Im Kampf gegen die Klimakrise geht es weniger um das „Klima“ als vielmehr um die Menschen – und darum  viele Erkrankungen  Todesfälle und Leid abzuwenden. Foto: ©iStock.com/12521104
Im Kampf gegen die Klimakrise geht es weniger um das „Klima“ als vielmehr um die Menschen – und darum viele Erkrankungen Todesfälle und Leid abzuwenden. Foto: ©iStock.com/12521104

Für unsere Gesundheit, gegen die Klimakrise

COVID-19 zeigt: „Wenn wir auf eine Gesundheitskrise nicht angemessen reagieren und unsere Maßnahmen zu spät kommen, ineffektiv, ungerecht oder nicht vorhanden sind, dann werden Menschen krank und sterben; unsere Gesundheitssysteme zerbrechen daran“, sagt die US-amerikanische Notfallmedizinerin Renee Salas. Dasselbe gilt für die Klimakrise: Sie ist eine Bedrohung für unserer aller Gesundheit, wie der Bericht „Lancet Countdown 2020“ bestätigt. Im Kampf gegen sie geht es darum, viele Erkrankungen, Todesfälle und Leid abzuwenden.
Klimakrise ist Gesundheitskrise. ©iStock.com/12521104
Klimakrise ist Gesundheitskrise. ©iStock.com/12521104

Ein Blick auf Medien und Politik erweckt zwar momentan oft einen anderen Eindruck, aber Fakt ist: Die Klimakrise macht nicht einfach Pause, nur weil die Menschen gerade mit einer Pandemie beschäftigt sind.

Im Interview mit SPIEGEL Wissenschaft erklärte UNO-Klimachefin Patricia Espinosa vergangenes Jahr, „dass uns die Zeit beim Klimaschutz davonläuft. Je länger wir warten, desto heftiger werden uns die Folgen treffen.“ Denn genau genommen geht es weniger um „Klima“-Schutz als vielmehr darum, Menschen zu schützen. Durch COVID-19 bekommen „wir […] eine Vorstellung davon, was der Klimawandel als globale Krise in den nächsten Jahrzehnten zerstören könnte. Das sollte uns wachrütteln.“

COVID-19 hat deutlich gezeigt, wie wichtig „Gesundheit“ für eine Gesellschaft ist, welchen Wert sie hat, wie schützenswert sie ist. Und was auf dem Spiel steht. Dem „Lancet Countdown“-Konsortium, das über 120 Forschende weltweit zusammenbringt, war das schon lange bewusst: Mit seiner Arbeit will es sicherstellen, dass Gesundheit als zentraler Aspekt im Kampf gegen die Klimakrise begriffen wird. Die Forschenden wissen: „Wir haben nicht den Luxus uns nur eine Krise vorzunehmen“. Eine Herangehensweise im Sinne von erst COVID-19, dann Klima funktioniert heutzutage nicht mehr. Und: Viele Länder – vor allem des globalen Südens – hatten diesen „Luxus“ nie. Der Bericht „Lancet Countdown 2020“ offenbart die „schlimmste Prognose für die öffentliche Gesundheit“ seit Beginn der Berichterstattung zu „health and climate change“ im Jahr 2015, so Prof. Tadj Oreszczyn vom University College London.

Klimakrise? Gesundheitskrise!

Allein von 2000 bis 2018 sind zum Beispiel die Todesfälle aufgrund von Hitze bei über 65-Jährigen um fast 54 Prozent gestiegen: Weltweit waren es 2018 296.000 Tote – Deutschland ist mit über 20.000 Toten ganz vorne mit dabei. Nur in China und Indien zählte man mehr. Und: Die klimatischen Bedingungen haben sich für die Übertragung von Infektionskrankheiten seit den 1950ern „rapide“ verbessert. So kann sich zum Beispiel das tropische Dengue-Fieber einfacher ausbreiten – und auch in ganz neue Regionen vorstoßen. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft und somit die Nahrungsmittelproduktion in Gefahr, wenn steigende Temperaturen und Extremwettereignisse Ernten zerstören. Die Folgen: Unterernährung, Nährstoffmangel – und damit zusammenhängende Krankheiten, zum Beispiel des Herz-Kreislauf-Systems.

„Kein Kontinent, kein Land, keine Community ist immun gegen die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit“, heißt es seitens des „Lancet Countdown“-Konsortiums. In einem Editorial des Fachmagazins The Lancet ist außerdem zu lesen: „Sowohl COVID-19 als auch die Klimakrise haben die Tatsache aufgedeckt, dass die ärmsten und marginalisiertesten Menschen in der Gesellschaft […] immer die sind, die am verletzlichsten sind“.

Pandemie: Gesundheit und Wirtschaft liegen eng beieinander.
Foto: @iStock.com/jokuephotography
Pandemie: Gesundheit und Wirtschaft liegen eng beieinander.
Foto: @iStock.com/jokuephotography

Gesundheit und Wirtschaft

Es geht also nicht nur um das Klima, um Biodiversität und Artenschutz. Es geht auch um Gesundheit und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Und es geht um die Wirtschaft: In öffentlichen Diskussionen werden Gesundheit und Wirtschaft oft als zwei Gegenteile dargestellt. Wie aktuell in der Pandemie: Da werden Maßnahmen zur Eindämmung teilweise mit Blick auf eine leidende Ökonomie kritisiert oder in Frage gestellt. Ähnliches gilt für die Klimakrise. Die US-Notfallmedizinerin Renee Salas forderte in einem Podcast für The Lancet, das „falsche Narrativ, wonach man entweder Gesundheit oder eine robuste Ökonomie hat“, hinter sich zu lassen. „Wir können beides haben.“

Oder eben auch keins davon. „Selbst wenn man gesetzliche Beschränkungen einfach aufheben würde: Die Wirtschaft kann nicht florieren, während ein gefährliches Virus grassiert“, sagte Clemens Fuest vom ifo-Institut in Bezug auf COVID-19  (s. Pharma Fakten). Und Patricia Espinosa, UNO, erklärte in Sachen Klimakrise, „dass Investitionen in fossile Energien keine Zukunft haben. Es macht einfach keinen Sinn, sein Geld in Technologien anzulegen, die den Planeten zerstören“.

Triple win: Klima, Gesundheit, Wirtschaft

Die Dinge hängen enger zusammen, als manche Menschen wahrhaben wollen. Das Gute daran: Es lassen sich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Fachleute aus Medizin und Klimaforschung haben aus dem „Lancet Countdown 2020“-Bericht Empfehlungen für Deutschland abgeleitet. Sie sehen die Chance eines „triple win“ für Klima, Gesundheit und Wirtschaft: „Klima-, Gesundheits- und ökonomische Ziele verstärken sich nicht nur gegenseitig, sondern hängen voneinander ab. Die Synergien sollten sowohl bei weiteren COVID-19-Erholungsplänen als auch den aktualisierten Klimaschutzmaßnahmen im Rahmen des Paris-Übereinkommens (Nationally Determined Contribution, NDC) der EU ausgeschöpft werden.“

Wie so etwas aussehen kann? Ein Beispiel: In dem Papier heißt es, dass der Verkehrssektor – verantwortlich „für etwa ein Viertel der Treibhausgasemissionen in Europa“ – „die Hauptursache von Luftverschmutzung im urbanen Raum“ ist und außerdem erklärt, warum sich Menschen in Deutschland nur „unzureichend“ bewegen. Eine Lösung könnte es sein, Lebensräume zu schaffen, „die aktiven, nicht-motorisierten Transport begünstigen“ – etwa durch „Investitionen in verbesserte Fußgänger- und Fahrradinfrastruktur“. So ließen sich nicht nur die Treibhausgasemissionen zurückschrauben: „Eine Reduktion der Luftschadstoffe würde zu einem Rückgang von Atemwegs-, Herz-Kreislauf-, zerebrovaskulären und Tumorerkrankungen führen; fast alle Organe, Systeme und Prozesse des menschlichen Körpers würden davon profitieren.“ Regelmäßige körperliche Aktivität kann außerdem „das Risiko für Übergewicht und Adipositas, für nichtübertragbare Erkrankungen […] wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 und psychische Erkrankungen“ senken.

Naturzerstörung fördert das Entstehen von Pandemien. Foto: CC0 (Stencil)
Naturzerstörung fördert das Entstehen von Pandemien. Foto: CC0 (Stencil)

Aus COVID-19 lernen: Der Blick auf die Zusammenhänge

COVID-19 zeigt, was passiert, wenn der Blick auf die Zusammenhänge verloren geht und Krisen isoliert betrachtet werden. Schließlich warnen Fachleute aus der Wissenschaft schon lange davor, dass die zerstörerische Art und Weise, wie Menschen mit Natur und Lebewesen umgehen, das Entstehen von Pandemien wahrscheinlicher macht. Nach COVID-19 könnte allzu bald die nächste Seuche an die Tür klopfen.

„Klimakrise und Infektionskrankheiten teilen gemeinsame Treiber“, so das „Lancet Countdown“-Konsortium. Ein Beispiel – vereinfacht dargestellt: Die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes setzt nicht nur enorme Mengen CO2 frei und heizt so die Klimakrise weiter an; sie zwingt auch Wildtiere dazu, ihre Lebensräume zu verlassen und in die Nähe von Dörfern und Städten zu kommen. Aus Mikroben, die in den Tieren leben, können für Menschen potenziell tödliche Krankheitserreger werden (Mehr dazu auf Pharma Fakten.).

„Es gibt bestimmte Herausforderungen, die größer sind als eine Person oder ein Land“, betont Renee Salas. „Die einzige Möglichkeit, diese Herausforderungen zu lösen, liegt darin, sie gemeinsam zu lösen.“ Doch die Zeit läuft ab: Laut „Lancet Countdown 2020“ werden die nächsten fünf Jahre „entscheidend sein“, um die Klimakrise – und die damit verknüpften Katastrophen – einzudämmen.

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