Seltene erblich bedingte Erkrankungen wie die Blutgerinnungsstörung Hämophilie verlaufen potenziell tödlich, können das Leben verkürzen und haben große Auswirkungen auf die Lebensqualität. Viele Betroffene sind auf eine Behandlung angewiesen, die zum Beispiel wöchentliche Infusionen notwendig macht; manche sind an einen Rollstuhl gebunden.
Durch pharmazeutische Forschung wurden in den vergangenen Jahrzehnten bereits große Fortschritte erzielt (s. Pharma Fakten). Doch besonders große Hoffnung liegt heute auf der Entwicklung von Gen- und Zelltherapien. Sie geben Menschen mit seltenen genetischen Leiden „eine Chance auf Heilung“, erklären Dr. Gregory LaRosa vom forschenden Pharmaunternehmen Pfizer und Prof. Mimoun Azzouz, Wissenschaftler an der englischen University of Sheffield, in einem Interview zu „ARDAT“ („Accelerating Research and Development for Advanced Therapies“).
Sogenannte Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP), zu denen Gen- und Zelltherapien gehören, rücken zunehmend in den Fokus der Wissenschaft weltweit.
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA erwartet daher, dass sie ab 2025 zehn bis zwanzig Zell- und Gentherapien pro Jahr zulassen wird.
Gemeinsam an Gen- und Zelltherapien forschen
LaRosa weiß allerdings, dass die Forschung in diesem Bereich aktuell noch sehr „fragmentiert und abgeschottet innerhalb einzelner Organisationen“ abläuft. In einer Pressemitteilung des Konsortiums betonte er, es sei im Interesse von Industrie und Erkrankten Daten und Expertise zu teilen, um das „kollektive Verständnis“ von den Mechanismen der Gen- und Zelltherapien voranzutreiben. Genau darum geht es bei ARDAT. Mit dabei sind unter anderem große Unternehmen wie Bayer, Novartis und Pfizer.
Sie haben noch viel zu tun: Denn so einige Fragen der Wissenschaft sind bislang ungeklärt oder zumindest schwierig zu beantworten. Welche Betroffenen werden gut auf eine der neuartigen Therapien ansprechen? Wer wird von ernstzunehmenden Nebenwirkungen betroffen sein? Häufig kommen harmlose, modifizierte Viren – wie ein adenoassoziiertes Virus (AAV) – zum Einsatz, um eine Gentherapie an den Ort im Körper zu bringen, wo sie gebraucht wird. Die ARDAT-Forschenden untersuchen, wie das Ganze im Körper verarbeitet wird. Die Immunantwort eines Menschen auf eine große Dosis, so LaRosa und Azzouz, kann zum Beispiel dazu führen, dass die Therapie ihre Wirksamkeit verliert. Ähnliches gilt, wenn eine Person schon einmal in ihrem Leben in Kontakt mit einem AAV gekommen ist. Bei „50 bis 70 Prozent der Menschen“ ist das der Fall: Sie haben bereits Antikörper dagegen gebildet; das „Viren-Taxi“ mitsamt seiner therapeutischen Fracht kann sein Ziel dann nicht erreichen. Die Projektpartner:innen werden sich all diesen Herausforderungen widmen und mehr über die zugrundeliegenden Prozesse im Körper lernen.
Konkret wollen sie mit einer Förderung von fast 25,5 Millionen Euro durch die Innovative Medicines Initiative (IMI) von 2020 bis 2025:
- standardisierte Modelle entwickeln, um vorhersagen zu können, inwiefern ein ATMP eine Immunantwort beim Menschen hervorruft;
- verstehen, wie diese Therapien im Körper verstoffwechselt werden;
- Faktoren identifizieren, die Auswirkungen auf Sicherheit, Wirksamkeit und Langlebigkeit der Behandlung haben könnten;
- mit Behörden zusammenarbeiten, um Zulassungsprozesse zu harmonisieren und zu beschleunigen.
Die Wissenschaftler:innen werden sich auf seltene Erkrankungen fokussieren, die durch eine einzelne Genmutation hervorgerufen werden. „Allerdings werden viele der Projektergebnisse auf andere Erkrankungen anwendbar sein“, heißt es bei der IMI.
ARDAT: Stay tuned
Eine der anspruchsvollsten Aufgaben des Konsortiums wird die Entwicklung einer „Gen- und Zelltherapeutischen Biobank“ sein. Gesammelt werden darin Proben, die Menschen entnommen wurden, welche eine ATMP erhalten haben. Diese werden „sehr hilfreich sein, um im Detail die molekularen und zellulären Eigenschaften der Immunantwort zu verstehen“, so LaRosa und Azzouz.
„Wir freuen uns sehr, dass wir weltweit führende Fachleute zusammenbringen, um neuartige Therapien für Betroffene, die unter seltenen Erkrankungen leiden, schneller verfügbar zu machen“, so Azzouz. Es ist ein großes Vorhaben. 60 Monate Zeit haben die ARDAT-Verantwortlichen insgesamt dafür. Updates wird es auf der Webseite des Projektes geben; genauso wie Publikationen. Aktuell heißt es dort noch: „The project is underway. Stay tuned.“ Man darf also gespannt sein.