Das Positive zuerst: Der Pharma- und Biotechbranche in Deutschland ist es gelungen, in Rekordzeit einen hochwirksamen Corona-Impfstoff zu entwickeln, ebenso Diagnose- und Testmöglichkeiten zu Covid-19. „Das zeigt, wir haben eine leistungsfähige Arzneimittelforschung“, so Biogen-Geschäftsführer Dr. Wolfram Schmidt bei seinem Impulsvortrag zu Beginn der Veranstaltung. Aber ist deswegen alles im grünen Bereich? Keineswegs, denn: Immer weniger Biotechnologie-Unternehmen siedeln sich in Deutschland an. Schmidt benannte „drei wichtige Themen“, die nach der Wahl angegangen werden müssten:
- Verwaltungsprozesse beschleunigen: Die Prozesse bei der Erforschung, Entwicklung und Zulassung neuer Arzneimittel müssen nach Schmidts Worten deutlich effizienter werden. „Wir haben es hier mit 52 Ethik-Kommissionen und 17 Datenschutzbehörden zu tun, das erschwert unsere Arbeit enorm“, so Schmidt.
- Biotechnologie fördern: Biotech sei eine Zukunftstechnologie, so Schmidt, aber man müsse sie auch fördern. Gegenwärtig stagniere die Zahl der Firmengründungen. Und weiter: „Wir dürfen das Potenzial nicht verschlafen und das Feld anderen überlassen.“
- Forschungskooperationen und Digitalisierung stärken: Hier forderte Schmidt, die digitale Infrastruktur auszubauen und kreativ zu agieren: „Wir könnten Möglichkeiten schaffen, dass akademische Forschende ein Jahr lang in einem Unternehmen mitforschen können und umgekehrt.“ Derzeit sei das ebenso wenig möglich wie die Nutzung von Daten in allen Forschungseinrichtungen, auch den privatwirtschaftlichen. Schmidt berichtete von einem internationalen KI-Projekt (Künstliche Intelligenz), bei dem es mit Hilfe von Daten gelungen sei, den Krankheitsverlauf für bestimmte Patient:innen mit einer 95-prozentigen Treffsicherheit vorherzusagen. Schmidts Schlussfolgerung: „Daten können Leben retten, wir müssen sie nur nutzen.“
Neue Verwaltungskultur oder Digitalministerium?
Bei der folgenden Podiumsdiskussion bekräftigten alle Teilnehmenden ihre Absicht, die Gesundheitsforschung in Deutschland zu stärken. Unterschiede gab es dabei jedoch im Detail: So schlug Dr. Anna Christmann von den Grünen vor, eine „neue Verwaltungskultur“ zu schaffen – mit „Innovationseinheiten“ in den Behörden, in denen auch „Menschen aus der Praxis“ mitarbeiten. Judith Skudelny von der FDP plädierte hingegen für ein eigenes „Digitalisierungsministerium“. Mit einer Ministerin oder einem Minister, „dessen Erfolg daran geknüpft ist, hier voranzukommen – das hat eine höhere Durchschlagskraft, als wenn es bei anderen Ministerien mitläuft.“
Grünenfrau Christmann sah das anders: „Ministerien können nicht gut die agile Arbeitsweise, die wir brauchen. Wir brauchen schnellere, flexiblere Lösungen in flexibleren Einheiten – und sollten nicht neue Ministerien gründen.“ Dr. Stefan Kaufmann von der CDU warnte davor „zu viele neue Strukturen zu schaffen. Ich wäre da vorsichtig.“ Nach Kaufmanns Worten ist Deutschland auch heute noch „ein hervorragender Biotech-Standort. Die Rahmenbedingungen sind gut.“ Allerdings müssten wir „bei den Daten deutlich besser werden, da haben wir eine Herausforderung.“ Und auch die Zulassungsprozesse müssten schneller werden: „Bei den Zulassungsbehörden gibt es Staus, die wir durch mehr Personal abbauen können.“
Dr. Nils Schmid von der SPD erklärte: “Wir brauchen jetzt Zukunftsvisionen, wir brauchen eine Legislaturperiode des Machens.“ Nicht organisatorische Strukturen seien entscheidend, sondern der „politische Wille“. Schmid sprach von einem „3-Prozent-Ziel bei den Innovationsausgaben“, von dem im Gegensatz zum 2-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben kaum gesprochen werde. Natürlich gebe es Nachholbedarf in Sachen Infrastruktur und Digitalisierung. Und deshalb müsse in den kommenden 15 Jahren „der Bagger rollen in Deutschland.“
Daten besser nutzen
Einig waren sich die Diskutierenden darüber, dass neben der Digitalisierung auch die Datennutzung in Deutschland verbessert werden muss. „Wir müssen den Datenschutz geschmeidiger machen“, forderte Schmid. Und CDU-Mann Stefan Kaufmann regte an, „über die digitale Patientenakte zu reden.“ Die darin enthaltenen Daten sollten – mit Zustimmung der Patient:innen – auch von privatwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen genutzt werden können. Auch Judith Skudelny trat dafür ein, in der Forschung nicht nur auf Daten aus dem Ausland zurückzugreifen, sondern eigene Daten in Deutschland zu erheben und zur Verfügung zu stellen. „Die Politik sollte dafür die Rahmenbedingungen schaffen“, so Skudelny, „bei uns gibt es ein grundsätzliches Bekenntnis dazu, Daten zu erheben und zu nutzen.“ Anna Christmann verwies auf ein Positionspapier ihrer Partei, das „klare Prozesse“ bei der Datennutzung einfordert. Sie schlug vor, ein „nationales Dateninstitut“ aufzubauen, das Lösungen finden solle, um Daten sicher und anonymisiert bereit zu stellen. Judith Skudelny sieht das anders: „Neue Institute bringen wenig“, erklärte sie, „es geht nichts voran, nur weil es mehr Institute gibt.“
Alle vier Diskutierenden bekannten sich zur Biotechnologie. Anna Christmann betonte, dass „Biotech“ zweimal im Wahlprogramm ihrer Partei erwähnt werde und dass es ein klares Bekenntnis zum Hightech-Standort Deutschland gebe. „Wir sehen die enorme Bedeutung eines starken Forschungsstandorts“, so Christmann und dazu gehöre auch die Biotechnologie. Stefan Kaufmann verwies auf eine „Nationale Agentur für Biotech“, die im CDU-Wahlprogramm vorgesehen sei. Nils Schmid betonte, die SPD wolle die „steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung weiter verbessern“ und außerdem die personalisierte Medizin fördern. Die FDP steht nach Judith Skudelnys Aussage modernen Technologien wie der Genschere CRISPR offen gegenüber, betonte aber zugleich, dass in Sachen Gentechnik „mehr Aufklärungsarbeit“ betrieben werden müsse.
„Jetzt ist die Zeit, zu handeln“, betonte Wolfram Schmidt in seinem Einführungsvortrag. Die Diskutierenden in Stuttgart sahen das genauso – bleibt zu hoffen, dass dies auch für jene gilt, die nach dem 26. September in Deutschland regieren.