Wie ein Corona-Impfstoff zum Innovationsturbo werden kann – darüber diskutierten Fachleute beim vfa-Herbstsymposium. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff
Wie ein Corona-Impfstoff zum Innovationsturbo werden kann – darüber diskutierten Fachleute beim vfa-Herbstsymposium. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

Koalitionsvertrag und Corona-Impfstoff: So könnte ein Innovationsturbo starten

„Ein Impfstoff als Innovationsturbo: Was brauchen wir jetzt, um Weltspitze zu werden?“ Das war die zentrale Frage beim Herbstsymposium des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) in Berlin. Dabei ging es auch um den neuen Koalitionsvertrag der künftigen Ampel-Regierung. vfa-Präsident Han Steutel zeigte sich angetan von dem Vertragswerk – mit einer Ausnahme.

Das Beispiel von Pfizer und BioNTech zeige, „wie unglaublich schnell wir in der forschenden Industrie erfolgreich sein können“, erklärte Steutel zum Auftakt der hybriden Veranstaltung. Angesichts des Koalitionsvertrags zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP betonte er: „Wir stehen vor großen Herausforderungen beim Umbau der Gesellschaft und bei der Aufgabe, die Wirtschaft auf eine ökologische Basis zu stellen.“ Und weiter: „Unsere Industrie kann dabei eine hervorragende Rolle spielen, wenn die Rahmenbedingungen verbessert werden.“ Wesentliche Stichworte dazu: Digitalisierung, Entbürokratisierung, Datenzugang. Die pharmazeutische Industrie sei schon heute „sehr klimafreundlich“ und verursache nur einen Bruchteil der CO2-Belastung, die in anderen Industrien anfalle. Darüber hinaus „haben wir als forschende Industrie eine Riesenchance, um Wohlstand zu erhöhen und Arbeitsplätze zu schaffen“.

Han Steutel, vfa-Präsident. Foto: ©BMS / Carolin Jacklin
Han Steutel, vfa-Präsident. Foto: ©BMS / Carolin Jacklin

Im geplanten Koalitionsvertrag fand Steutel einige Aussagen, die ihn zuversichtlich stimmen. Zum Beispiel diese hier:

„Deutschland hat die Chance, zum international führenden Biotechnologie-Standort zu werden. Durch den ersten mRNA-Impfstoff aus Mainz hat unser Land weltweite Sichtbarkeit erlangt. Damit ist eine Leitfunktion für die wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung verbunden. Wir wollen die vorhandenen Kompetenzen und Entwicklungspotenziale weiter stärken.“

Erfreulich ist für Steutel auch, dass in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, „dass wir Zugang zu Forschungsdatenzentren erhalten sollen.“ Tatsächlich heißt es dort:

„Den Zugang zu Forschungsdaten für öffentliche und private Forschung wollen wir mit einem Forschungsdatengesetz umfassend verbessern sowie vereinfachen und führen Forschungsklauseln ein. […] Die Nationale Forschungsdateninfrastruktur wollen wir weiterentwickeln und einen Europäischen Forschungsdatenraum vorantreiben. Datenteilung von vollständig anonymisierten und nicht personenbezogenen Daten für Forschung im öffentlichen Interesse wollen wir ermöglichen.“

Boom bei RNA-Forschung

Unterstützung aus der Politik erhofft sich auch Prof. Thomas Thum, der einen Impulsvortrag über den Spagat hielt, den er täglich vollführt – denn der 47-Jährige ist zugleich Universitätsprofessor, Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Toxikologie und experimentelle Medizin in Hannover und Firmengründer. „An der Universität sind wir daran gewöhnt, mit großen Datenmengen zu arbeiten“, berichtete er, „aber als Unternehmer ist es nicht so einfach, an Daten zu kommen.“ Thum plädierte für Kooperationsmodelle zwischen universitärer und privater Forschung und für mehr Mut zu Ausgründungen. An den Universitäten werde zu wenig Entrepreneurship gelehrt, also zu wenig unternehmerisches Denken. Dabei gebe es in den kommenden Jahren hervorragende Chancen für Forschende, die ihr Wissen in Start-Ups einbringen würden. Insbesondere gelte dies für die RNA-Forschung. Neben der messengerRNA, die zur Grundlage für Corona-Impfstoffe wurde, gebe es auch eine so genannte „nicht kodierende RNA“, die also nicht wie die mRNA in Proteine übersetzt wird. Diese nicht kodierende RNA sei ein Weg „für neue therapeutische Ansätze“ – etwa bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die pro Jahr in Deutschland zu 340.000 Todesfällen führen. „Die Forschung zur RNA wird in den nächsten 20 Jahren extrem boomen“, so Thum – diese Jahrhundertchance sollte genutzt werden.

Prof. Thomas Thum. Foto: ©Fraunhofer ITEM, Ralf Mohr
Prof. Thomas Thum. Foto: ©Fraunhofer ITEM, Ralf Mohr

Prof. Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft und damit eine der „fünf Wirtschaftsweisen“, sieht ein innovationsfreundliches Umfeld, bessere Digitalisierung und das Anwerben von Fachkräften als zentrale Punkte auf dem Weg zur innovativen Weltspitze. Ebenso wichtig sei es, mehr Frauen für die naturwissenschaftlichen Berufe zu begeistern und mehr Risikofreude beim wissenschaftlichen Nachwuchs zu erzeugen: „Es gehört zur Forschung dazu, auch mal zu scheitern.“ Dieser Aussage konnte Moderatorin Dunya Hayali nur beipflichten: „Ich habe Freunde in Amerika, die sind mit ihren Projekten zwanzig Mal gescheitert, bevor sie dann sehr erfolgreich wurden.“

Rechtssicherheit schaffen

Eine Voraussetzung für erfolgreiche Innovationen ist allerdings auch, dass sie nicht von vornherein ausgebremst werden. „Bei den Corona-Impfstoffen gab es Diskussionen um den Patentschutz“, so Veronika Grimm, „das ist ein schlechtes Signal im Hinblick auf Forschung und Innovationsbereitschaft. Wir müssen hier Rechtssicherheit schaffen, es braucht eine Klarheit der regulatorischen Rahmenbedingungen.“ Grimm verwies darauf, dass auch der Staat durch erfolgreiche Forschung etwas zurückbekomme, etwa in Form von Steuereinnahmen. 

Ein nicht weniger „verheerendes Signal“ als die Patentschutzdebatten sieht Han Steutel in folgender Aussage des Koalitionsvertrages:

Einfacherer Datenzugang: Grundzutat für Innovation. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff
Einfacherer Datenzugang: Grundzutat für Innovation. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

„Wir stärken die Möglichkeiten der Krankenkassen zur Begrenzung der Arzneimittelpreise. Der verhandelte Erstattungspreis gilt ab dem siebten Monat nach Markteintritt.“

Eine solche rückwirkende Erstattung wird nach Steutels Überzeugung in keiner Weise dem Risiko gerecht, das forschende Pharma-Unternehmen eingehen: „Die pharmazeutische Industrie investiert jährlich acht Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung, das ist ein größerer Anteil als in anderen Industrien“ (s. vfa.de). Von durchschnittlich bis zu 10.000 potenziellen Substanzen schafft es nur ein Wirkstoff zur Zulassung – und das müsse berücksichtigt werden (s. vfa.de).

Zusammengefasst: Weniger Bürokratie, mehr Kooperation, bessere Digitalisierung, einfacherer Datenzugang, mehr Mut zum unternehmerischen Risiko – das sind die Grundzutaten für den Innovationsturbo. Für Thomas Thum und seine Mitdiskutierenden ist klar, dass die Koalitionäre nicht nur in schwierigen Zeiten starten, sondern auch neue Möglichkeiten haben. Thum wörtlich: „Die neue Koalition sollte ihre Chance nutzen – zum Wohle von uns allen.“

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