Der Frage sind Wissenschaftler:innen vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) nachgegangen. Aber das war gar nicht so einfach. Foto: ©iStock.com/SeventyFour
Der Frage sind Wissenschaftler:innen vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) nachgegangen. Aber das war gar nicht so einfach. Foto: ©iStock.com/SeventyFour

Debatte: Was kostet die Entwicklung eines Arzneimittels?

Wie viel kostet die Entwicklung eines neuen Arzneimittels? Der Frage sind Wissenschaftler:innen vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) nachgegangen und kamen dabei zu einem sehr heterogenen Ergebnis.

Die Spanne ist beträchtlich. Geht es nach der verfügbaren Studienlage, liegen die Kosten für die Entwicklung eines neuen Arzneimittels irgendwo zwischen 137 Millionen Euro und 3,86 Milliarden Euro. Das haben die Autor:innen des DKFZ herausgefunden. Dazu haben sie systematisch die wissenschaftliche Literatur der vergangenen Jahre durchforstet und letztlich 22 Studien zu insgesamt 45 Schätzungen ausgewertet. Dabei wird deutlich: Es gibt offenbar keine festgelegten Kriterien, nach denen die Entwicklungskosten gemessen werden. Gerade in welchem Umfang die Parameter Misserfolge (wie viele gescheiterte Versuche stecken hinter einer Neuzulassung?) und Entwicklungszeiten (wie lange ist die Zeitspanne zwischen Identifizierung eines Wirkstoffes und seiner Zulassung?) in die Berechnungen einfließen, hat erheblichen Einfluss auf das Endergebnis.

Foto: ©iStock.com/ismagilov
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Darauf macht der Ko-Autor der Studie Dr. Jorge Mestre-Ferrandiz von der Uni Madrid aufmerksam. Die Einbeziehung dieser beiden Faktoren führe notwendigerweise zu deutlich höheren, aber aus Investorensicht realistischeren Schätzungen.

Weitere Gründe für die Variation bei den Entwicklungskosten: Aus den Publikationen haben die Ökonom:innen herausgefiltert, dass die Entwicklung großer Moleküle (z. B. monoklonale Antikörper) offenbar höhere Erfolgsquoten aufweist als kleine Moleküle und dass einlizenzierte Wirkstoffe eine höhere Erfolgsquote haben könnten als die aus der eigenen Forschung des Unternehmens.

Krebs: Treibt die hohe Abbruchquote die Entwicklungskosten?

Auch das Therapiegebiet hat Einfluss auf die Entwicklungskosten. Sie fielen bei Krebsmedikamenten am höchsten aus; die Spanne liegt hier zwischen 802 Millionen Euro und 3,86 Milliarden Euro. Auch hier wird die Gewichtung der Erfolgsrate ein zentraler Grund für die große Spannbreite sein. Statistiker:innen gehen laut Studien davon aus, dass diese bei onkologischen Wirkstoffkandidaten lediglich bei 3,4 Prozent bis 5,1 Prozent liegt. Rund 95 Prozent der Studien bekommen also kein grünes Licht – kosten aber dennoch Geld. Allerdings gibt es Hinweise, dass sich die Erfolgsbilanz in den vergangenen Jahren verbessert hat.

Die Analyse des DKFZ bestätigt den langfristigen Trend stetig steigender Ausgaben für Forschung und Entwicklung für einen neu zugelassenen Wirkstoff. Als Idee für eine auf Forschungskosten basierte Preisgestaltung für neue Arzneimittel will das Team um Professor Michael Schlander sein Papier aber nicht verstanden wissen. Schließlich könne eine solche Kostenbetrachtung den entwickelnden Unternehmen den Anreiz nehmen, Forschung und Entwicklung zu beschleunigen bzw. effizienter zu machen. Michael Schlander: „Für die Erstattung und die Preisgestaltung sollte der Mehrwert eines Produkts ausschlaggebend sein, nicht die Ressourcen, die für die Entwicklung, Herstellung und den Vertrieb aufgewendet werden. Die Kosten können – wenn überhaupt – nur in Ausnahmefällen eine Rolle spielen, etwa bei Arzneimitteln für extrem seltene Krankheiten.”

Entwicklungskosten sind „versunkene Kosten“

Streng genommen eignen sich Entwicklungskosten nur bedingt für die Festsetzung von Arzneimittelpreisen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind sie für die Unternehmen so genannte „versunkene Kosten“ („sunk costs“; Pharma Fakten berichtete). Einfacher ausgedrückt: Das Geld ist eh weg.

Für die Forschung: Einnahmen von heute ermöglichen Therapien von morgen. Foto: ©iStock.com/Gorodenkoff Productions OU
Für die Forschung: Einnahmen von heute ermöglichen Therapien von morgen. Foto: ©iStock.com/Gorodenkoff Productions OU

Zudem sagen hohe Entwicklungskosten erstmal nichts darüber aus, welchen Wert ein Arzneimittel für die Betroffenen und für die Gesellschaft als Ganzes hat. Eine auf Entwicklungskosten basierte Preisgestaltung könnte zur Folge haben, dass ein Medikament, dessen Entwicklung große Summen verschlungen hat, dessen Wirksamkeit und Nutzen aber hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, teurer wäre als eines, das aus welchen Gründen auch immer schnell entwickelt werden konnte und einen großen Nutzen hat. Das macht gesamtwirtschaftlich betrachtet keinen Sinn.

Medizinischer Fortschritt nur bei wirtschaftlichem Erfolg

Das bedeutet nicht, dass die eingesetzten Forschungsgelder für die Preisfestsetzung gar keine Rolle spielen, aber andere Faktoren sind wichtiger: Welchen Nutzen haben Patient:innen von dem neuen Medikament? Was bedeutet es gesamtgesellschaftlich? Auch die Patientenpopulation fließt in eine solche Rechnung ein – das gilt vor allem bei seltenen Erkrankungen, aber nicht nur: Gerade der allgemeine Trend hin zur personalisierten Therapie und zur Stratifizierung in immer kleinere Patientengruppen hat Auswirkungen auf die Einnahme-Potenziale eines Medikamentes – und damit auch auf den Preis.

Die Preise für Arzneimittel – bzw. die Einnahmen, die Unternehmen mit Arzneimitteln erzielen können – haben noch eine weitere Funktion: Sie garantieren, dass Geld vorhanden ist, um die nächste Generation von Medikamenten zu entwickeln. Es sind die Einnahmen von heute, die die Therapien von morgen möglich machen: Es gibt in dieser Branche keinen wissenschaftlich-medizinischen Fortschritt ohne den entsprechenden wirtschaftlichen Erfolg.

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