Sei es Alzheimer, Parkinson, Epilepsie oder Depression: Erkrankungen des ZNS sind eine große Herausforderung für pharmazeutische Forscher:innen weltweit. Unter anderem liegt das daran, dass Arzneimittel, die im ZNS wirken sollen, eine große Hürde überwinden müssen: die Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn vor körperfremden Stoffen aus dem Blutkreislauf schützt und diese daran hindert, einzudringen. Doch das Wissen wächst – das zeigt die jüngste US-amerikanische Zulassung eines ersten krankheitsmodifizierenden Wirkstoffs zur Therapie von Morbus Alzheimer (s. Pharma Fakten).
„Rund zehn Prozent aller Präparate in Forschung und Entwicklung“ adressieren momentan ZNS-Erkrankungen, schreibt IQVIA. „Das entspricht im Indikationsvergleich einem zweiten Platz nach Krebs.“ Fast tausend Wirkstoffkandidaten befinden sich in aktiven Studien – sie umfassen frühe, vorklinische sowie klinische Phasen und das Zulassungsverfahren. Mehr als jedes fünfte Prüfpräparat richtet sich gegen die Alzheimer-Erkrankung. Fast jedes Zehnte bezieht sich auf Morbus Parkinson. Andere Forschungsprojekte beschäftigen sich u.a. mit Depression, Schizophrenie, Multiple Sklerose oder Schlaf- und Angststörungen.
ZNS-Erkrankungen: Hohe Krankheitslast, großer Therapiebedarf
„Mit etwa 266 Millionen verlorenen gesunden Lebensjahren (Disability-adjusted life years, DALYs) haben ZNS-Erkrankungen sogar einen stärkeren Einfluss auf die Lebensqualität als Krebs (213 Millionen DALYs, Stand 2016)“, so IQVIA. Viele Erkrankungen wie Alzheimer werden angesichts einer stetig älter werdenden Bevölkerung zunehmen. Der Bedarf an innovativen Therapien ist also hoch.
Das Unternehmen IQVIA sieht einen „Silberstreif am Horizont“ – und erklärt, warum es „gerade jetzt mit Durchbrüchen bei ZNS-Therapien rechnet“. So habe z.B. die Bildgebung „immense Fortschritte“ gemacht: Diverse Verfahren – etwa auf Basis der sog. Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und der Magnetresonanztomographie (MRT) – erlauben „Einblicke in biochemische Prozesse des Gehirns“. Besser und preisgünstiger geworden sind zudem die Sequenzierungstechniken, mit denen heutzutage der Aufbau der DNA analysiert und eine Erbkrankheit untersucht werden kann. „Sollten neurodegenerative Erkrankungen mit einzelnen Mutationen assoziiert sein, bieten Gentherapien perspektivisch die Chance auf Heilung“, so IQVIA. „Die Genomforschung leistet aber auch wichtige Beiträge, um Risikofaktoren zu identifizieren und um Patienten zu finden, die auf eine potenzielle Therapie mit großer Wahrscheinlichkeit ansprechen.“ Und: Innovative Zelltherapien „bieten perspektivisch die Chance, defekte Neuronen zu ersetzen“.
Große Chancen bietet darüber hinaus die Digitalisierung. Sie kann klinische Studien mit Arzneimittelkandidaten „schneller und präziser“ machen – etwa wenn bei der Rekrutierung von Patient:innen künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt oder Apps bei der Erfassung von Studienzielen unterstützen. Und auch außerhalb von Studien ermöglichen z.B. sogenannte „Wearables“ – am Körper tragbare Computertechnologien – Vitalparameter von Menschen zu erfassen und damit etwas über den Gesundheitszustand (oder Krankheitsverlauf) zu lernen. IQVIA fügt hinzu: „Mit künstlicher Intelligenz und mit maschinellem Lernen könnte man in neurologischen Daten Anzeichen für Erkrankungen finden, lange bevor Beschwerden auftreten.“
Durchbrüche bei Arzneimittelforschung?
Es sind nur einige wenige Beispiele, die zeigen, wie Fortschritte bei diversen Technologien dazu beitragen können, das Wissen rund um ZNS-Erkrankungen zu erhöhen. IQVIA ist sicher: Der globale ZNS-Markt wird wachsen. Bei einigen genetisch bedingten neurodegenerativen Erkrankungen oder bei posttraumatischen Belastungsstörungen gibt es bislang noch gar keine Behandlungsmöglichkeit – das könnte sich ändern. In anderen Fällen sprechen manche Patient:innen nicht auf verfügbare Therapien an. Geforscht wird aber auch an Arzneimitteln, die besser verträglich sind.
Zunehmend werden Partnerschaften zwischen pharmazeutischen Unternehmen, kleineren Firmen und akademischer Forschung an Bedeutung gewinnen, meint IQVIA. „Läuft alles nach Plan, eröffnen sich gewaltige Chancen – ähnlich wie bei Krebstherapien in den letzten zehn bis 15 Jahren“.