In die eigene Welt zurück – das ist für viele Menschen mit psychischen Erkrankungen eine ganz besondere Herausforderung. Schon die langen Wartezeiten auf einen der seltenen Therapieplätze können Fortschritte, die bei der Behandlung in der Klinik gemacht worden sind, schnell zunichtemachen. „Die Krankenhausbehandlung stellt für Menschen mit psychischen Erkrankungen eine ganz wichtige Stabilisierung dar“, weiß Dr. Christian Lukas, Gründer von Mentalis. Nun gehe es darum, die Therapieerfolge in den Alltag zu transferieren – gerade in dieser sehr sensiblen Zeit sei eine engmaschige Betreuung wichtig. Mentalis, so Lukas, bietet „indikationsspezifische Smartphone-Apps, die mit einer menschlichen Komponente, nämlich Tele-Coaching, begleitet werden.“ Eine digitale Brücke also, und damit ein Angebot, das den Bruch zwischen klinischer und ambulanter Versorgung kitten kann. Das funktioniere, weil die App bereits während des Klinikaufenthaltes zum Einsatz komme, heißt es bei Mentalis.
Es ist neben dem hohen Nutzen diese „intersektorale Relevanz“, die die Jury überzeugte. Laudator und Gesundheitsökonom Prof. Andreas Beivers: „Wir haben im deutschen Gesundheitssystem ja viele Schnittstellenprobleme – und da haben wir einen enormen Mehrwert gesehen.“ Platz Eins war die Belohnung.
Digitaler Gesundheitspreis: Öffentlichkeit und Plattform schaffen
Die „ungeahnten Möglichkeiten“ der Digitalisierung in der Medizin nutzen: Novartis will mit dem Digitalen Gesundheitspreis (DGP), so Deutschland-Geschäftsführer Dr. Thomas Lang, „eine Plattform bieten, um Menschen und Akteure zu vernetzen, Sichtbarkeit zu geben, Unterstützung zu geben und einen echten Mehrwert zu schaffen.“ Dass das funktioniert, konnten die Vorjahressiegerinnen bestätigen (Pharma Fakten berichtete). Die beiden Sprachtherapeutinnen Dr. Mona Späth und Dr. Hanna Jakob, Gründerinnen von Neolexon, haben die Bekanntheit durch den DGP nutzen können, um ihr Unternehmen – und damit auch den Mehrwert für Patient*innen – weiterzuentwickeln.
Medizin neu denken: Über 70 Teams aus Start-ups, Hochschulen und Stiftungen hatten sich mit ihren Ideen und Projekten um den mit 60.000 Euro dotierten Preis beworben. Die diesjährige Preisverleihung, moderiert von Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, fand – pandemiebedingt – virtuell statt.
Der zweite Platz des DGP ging an die Fimo Health für die Entwicklung ihrer Fatigue-App. Die Fatigue kann als krankhafte Erschöpfung in Folge schwerer Erkrankungen auftreten – etwa als Begleiterscheinung einer Krebserkrankung, von Multipler Sklerose oder als Langzeitfolge nach einer COVID-19-Infektion. Das Problem dabei: Fatigue ist wenig verstanden. Die Fimo-Applikation will das ändern: Mit gezielten Fragen können die Betroffenen ihre Symptome beschreiben und machen damit ihren Zustand objektivierbar. Patient*innen erfassen Einflussfaktoren wie Bewegung, Schlaf oder Hitze – entweder anhand von wissenschaftlich fundierten Fragebögen und Tests oder mit Hilfe ihres Smartphones. Die App wertet diese Daten aus, stellt sie leicht verständlich dar und gibt so wichtige Anhaltspunkte für das Gespräch mit ärztlichem Fachpersonal. Die Anwendung wurde bereits in einer klinischen Studie getestet; weitere sind geplant bzw. werden gerade durchgeführt.
Die Fimo-App bringt Licht in den Schatten einer Symptomatik, die schwer zu fassen ist, schon weil sie sich sehr heterogen und individuell manifestiert. Jury-Mitglied Prof. Jochen Klucken von der Universität Luxemburg in seiner Laudatio: „So viele Menschen leiden darunter – aber wir verstehen es noch nicht. Mit dieser App haben wir die Chance, die Fatigue besser kennenzulernen und besser zu behandeln.“ Das ist digitaler Mehrwert: Dank solcher Anwendungen ergibt sich die Chance, die Behandlung von Krankheiten nachhaltig zu verbessern.
Publikums- und Sonderpreis: StomAware
Am besten dürfte der Abend für das Team von StomAware gelaufen sein. Denn es gewann nicht nur den Publikums-, sondern auch den in diesem Jahr erstmals ausgelobten Sonderpreis #SelbstbestimmtImAlter unter der Schirmherrschaft der BAGSO (Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen). Das StomaGuard-System hilft Menschen mit künstlichem Darmausgang; es ist ein auf einem Mikrocontroller und einem Sensorelement basierendes Medizingerät, das an den Stomabeutel angebracht wird und dort den Füllstand misst. Der Stomabeutel sammelt die Ausscheidungen des Darms und muss regelmäßig geleert werden.
Mitgründer Jan-Hendrik Träger hat hautnah erlebt, was das für die Betroffenen bedeutet. Als Fachkrankenpfleger für Intensiv- und Anästhesiepflege kam ihm „on the job“ die Idee, nach einer digitalen Lösung zu suchen. Empathie plus Innovationskraft gleich StomAware – so fasste Moderator Yogeshwar das Produkt zusammen.
„Für Nicht-Betroffene kaum auszumalen“, ergänzte der BAGSO-Vorsitzende Franz Müntefering in seiner Laudatio, „wie stark die Sorge des Abplatzens der Stomabeutel den gesamten Alltag prägen kann.“ Die Betroffenen liefen Gefahr sich sozial zu isolieren. „Hier setzt StomAware an: Es gibt den Menschen Kontrolle über ihr Leben zurück, unterstützt aber auch die Pflegekräfte und schafft damit Raum und Zeit für das Wesentliche – den menschlichen Kontakt.“
Und dann formulierte das SPD-Urgestein, selbst 81 Jahre alt und laut Ranga Yogeshwar der am besten Gekleidete des ganzen Abends, diesen schönen Satz: „Und wieder einmal zeigt sich: Das Digitale bringt mehr Kontakte zwischen den Menschen – und nicht weniger.“