir da auch noch ein Sachbuch lesen, das den Titel trägt: „Das Coronavirus verstehen“? Ja, das sollten wir. Aus guten Gründen.
Das Coronavirus: Ein Tausendstel so dick wie ein Haar. Foto: ©iStock.com/wildpixel
Das Coronavirus: Ein Tausendstel so dick wie ein Haar. Foto: ©iStock.com/wildpixel

Mehr als ein Jahr dauert die Corona-Pandemie schon an, aber noch immer gibt es viele Unklarheiten im Zusammenhang mit SARS-CoV-2. Wie viele Menschen sterben denn nun tatsächlich daran, wie genau berechnet man diesen R-Wert, was bedeutet „Herdenimmunität“ und weshalb sind Coronaviren gefährlicher als Grippeviren? Auf all diese Fragen haben wir schon Antworten bekommen, bei Anne Will oder Markus Lanz, in der Tagesschau oder im Heute-Journal, auf Youtube oder bei Spiegel online und natürlich in den gedruckten und digitalen Ausgaben zahlreicher weiterer Medien. Viele Menschen wissen also ziemlich gut Bescheid über dieses „Corona“ – zumindest so ungefähr und irgendwie.

Und genau bei diesem „ungefähr und irgendwie“ setzt Raul Rabadan in seinem Buch „Das Coronavirus verstehen“ an. Der Professor am Institut für Systembiologie und biomedizinische Informatik der Columbia University in New York macht nämlich das Ungefähre sehr konkret – und das in einer klaren und präzisen Sprache, die auch Menschen verstehen, die keine wissenschaftliche Ausbildung haben. Bisher wussten wir vielleicht, dass dieses Virus ziemlich klein ist, bei Rabadan erfahren wir, dass es mit 100 Nanometern ungefähr „ein Tausendstel der Dicke eines Haares“ aufweist. Der Autor beschreibt, wie ein Coronavirus aufgebaut ist, wie es sich verbreitet und verändert, ob und wie es sich mit Grippeviren vergleichen lässt oder mit dem SARS-Virus, das 2002/2003 weltweit für Erkrankungen und Todesfälle sorgte. Dabei stellt Rabadan auch geschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge her: So geht er zum Beispiel auf die Beulenpest im 14. Jahrhundert oder die Spanische Grippe 1918 ein und beschreibt, was wir daraus für den Umgang mit COVID-19 lernen können.

„Das Coronavirus verstehen“: Einfache Fragen, klare Antworten

Der Aufbau des Buches ist ebenso einfach wie genial: Rabadan beantwortet Fragen. „Die meisten dieser Fragen stammten von Angehörigen, Freunden und Kollegen“, schreibt er in der Einleitung und er erwähnt auch den entscheidenden Vorteil, den diese Dialogform bietet: Man kann die einzelnen Kapitel in beliebiger Reihenfolge lesen – und findet immer Antworten auf Fragen, die vielleicht erst kürzlich in einem Gespräch aufgetaucht sind.

Foto: ©iStock/CasPhotography
Foto: ©iStock/CasPhotography

Was die Perspektive betrifft, so fängt der 47-Jährige ganz klein an und weitet den Blick dann immer stärker: In den ersten Kapiteln geht es ausschließlich um das Virus, um Aufbau, Ausbreitung oder Mutationen. Nachdem die Leser*innen in die biologischen und epidemiologischen Grundlagen eingeführt wurden, stellt Rabadan das Coronavirus in einen größeren Kontext, zieht etwa Parallelen zum SARS-Ausbruch von 2003 oder vergleicht das Coronavirus mit den Influenzaviren, die uns jedes Jahr aufs Neue heimsuchen. Am Ende geht der Autor dann auf „häufige Missverständnisse“ ein – etwa auf Behauptungen, COVID-19 sei nicht gefährlicher als eine Grippe oder die Eindämmungsmaßnahmen würden nicht wirken, zumal das Coronavirus ohnehin außerirdischen Ursprungs sei.

Eine der großen Stärken des Buches: Es liefert wissenschaftlich fundierte und doch einfach nachvollziehbare Argumente für Gespräche mit Menschen, die ihre Informationen rund um das Coronavirus aus eher wissenschaftsfernen Quellen beziehen. Rabadan beschreibt, wie das Virus in die Zellen gelangt, was es dort anstellt, oder wie schnell es sich verbreitet. Und er widerlegt die Theorie, das Virus sei mit einem Meteoriten in die Welt gekommen, der im Herbst 2019 über Nordostchina niederging: „Aus der Genomanalyse des Virus wissen wir, dass der Erreger sehr eng mit vielen Coronaviren aus Fledermäusen und anderen Säugetieren verwandt ist. Er hat den natürlichen Evolutionsprozess mit Mutationen und Rekombination durchgemacht, den man bei Coronaviren beobachtet. Die natürliche Evolution aus einem Sammelbecken von Tieren ist die einfachste Erklärung. Warum sollte ein Komet ein Virus, das mit anderen, in chinesischen Fledermäusen zirkulierenden Coronaviren verwandt ist, nach China bringen?“

Wann entsteht Herdenimmunität?

Doch Rabadan geht auch auf weniger abseitige Fragen ein. Etwa auf die nach der Herdenimmunität. Wir alle wissen, dass sie durch Impfungen erreicht werden kann. Aber wie viele Menschen müssen immun sein? Bei den Masern sind es mindestens 95 Prozent, weil sie extrem ansteckend sind. Und bei SARS-CoV-2? Hier sieht Rabadan die Schwelle bei „rund 50 Prozent der Bevölkerung“.

Herdenimmunität kann durch Impfungen erreicht werden. 
Foto: ©iStock.com/MarianVejcik
Herdenimmunität kann durch Impfungen erreicht werden.
Foto: ©iStock.com/MarianVejcik

Allerdings ist diese Einschätzung bereits einige Monate alt und berücksichtigt noch nicht die deutlich ansteckenderen Corona-Mutanten, die in Ländern wie Großbritannien, Südafrika und Brasilien entstanden sind und sich von dort aus über die Welt verbreiten. Diese Mutanten decken auch die Schwachstellen des Buches auf: Von den grundsätzlichen Informationen abgesehen besteht die Gefahr, dass manche Informationen schon nach kurzer Zeit nicht mehr aktuell sind. So geht Rabadan zwar auf die Frage ein, was eine Mutation ist, aber in der vorliegenden Ausgabe eben noch nicht auf die Variante B.1.1.7. aus Großbritannien – und auch zu den Impfstoffen finden sich in der ersten Auflage noch keine Aussagen.

Coronapandemie: Rasante Entwicklungen

Das allerdings soll sich nach Angaben des Verlages bald ändern. Auch dort ist man sich darüber im Klaren, dass es im Zusammenhang mit COVID-19 „rasante Entwicklungen“ gibt. Es ist deswegen für die kommenden Monate eine Aktualisierung und Erweiterung des Buches geplant, bei der Fragen beantwortet werden, die erst nach der Erstveröffentlichung aufgekommen sind.

Wer sich noch eingehender mit dem Thema beschäftigen möchte, findet am Ende des Buches eine Liste mit „weiterführender Literatur“, darunter die wichtigsten Studien zu SARS-CoV-2. Rabadan fasst dort in ein, zwei kurzen Sätzen zusammen, worum es in der jeweiligen Studie geht.

Raul Rabadan zeigt in „Das Coronavirus verstehen“ auch auf: Die von COVID-19 ausgelöste Pandemie ist nicht die erste und sehr wahrscheinlich auch nicht die letzte Pandemie, die unseren Planeten heimsucht. Sein Buch könnte dazu beitragen, dass wir beim nächsten Mal besser vorbereitet sind. Oder, um es mit dem von Rabadan zitierten Philosophen Sören Kierkegaard zu sagen: „Leben ist nur rückwärts zu verstehen. Aber wir müssen es vorwärts leben.“

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