Prof. Michael Hallek, Direktor des Centrums für Integrierte Onkologie Köln Bonn, gilt als Freund klarer Worte. Das zeigte sich gleich am ersten Vision-Zero-Tag beim „Innovationsforum Klinische Forschung in Deutschland“:
„Wir dürfen kein Abwurfland für onkologische Medikamente aus China und den USA sein“, erklärte Hallek da und machte außerdem deutlich: „Wir sind ein Autoland. Wir waren auch mal ein Pharmaland, wir waren die Apotheke der Welt – aber dann haben wir nicht genügend in Innovationen investiert und wir haben zugelassen, dass ein Teil der Forschung diskreditiert wurde. Jetzt geht es darum, diesen größten Innovationsbereich der gesamten Industrie zurückzuholen nach Deutschland und Europa.“
Nur zur Erinnerung: Jeder zweite Mensch in Deutschland erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs. In den letzten Jahren gab es dramatische Fortschritte bei der Bekämpfung vieler Krebsarten, etwa bei Leukämien und bestimmten Formen von Haut- und Lungenkrebs. Aber noch immer stirbt einer von vier Menschen an einer onkologischen Erkrankung. Damit sich die Todeszahlen weiter verringern, kommt es neben der Grundlagenforschung auch auf die Klinische Forschung an – denn sie macht es überhaupt erst möglich, so Hallek, „dass Forschungsergebnisse zur Anwendung kommen.“ In Klinischen Studien prüfen die Wissenschaftler:innen unter anderem, wie ein Medikament wirkt, wie sicher und verträglich es ist, in welcher Dosis es am besten verabreicht wird. „Diese Studien sind ein wesentlicher Schlüssel zum medizinischen Erfolg“, so Hallek, „aber das ist viel zu wenig verankert im Bewusstsein von Politik und akademischen Institutionen.“
Klinische Forschung in Deutschland: Expertise, aber auch viel Bürokratie
Deutschland war in der Klinischen Forschung lange führend, denn es gab und gibt hier sehr gute Universitäten und eine hohe medizinische Expertise. Aber: „Es gibt auch viele bürokratische Hürden und Auflagen“, sagt Hallek, und deshalb sei Deutschland in den vergangenen Jahren bei den akademischen Studien von Platz 1 auf Platz 4 in der Welt zurückgefallen, bei den Studien der Pharma-Industrie von Platz 2 auf Platz 5. In Europa könnten klinisch Forschende in den Niederlanden oder Großbritannien deutlich effizienter arbeiten. Allein die Bearbeitungszeit bis zur Genehmigung einer Klinischen Studie dauert in Deutschland oft über ein Jahr und damit deutlich länger als in vielen anderen Ländern. Hallek fordert deshalb mehr Tempo und Effizienz bei den regulatorischen Rahmenbedingungen, aber auch einen anderen Umgang mit Datenschutzfragen, eine bessere Einbindung der Gesellschaft und mehr Kooperationen zwischen akademischer Forschung und Pharma-Unternehmen.
Rudolf Hauke, Vorsitzender des Patientenbeirats am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), bemängelte, dass es zu wenig Beteiligung von Patient:innen in den Projekten der Klinischen Forschung gebe. Zwar seien sie als Proband:innen gefragt, nicht aber beim Studiendesign. „Dabei sind unsere Erfahrungen von Nutzen“, so Hauke, „und eine stärkere Patientenbeteiligung könnte ein wichtiger Erfolgsfaktor in der Krebsforschung sein.“
Wissenschaftlichen Nachwuchs fördern
Was für ein enormes Potenzial der Studienstandort Deutschland birgt, machte Prof. Otmar Wiestler deutlich, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft: „In Mainz und Tübingen wurden Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 entwickelt, das ist ein Beleg für die Leistungsfähigkeit der Gesundheitsforschung in Deutschland.“ Allerdings seien diese schnellen Erfolge nur möglich gewesen, weil zuvor mehr als 25 Jahre lang in die Grundlagenforschung investiert wurde. Es müsse also langfristig gedacht und investiert werden und es müsse einen engen Schulterschluss zwischen akademisch Forschenden und Industrie geben. „Gerade in der Krebsmedizin sind wir mit dem Forschungsstandort Deutschland eigentlich gut aufgestellt“, so Wiestler, aber dieses Potenzial müsse auch genutzt werden. Konkret machte er folgende Vorschläge:
- Wir müssen in die digitale Transformation investieren und insbesondere Digital Health fördern – denn die Medizin profitiert wie kaum ein anderes Gebiet von der Digitalisierung.
- Es muss einen Wandel geben, weg von der Reparaturmedizin, hin zu echter Prävention.
- Die vielfältigen Probleme mit dem Datenschutz müssen gelöst werden.
Ein Hauptproblem der Klinischen Forschung sieht Wiestler in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: „Für viele Nachwuchsforschende ist dieses Feld wenig attraktiv – wir müssen deshalb alles tun, um Talente zu fördern und zu halten.“
Attraktiver Studienstandort Deutschland? Mehr Tempo, mehr Kooperationen
Was aus Sicht der Industrie besser werden muss, um den Studienstandort Deutschland attraktiver und international wettbewerbsfähiger zu machen, erklärte Han Steutel, Vorsitzender des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa): „Geschwindigkeit und Kosten sind wichtige Faktoren.“ Das größte Problem in Deutschland liege bei der Geschwindigkeit, mit der Klinische Studien auf den Weg gebracht werden können. „Bei den Kosten werden wir nie vorne sein, aber die Geschwindigkeit ist das Monster, das wir auf Trab bringen können.“ Und auch bei der Rekrutierung von Studienteilnehmenden gebe es noch Luft nach oben: „In Estland nehmen mehr als 3.000 Menschen pro einer Million Einwohner an klinischen Studien teil, in Deutschland weniger als 500.“ Das habe mit einer fehlenden digitalen Vernetzung der verschiedenen Studienstandorte zu tun, aber auch damit, dass jedes Bundesland eine eigene Datenschutzbehörde hat, „mit der wir kommunizieren müssen.“ Auch Steutel sieht deutliches Verbesserungspotenzial in einer vereinfachten und beschleunigten Zusammenarbeit von akademischen Institutionen und Pharma-Unternehmen. Studien müssten zudem schneller und einfacher durchgeführt werden können und die Chancen der Digitalisierung müssten genutzt werden. „Ich wünsche mir, dass Deutschland Europameister wird“, erklärte der Niederländer Steutel abschließend – nicht unbedingt im Fußball, aber „im Bereich der klinischen Prüfungen.“