Im Interview erklärt ITler Clemens Utschig-Utschig  Boehringer Ingelheim  wie Quantencomputer die Entwicklung von Arzneimitteln besser machen könnten. Foto: © iStock.com/metamorworks
Im Interview erklärt ITler Clemens Utschig-Utschig Boehringer Ingelheim wie Quantencomputer die Entwicklung von Arzneimitteln besser machen könnten. Foto: © iStock.com/metamorworks

Revolution der Pharmaforschung: Mit Quantencomputern?

Sei es eine „Reise in ein neues Zeitalter“ oder die „nächste Disruption“: Ist die Rede von dem Potenzial von sogenannten Quantentechnologien, fallen große Worte. Laut der Forschungseinrichtung „Fraunhofer-Gesellschaft“ könnten sie gar „zum Game Changer werden, zu einem Faktor, der die Welt verändert“. Auch Clemens Utschig-Utschig, Chief Technology Officer und Head of IT Technology Strategy beim Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, sieht enorme Chancen. Im Interview spricht er über Quantencomputer – und inwiefern diese Super-Rechner der Zukunft die Forschung, Entwicklung und Markteinführung von Arzneimitteln besser machen könnten.

Im Zusammenhang mit Quantencomputern fällt oft das Wort „Revolution“. Für die IT-Laien unter uns: Was sind Quantencomputer – und was könnten sie „revolutionieren“?

Utschig-Utschig: Quantencomputer verarbeiten und speichern Daten nicht mehr in Bits, sondern mithilfe von Qubits. Durch die neue Form der Datenverarbeitung können Quantencomputer Aufgaben viel schneller lösen als herkömmliche Computer. Damit haben Quantencomputer auch das Potenzial für viel schnellere und effizientere Berechnungen komplexer Strukturen. Sie könnten die Erforschung und Entwicklung neuer Verbindungen und Medikamente erheblich beschleunigen und verbessern und damit die Arzneimittelforschung und die gesamte Pharma-Wertschöpfungskette revolutionieren.

Clemens Utschig-Utschig, Boehringer Ingelheim. Foto: ©Boehringer Ingelheim
Clemens Utschig-Utschig, Boehringer Ingelheim. Foto: ©Boehringer Ingelheim

Boehringer Ingelheim ist kürzlich dem Quantum Technology and Application Consortium (QUTAC) als Gründungsmitglied beigetreten. Wer steht hinter dem Konsortium und welches Ziel verfolgt es?

Utschig-Utschig: Bei dem QUTAC-Konsortium haben sich zehn der führenden deutschen Unternehmen aus verschiedenen Bereichen wie Chemie, Versicherungswesen, Automobilindustrie und Pharmazie zusammengeschlossen. Das gemeinsame Ziel liegt darin, die Forschung voranzutreiben und Quantencomputer auf die Ebene der großflächigen industriellen Anwendung zu heben. Mit dem Konsortium soll auch die Anschlussfähigkeit der deutschen und europäischen Wirtschaft an diese Technik sichergestellt werden.

Warum ist es für den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland und Europa wichtig, dass die Entwicklung der Quantentechnologie vorangetrieben wird?

Utschig-Utschig: Mit der Entwicklung der Quantentechnologie werden wir ein neues digitales Zeitalter gestalten. Quantencomputing wird uns dabei helfen, innovative Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Wirtschaft und Gesellschaft zu finden.

Wir sind fest davon überzeugt, dass die Quantentechnologie langfristige Potenziale besitzt und langfristig eine wertvolle Technologie für viele Bereiche, insbesondere für die Pharmabranche, sein wird. Es wird uns in die Lage versetzen, Herausforderungen und Probleme zu lösen, die wir mit herkömmlichen Computern überhaupt nicht oder sehr viel später lösen könnten. Durch die Zusammenarbeit mit QUTAC wird die Expertise der deutschen Wirtschaft und Industrie gebündelt, um Entwicklungen effektiv voranzutreiben. Damit stärken wir die digitale Souveränität Deutschlands und bringen Deutschland und Europa in eine starke Position. Damit Quantencomputing weiterentwickelt werden kann, müssen wir außerdem den Förderbedarf dieser Technologie aufzeigen, um das Ziel der praktischen Anwendung zu erreichen.

Kommen wir zur Pharmaindustrie: Inwiefern könnte Quantencomputing die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel besser und effizienter machen?

Utschig-Utschig: Dank Quantencomputing können wir beispielsweise die Markteinführungszeit und damit auch die Kosten für neue und innovative Arzneimittel erheblich verkürzen.

Neue Technologien für die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel? 
Foto: ©iStock.com/metamorworks
Neue Technologien für die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel?
Foto: ©iStock.com/metamorworks

Die Qualität von Forschungs- und Entwicklungsprozessen wird erheblich beschleunigt und verbessert, sodass die Erfolgsquote von Medikamenten von der klinischen Entwicklung bis zur Markteinführung, die derzeit noch bei weniger als 10 Prozent liegt, deutlich gesteigert werden kann.

Auch hinsichtlich Molekülmodellierung und Molekülsimulation bietet die neue Technologie große Potenziale. Derzeit können Pharmaunternehmen bereits Millionen Moleküle auf klassischen Computern darstellen und analysieren, jedoch in einigen Fällen nur ungenau charakterisieren. Quantencomputer hingegen ermöglichen deutlich genauere Simulationen, was wiederum neue Möglichkeiten für pharmazeutische Innovationen und Therapien eröffnet.

Wie lange wird es dauern, bis die Quantentechnologie für die industrielle Nutzung geeignet ist? Woran hapert es aktuell noch?

Utschig-Utschig: Derzeit befinden wir uns in der Frühphase und betreiben Grundlagenforschung, indem wir praxisorientierte Fallbeispiele und Methoden für Quantum Computing innerhalb der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung untersuchen. Es ist zentral, die Einsatzmöglichkeiten und konkreten Anwendungsfelder in den unterschiedlichen Bereichen konkret zu definieren. Dieses Fundament ist entscheidend für den langfristigen Erfolg und muss zunächst intensiv erforscht werden. Bis diese Technologie für die industrielle Nutzung anwendbar ist, wird es sicherlich noch einige Jahre dauern.

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