Seit dem 1. Januar 2011 ist es auf Grundlage des AMNOG die Aufgabe des G-BA eine (Zusatz-)Nutzenbewertung für alle neu zugelassenen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen durchzuführen. Das Ergebnis daraus bildet Basis für die Preisverhandlungen der pharmazeutischen Unternehmen mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). „Heute […] kann man sagen: Das Verfahren hat sich absolut etabliert“, meinte der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Universität Bielefeld. Es sei „weitgehend anerkannt“ – auch über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus. Es sei zudem „sehr transparent“ und „funktionell“. Und es gelte als „sehr scharf“ in Bezug auf die hohen Anforderungen. „Wenn du in Deutschland einen Zusatznutzen bekommen hast, dann bedeutet das schon was“, so Greiner. Wie aus einem Vortrag seines Kollegen Dr. Julian Witte (Uni Bielefeld) hervorging, bekamen rund 60 Prozent aller neuen Wirkstoffe, die das AMNOG-Verfahren durchlaufen haben, einen Zusatznutzen zugesprochen.
AMNOG: Es funktioniert
„Das AMNOG erfüllt seinen Zweck“, konstatierte Prof. Josef Hecken, Unparteiischer Vorsitzender des G-BA. Anfangs war es vor allem als Instrument der Preisfindung und -steuerung gedacht. „Wir erzielen mittlerweile verlässlich über drei Milliarden Euro Einsparungen im Jahr“. 2020 entlasteten die im Rahmen des AMNOG ausgehandelten Erstattungsbeträge die Krankenkassen gar um 3,9 Milliarden Euro. Über zehn Jahre gesehen wurden fast 13,4 Milliarden Euro eingespart (s. Grafik).
Han Steutel vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) sieht ebenfalls eine gut funktionierende Kostenkontrolle: Die Ausgaben für Arzneimittel stiegen in den vergangenen zehn Jahren „moderat“ um durchschnittlich 2,8 Prozent pro Jahr.
Auch über rein finanzielle Aspekte hinaus gab es viel Positives zu berichten. Dr. Thomas Kaiser vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das dem G-BA in der Nutzenbewertung zuarbeitet, lobte, dass es sich um ein „beispielloses transparentes Verfahren“ handelt. Alle Ergebnisse, die für die Nutzenbewertung relevant sind, Stellungnahmen, Wortprotokolle, G-BA-Beschlüsse seien öffentlich zugänglich. In anderen europäischen Ländern sähe das oft anders aus. „Richtig was getan“ habe sich außerdem bei der Berücksichtigung sogenannter „patientenberichteter Endpunkte“ – etwa, wenn es um die Frage der Lebensqualität der Betroffenen geht. Hecken ergänzte: „Der AMNOG-Prozess hat dazu beigetragen, dass in Studien regelhaft Lebensqualitätsdaten erhoben […] werden“.
AMNOG als „lernendes System“
Für den G-BA-Chef ist trotz der Erfolge klar: „Das AMNOG-Verfahren ist nur als lernendes System denkbar, das in Details immer wieder modifiziert und weiterentwickelt wird.“ Schließlich muss es sich stetig auf neue Herausforderungen einstellen, die sich etwa in der Arzneimittelentwicklung (z.B. durch die Digitalisierung) ergeben.
Han Steutel forderte aus Sicht der forschenden Pharmaindustrie mehr „Planungssicherheit“. In einem Interview mit der Ärzte Zeitung hatte er bereits im Vorfeld der Veranstaltung erklärt: „Je früher ein Hersteller weiß, was in puncto Evidenz von ihm erwartet wird und je konsequenter dies im Verfahren gültig bleibt, desto besser.“ Schon zu einem frühen Zeitpunkt im Verfahren müsse „eine Beratungsmöglichkeit durch die Bewertungsinstanzen bestehen“. Verlässlichkeit braucht es auch, wenn es z.B. um die Therapie geht, mit der ein neues Arzneimittel verglichen werden soll („zweckmäßige Vergleichstherapie“). In jedem sechsten Verfahren gäbe es „ad-hoc“ Änderungen – das sei kein „fair play“, denn die Herstellerfirma habe „gar keine Chance“ darauf noch zu reagieren.
Eine weitere „Herausforderung, die wir sehen, ist die Bürokratie“. Die Anforderungen an die Dossiers, die pharmazeutische Unternehmen für die Nutzenbewertung ihres Arzneimittels einreichen müssen, sind hoch: Anfangs war der Gesetzgeber von „ungefähr 3.000 Euro“ für die Erstellung ausgegangen. In Realität seien es „rund eine Million Euro im Durchschnitt“.
Das AMNOG und die Innovationen
Insgesamt sei das AMNOG aber „ein perfekter Gradmesser dafür, dass Innovation in Deutschland gewürdigt wird“, sagte Steutel. Zumal sich inzwischen gezeigt hat, dass es nicht – wie anfangs von vielen Seiten befürchtet – die Einführung von Präparaten auf den Markt behindert: „Von 21 im Jahr 2018 durch die EMA zugelassenen Orphan Drugs sind 19 in die Versorgung der Bundesrepublik Deutschland gekommen – und das binnen eines Zeitraums von im Schnitt 1,3 Monaten“, bestätigte Hecken am Beispiel seltener Erkrankungen. In anderen Ländern müssen Betroffene länger auf neue Therapien warten: „In Frankreich braucht das 18,8 Monate im Durchschnitt; in Spanien 14,6 Monate im Durchschnitt; in England 13 Monate, in Italien 11,7 Monate.“
In der pharmazeutischen Forschung passiert gerade viel – sei es im Bereich von Gentherapien, personalisierter Medizin, der „Genschere“ CRISPR-Cas9 oder bei der innovativen Krebsbekämpfung auf Basis der sogenannten CAR-T-Technologie. „Das sind alles Entwicklungen, von denen wir 2010 nur träumen konnten“, weiß Steutel. Thomas Müller vom Bundesministerium für Gesundheit plädierte dafür, „über das AMNOG die richtigen Anreize“ für Forschung zu setzen. „Wir brauchen für eine Pharmaentwicklung nicht nur einen langen Atem, wir brauchen viel Kapital, wir brauchen viel Kognition, wir brauchen Intelligenz und Kreativität […] und wir brauchen natürlich auch die klügsten Köpfe“.