Rekombinante Antikörper gelten als Hoffnungsträger gegen Krankheiten  die nur unzureichend oder gar nicht behandelbar sind. Die Pipelines forschender Unternehmen sind gut gefüllt. Foto: ©iStock.com/Svisio
Rekombinante Antikörper gelten als Hoffnungsträger gegen Krankheiten die nur unzureichend oder gar nicht behandelbar sind. Die Pipelines forschender Unternehmen sind gut gefüllt. Foto: ©iStock.com/Svisio

Antikörper schreiben Medizingeschichte

Rekombinante Antikörper gelten als Hoffnungsträger gegen schwere Krankheiten, die nur unzureichend oder bisher gar nicht behandelbar sind. Bis Ende 2020 waren 82 solcher Medikamente in Deutschland zugelassen, doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren. In den biopharmazeutischen Pipelines forschender Pharmaunternehmen machen sie rund zwei Drittel der Projekte aus: Rekombinante Antikörper sind der Wachstumsmotor für die medizinische Biotechnologie.

Das erste Medikament zur Vorbeugung der Migräne? Ein Antikörper. Das erste Arzneimittel, das bei Osteoporose nicht nur den Knochenzerfall bremst, sondern aktiv Knochenmasse aufbaut? Ein Antikörper. Die erste Therapie im Kampf gegen Alzheimer seit rund zwei Jahrzehnten? Sie ahnen es: Es ist ein Antikörper.

Antikörper „sind von großer Bedeutung für die Therapie von Krankheiten, die bisher nur unzureichend oder gar nicht zu behandeln sind“, heißt es im Report „Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2021“, den der Verband vfa bio herausgegeben hat.

Antikörper: Neue Therapiechancen, neue Lebensperspektiven

Therapie mit Antikörpern: Neue Perspektiven für Menschen mit schweren Erkrankungen. Foto: ©iStock.com/Ridofranz
Therapie mit Antikörpern: Neue Perspektiven für Menschen mit schweren Erkrankungen. Foto: ©iStock.com/Ridofranz

Antikörper schreiben Medizingeschichte – sie haben das Potenzial, Menschen mit schweren Erkrankungen neue Lebensperspektiven zu eröffnen. Der erste Antikörper zur Therapie von Krebserkrankungen wurde 1998 zugelassen; seitdem ging die Sterblichkeit bei Patient:innen mit Non-Hodgkin-Lymphom (ein Blutkrebs) um rund ein Viertel zurück. Menschen mit einem metastasierten Hautkrebs hatten vor einem Jahrzehnt in der Regel kein Jahr mehr zu leben. Heute überleben Betroffene dank verschiedener rekombinanter Antikörper mehr als doppelt so lange. Die Liste lässt sich fortsetzen: TNF-alpha-Inhibitoren haben Betroffenen, die unter einer rheumatoiden Arthritis leiden, die Möglichkeit eröffnet, ein Leben weitgehend ohne Einschränkungen zu führen.

Im Dienst des Immunsystems: Antikörper

Antikörper sind körpereigene Moleküle, die sich in den Dienst des Immunsystems stellen. Mit der Entwicklung von rekombinanten Antikörpern – das sind gentechnisch hergestellte Antikörper – ist es gelungen, der Natur zusätzlich auf die Sprünge zu helfen. Durch die in den 1970er Jahren entwickelte Hybridom-Technologie gelang es, Zelllinien für die Produktion monoklonaler Antikörper – also Antikörper mit einheitlicher Molekülstruktur und Spezifität – herzustellen. Heute ist es durch rekombinante DNA-Technologie möglich, Antikörper zu entwickeln, die die Natur gar nicht kennt (Antikörperderivate). Sie eröffnen neue Therapiechancen.

Zwei Beispiele, die den konkreten Nutzen solcher Wirkstoffe für die Patient:innen zeigen:

  • Etwa jeder dritte Patient mit Migräne benötigt eine medikamentöse Prophylaxe. Dafür wurden viele Jahre Betablocker, Antidepressiva, Calcium-Antagonisten oder Antikonvulsiva eingesetzt. Aus vielfältigen Gründen brechen viele der Patient:innen die Therapie vorzeitig ab. Problematisch sei, so der Pharmazeut Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz im Biotech-Report, „dass die Wirksamkeit der Präparate zumeist erst nach sechs bis acht Wochen einsetzt, die Patienten aber bereits in den ersten Tagen Nebenwirkungen verspüren. Als neue – quasi maßgeschneiderte – Arzneistoffe stehen seit etwa zwei Jahren drei monoklonale Antikörper gegen das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) bzw. gegen den CGRP-Rezeptor zur Verfügung. Die bisherigen Erfahrungen mit diesen neuen Arzneistoffen zeigen zweifelsfrei einen erheblichen therapeutischen Nutzen im Rahmen einer individualisierten Migräneprophylaxe.“ (Pharma Fakten berichtete)
  • Auch bei der Behandlung der Osteoporose hat ein Antikörper eine neue Ära der Behandlung eingeleitet. Er richtet sich gegen das Protein Sklerostin. Prof. Schubert-Zsilavecz: „Die Neutralisierung von Sklerostin mit Romosozumab fördert die Knochenneubildung. Die schnelle Zunahme an Knochenmasse reduziert das Frakturrisiko.“
Auch bei Diagnose und Behandlung von COVID-19 spielen Antikörper eine Rolle. 
Foto: ©iStock.com/jarun011
Auch bei Diagnose und Behandlung von COVID-19 spielen Antikörper eine Rolle.
Foto: ©iStock.com/jarun011

Im vfa-bio-Report heißt es: „Dank des Engagements der forschenden Pharma- und Biotech-Unternehmen nahm die Zahl rekombinanter Antikörper in den letzten 20 Jahren stetig zu, sodass Ende 2020 bereits 107 Vertreter dieser Wirkstoffklasse (inklusive 25 biosimilarer Antikörper) in Deutschland zugelassen waren.“ Schwerpunkt-Indikationen sind die Onkologie und die Immunologie; sie kommen aber auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, hämatologischen oder seltenen Erkrankungen zum Einsatz.

Antikörper in der COVID-19-Pandemie

Auch bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie spielen Antikörper eine Rolle – sogar eine dreifache:

  • zur Diagnose einer SARS-CoV-2-Infektion (Schnelltests)
  • zur Verhinderung der Infektion bzw. der Ausbreitung der Viren im Körper
  • zur Behandlung einer fortgeschrittenen, schweren COVID-19-Erkrankung

Von den sieben zur Zeit bei der europäischen Zulassungsbehörde EMA in der Prüfung befindlichen Arzneimitteln gegen COVID-19 sind fünf Antikörper.

Man muss kein Prophet sein: Der Stellenwert von Antikörpern in der Medizin wird in den kommenden Jahren weiterwachsen. Die Pipelines der forschenden Unternehmen sind auf jeden Fall gut gefüllt: Ende 2020 zählte die Branche 657 klinische Projekte mit biopharmazeutischen Kandidaten; 429 (65 Prozent) davon sind rekombinante Antikörper. Das Rad der Medizingeschichte wird sich weiterdrehen.

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