Deutschland schafft es im internationalen Vergleich der HPV-Impfquote unter einkommensstarken Ländern nur auf Platz 37. Die große Impflücke wird in den kommenden Jahren für unnötiges Leid sorgen. Ein Interview mit Prof. Christof von Kalle von Vision Zero. Foto: ©iStock.com/Manjurul
Deutschland schafft es im internationalen Vergleich der HPV-Impfquote unter einkommensstarken Ländern nur auf Platz 37. Die große Impflücke wird in den kommenden Jahren für unnötiges Leid sorgen. Ein Interview mit Prof. Christof von Kalle von Vision Zero. Foto: ©iStock.com/Manjurul

HPV-Impfung: Dem Kind Gesundheit schenken

Eine Impfung gegen Krebs? Klingt wie Science-Fiction in der Medizin, ist aber Wirklichkeit: die HPV-Impfung. Nachweislich schützt sie vor Infektionen mit Hochrisiko-Typen des Humanen Papillomvirus (HPV) und somit vor mindestens sechs assoziierten Krebsarten. Darunter Gebärmutterhals-, Mund- und Rachen- oder Analkrebs. Doch Daten eines internationalen Rankings zeigen, dass Deutschland unter den Ländern mit hohem Einkommen bei der HPV-Impfquote bei 9- bis 14-jährigen Mädchen nur Platz 37 belegt, wie die Initiative „Vision Zero“ hervorhebt. Eine Impfquote bei den gleichaltrigen Jungen ist eigentlich nicht existent. Das muss sich ändern, sagt der Onkologe Professor Christof von Kalle im Pharma Fakten-Interview.
Onkologe Professor Christof von Kalle. Foto: BIH/Stefan Zeitz
Onkologe Professor Christof von Kalle. Foto: BIH/Stefan Zeitz

Das Humane Papillomvirus (HPV) ist weit verbreitet – rund 80 Prozent aller Menschen infizieren sich im Laufe ihres Lebens damit. Bei rund zehn Prozent bleibt die Infektion bestehen, wandert dabei manchmal in das Genom von Zellen ein und kann so Ursache für verschiedene Krebsarten sein, von denen der Gebärmutterhalskrebs die bekannteste ist. Mit der HPV-Impfung gibt es eine gut wirksame und sichere Maßnahme zur Verhinderung (Primärprävention) von HPV-Infektionen und den daraus entstehenden Erkrankungen. Am wirksamsten ist die Impfung, wenn sie vor dem ersten Sexualkontakt abgeschlossen ist; deshalb wird sie von der Ständigen Impfkommission (STIKO) für das Alter ab neun bis 14 Jahren empfohlen. Und nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen sollten sich vor der Infektion schützen.

Für eine bessere Inanspruchnahme der HPV-Impfung setzt sich Vision Zero, eine Initiative führender Gesundheitsexpert:innen und Wissenschaftler:innen, ein. Denn sie möchte Schritt für Schritt im Kampf gegen Krebs die Vision umsetzen, dass jeder vermeidbare Todesfall verhindert werden sollte. So wie wir das auch am Arbeitsplatz, in Luftfahrt und Straßenverkehr immer erfolgreicher machen (Pharma Fakten berichtete). Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats von Vision Zero e.V. ist Professor Christof von Kalle von der Berliner Charité und dem Berlin Institute of Health.

Prof. von Kalle: Wie sieht es aus in der Primärprävention von HPV-induzierten Krebserkrankungen?

Prof. Christof von Kalle: Die HPV Impfung ist als sehr wirksame Impfung gegen Krebs eine ganz tolle Sache, und zurecht mit dem Nobelpreis bedacht worden. In der Umsetzung gibt es aber noch sehr viel zu tun, „Luft nach oben“ wäre vornehm ausgedrückt. Bei den 9- bis 14-jährigen Mädchen sind es rund 43 Prozent, die wir mit der Impfung erreichen konnten. Beziehen wir die 18-Jährigen mit ein, sind es rund 50 Prozent. Die Jungen erreichen wir im Grunde aktuell gar nicht. Vor dem Hintergrund, dass es eine Impfung gibt, die hochwirksam und sehr sicher ist, würde ich sagen: In Sachen Primärprävention sieht es in Deutschland katastrophal aus. Wir sollten nicht vergessen, dass das eine Impflücke ist, die bei Menschen irgendwann in ihrem Leben zu einer Krebserkrankung führen kann, die sie nicht haben müssten.

Woran liegt es?

Von Kalle: Es gibt eine Menge Gründe und um die Situation zu verbessern, müssen wir an vielen unterschiedlichen Stellschrauben drehen. Ganz allgemein kann man sagen, dass wir in Deutschland der Prävention – also dem nachhaltigen Managen und dem Erhalt von Gesundheit statt dem reaktiv-reparativen Behandeln von Krankheiten – nicht den Stellenwert einräumen, den sie haben müsste. Das gilt für das System als Ganzes, aber auch für jeden Einzelnen von uns. Wir von Vision Zero haben deshalb ein Sechs-Punkte-Programm entwickelt, um die Situation schnell und nachhaltig zu ändern.

Schießen Sie los…

HPV-Impfung sollte als dringend eingestuft werden. Foto: ©iStock.com/Manjurul
HPV-Impfung sollte als dringend eingestuft werden. Foto: ©iStock.com/Manjurul

Von Kalle: Zunächst sollte die HPV-Impfung – so wie das bei Masern der Fall ist – als dringend eingestuft werden. Das wäre das Bekenntnis, dass wir als Gesellschaft die Gesundheit unserer Kinder ernst nehmen. Dann brauchen wir dringend breitflächige Aufklärung in Form von Informations-Kampagnen, die zielgruppengerecht sein muss: Beispielsweise müssen Eltern angesprochen werden, genauso aber Kinder und Jugendliche. Denn die Folgen einer HPV-Infektion werden dramatisch unterschätzt – und der Nutzen der Impfung sowieso. Außerdem fordern wir ein bundesweites, flächendeckendes Einladungs- und Erinnerungssystem. Es muss viel leichter werden, diese wichtige Maßnahme zum Schutz der Gesundheit eines Kindes nicht zu vergessen.

Andere Länder, z.B. Australien, Großbritannien, Kanada oder Norwegen, setzen unter anderem auf Schulimpfungsprogramme. Funktioniert es dort besser?

Von Kalle: Viel besser. Australien erreicht fast 80 Prozent der Mädchen und sagenhafte 73 Prozent der Jungen. Dort ist man auf der Zielgerade, um durch HP-Viren ausgelöste Krebserkrankungen und ihre unangenehmen Vorstufen im kommenden Jahrzehnt praktisch auszurotten. Davon sind wir in Deutschland weit entfernt. Deshalb fordern wir dringend die Implementierung niederschwelliger Angebote beispielsweise durch Schulprogramme, aber auch ein Nachholimpfprogramm, z.B. beim ersten Frauenarztbesuch. Es reicht einfach nicht, ein hochwirksames Instrument wie diese Impfung theoretisch zur Hand zu haben – wir müssen die Impfung tatsächlich zu den Menschen bringen. Aber auch bei der allgemeinen Aufklärung über HPV hapert es aktuell.

Welche Rolle spielen Ärzt:innen?

Von Kalle: Eine entscheidende. Sie sind diejenigen, die die Kinder und ihre Eltern informieren und überzeugen können. Aber dafür müssen wir auch im System einiges ändern. Impfungen verhindern Krankheiten, bevor sie entstehen. Aber ob jemand sich impfen lässt, hängt immer noch sehr vom Zufall ab. Deshalb müssen wir die regelmäßige Überprüfung des Impfstatus als Standard etablieren. Es wäre extrem weise und nachhaltig, den präventiven und gesundheitserhaltenden Ansatz als Maß der Dinge zu sehen und wir brauchen auch speziell für HPV entsprechende Beratungsangebote. Und das Gespräch, die Durchführung und Betreuung des Impfschutzes darf für die Ärztinnen und Ärzte nicht weiter ein Zuschussgeschäft sein.

Außerdem fordern Sie ein nationales Impfregister. Warum?

Von Kalle: Wie heißt es so schön? Denn sie wissen nicht, was sie tun… Was ich nicht zählen kann, kann ich nicht verstehen. Wir tun uns in Deutschland sogar bei der Frage schwer, wie hoch die Impfquote bei HPV wirklich ist. Die Zahlen, die wir heute nutzen, sind zwei bis drei Jahre alt. Andere Länder wie z.B. Schweden und Großbritannien führen Registerstudien durch. Das neueste Lancet-Paper aus Großbritannien belegt eine deutlich über 90-prozentige Schutzwirkung bei allen tatsächlich Geimpften. Auch durch die Registerstudie in Schweden konnte man feststellen, dass geimpfte Frauen gegenüber ungeimpften ein um 63 Prozent niedrigeres Risiko haben, an einem Gebärmutterhalskrebs zu erkranken. Wissen ist die Grundlage dafür, dass wir der HPV-Impfung endlich den Platz einräumen können, den sie haben muss.

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