Deutschland als attraktiverer Pharmastandort – wie das funktionieren könnte, zeigte zunächst Dr. Michael Boehler, der bei der hybriden Veranstaltung virtuell von BioNTech zugeschaltet war, wo er als Vizepräsident Global Commercial & General Manager arbeitet. Trotz räumlicher Distanz versprühte er Optimismus und wartete mit positiven Behördenerfahrungen am Pharmastandort Deutschland auf: „BioNTech wurde 2008 gegründet und schon bald darauf bekamen wir Unterstützung von Bund und Land bei der Krebsforschung. Diese staatlichen Förderungen haben uns geholfen, die mRNA-Technologie voranzutreiben.“ Später sei noch ein Sonderprogramm zur Impfstoff-Entwicklung hinzugekommen, das das Ganze weiter beschleunigt habe. Das heißt im Klartext: Behörden in Berlin und Rheinland-Pfalz haben ihren Teil dazu beigetragen, dass BioNTech am 12. Januar 2020 in Mainz mit der Entwicklung eines Corona-Impfstoffes beginnen konnte, der dann am 21. Dezember 2020 die europäische Zulassung erhielt. „Die enge und gute Zusammenarbeit mit Politik und regulatorischen Behörden war ebenso essenziell wie die Zusammenarbeit mit Pfizer“, so Boehler weiter, „beides hat uns geholfen, die Ergebnisse unserer klinischen Entwicklungsarbeit schnell umzusetzen – unser Corona-Impfstoff ist jetzt in mehr als 100 Ländern zugelassen und wir konnten bislang mehr als eine Milliarde Dosen ausliefern.“
International wieder wettbewerbsfähig werden
Eine Erfolgsgeschichte, die Mut macht.
Dr. Sabine Nikolaus, Landesleiterin Deutschland bei Boehringer Ingelheim, erklärte denn auch: „Ich freue mich über dieses positive Beispiel. Das ist ein Zeichen, dass es gehen kann.“ Doch dann folgte das große „Aber“: „Hat sich diese Art der Zusammenarbeit zwischen Behörden und Industrie schon durchgesetzt? Leider nein!“
Denn zur Wahrheit gehören auch jene Fakten, die Han Steutel präsentierte, Präsident des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa).
Er berichtete von Studien zu Gen- und Zelltherapien – sie finden zu 47,5 Prozent in den USA statt, zu 39,2 Prozent in China und zu 4,4 Prozent in Deutschland. Immerhin sind wir damit noch Spitzenreiter in Europa, vor Spanien mit 2,5 Prozent und Großbritannien mit zwei Prozent. „Die Rahmenbedingungen für die forschende Pharmaindustrie haben sich in Deutschland in den letzten Jahren verschlechtert“, fügte Steutel als Erklärung für den deutlichen Abstand zu den beiden Top-Platzierten hinzu, „es kommt jetzt darauf an, dass wir international wieder wettbewerbsfähig werden. Das ist der wichtigste Punkt.“ Nur, wenn – wie im Falle BioNTech – immer wieder Innovationen aus Deutschland kämen, seien wir weniger abhängig von der Weltpolitik. Insbesondere von China, das inzwischen nach Steutels Aussage mehr Patente hervorbringt als die Forschung in Deutschland.
Doch was muss nun tatsächlich geschehen, um den Pharmastandort Deutschland attraktiver zu machen? Die Runde hatte hierzu sehr konkrete Vorschläge:
- Patentschutz sichern: Ohne Schutz des geistigen Eigentums, darüber waren sich alle Anwesenden einig, kann es keinen wissenschaftlichen Fortschritt geben. „Ohne die Aussicht auf ein Patent hätte es keine Forschung an der mRNA-Technologie gegeben“, betonte Chantal Friebertshäuser, Geschäftsführerin von MSD Deutschland.
- Mehr Forschungs-Kooperationen: „Wir brauchen mehr Public Private Partnerships“, forderte Friebertshäuser, „Wissenschaft, Industrie, staatliche Organisationen und andere Organisationen müssen zusammenarbeiten.“ Als Beispiel nannte sie die Erforschung eines Ebola-Impfstoffes, die ihren Erfolg einer solchen internationalen Zusammenarbeit zu verdanken hatte. Auch die Zusammenarbeit von Startups und großen Industrie-Unternehmen müsse gefördert werden. Und: „Es gibt manchmal Fördergelder für die Forschung nur unter der Bedingung, dass man nicht mit der Industrie zusammenarbeitet. Das ist kontraproduktiv. Es müsste andersrum sein: Fördergelder kriegst du nur, wenn du mit der Industrie kooperierst.“
- Steuerliche Forschungsförderung: „Im Bereich Biotech tritt Deutschland auf der Stelle“, so Sabine Nikolaus, „wir brauchen eine steuerliche Forschungsförderung, damit wir wettbewerbsfähig sind mit unseren Nachbarländern Österreich und Frankreich.“ Wettbewerbsfähigkeit sei ein entscheidender Faktor für Investitionen – wichtig seien außerdem verlässliche Rahmenbedingungen, freier Handel und stabile Lieferketten.
- Kürzere Genehmigungsfristen: „Die Genehmigungsfristen müssen kürzer werden“, betonte Han Steutel in Bezug auf pharmazeutische Forschungsprojekte. „Bei den Kosten können wir in Deutschland nie vorne sein, aber an der Geschwindigkeit können wir arbeiten“.
- Weniger Bürokratie: Die Behörden sollten bei größeren Forschungsvorhaben einen Projektleiter stellen – so der Vorschlag von Sabine Nikolaus. „Die Unternehmen machen das auch“, ergänzte sie. Die Vorteile: Bei den jeweiligen Projektleiter:innen könnten die Fäden verschiedener Behörden zusammenlaufen. Beispiel Irland: Dort gibt es nach Han Steutels Aussage „eine Agency, die alles begleitet und koordiniert“ – weshalb Irland ein sehr erfolgreicher Produktions-Standort sei.
- Besserer Zugang zu Daten: „Beim Datenzugang fühlen wir uns ungerecht behandelt“, so Steutel, „unser Wohlstand hängt von Innovationen ab – da kann es nicht sein, dass die private Wirtschaft vom Datenzugang ausgeschlossen wird.“ Es gehe nicht darum, individuelle Daten zu erhalten, gar zu verkaufen, sondern einzig und allein um die Daten von „Kohorten“, also von bestimmten Patientengruppen, zu Forschungszwecken. Steutel weiter: „Wir sind abhängig von Daten aus Israel, um zu entscheiden, ob wir eine dritte Corona-Impfung brauchen“ – das könne und dürfe nicht sein.
Zusammenfassend erklärte BioNTech-Mann Boehler: „Wir brauchen mehr Pragmatismus und dieser Pragmatismus sollte sich auch in der Förderung widerspiegeln. Das klingt einfach, aber es braucht Mut in der Umsetzung.“