Gentherapie: Science-Fiction wird Realität

„Gesunde“ Gene in den Körper einschleusen, um damit Krankheiten dauerhaft zu behandeln, die auf fehlerhaften Genen basieren: Diese Vision hegt die Menschheit schon seit Jahrzehnten. Lange war sie allerdings nur Teil von Science-Fiction. Heute ist sie in der Realität angekommen. Mit Dr. Tatjana Gabbert, Kinderärztin und Senior Medical Advisor Gene Therapy beim forschenden Pharmaunternehmen Pfizer, haben wir uns auf eine medizinische Zeitreise begeben. Sie weiß: Das Potenzial innovativer Gentherapien ist groß – sie könnten zu einem „Game Changer“ in der Behandlung einiger Krankheiten werden.
Dr. Tatjana Gabbert, Kinderärztin und Senior Medical Advisor Gene Therapy, Pfizer. Foto: Pfizer / landdergesundheit.de
Dr. Tatjana Gabbert, Kinderärztin und Senior Medical Advisor Gene Therapy, Pfizer. Foto: Pfizer / landdergesundheit.de

Wo stehen wir HEUTE in Sachen „Gentherapie“?

Dr. Tatjana Gabbert: Eine Gentherapie verfolgt das Ziel, ein fehlerhaftes Gen zu reparieren, auszuschalten, zu entfernen oder durch eine gesunde Kopie zu ersetzen, um die normale Funktion in betroffenen Geweben oder Zellen zu ermöglichen. Derzeitige Formen der Gentherapie werden etwa bei der erblichen Netzhautdystrophie eingesetzt. Durch diese vererbbare Erkrankung, die auf ein defektes Gen zurückgeht, sind bereits Kinder von abnehmender Sehfähigkeit betroffen. Mit der Behandlung können betroffene Kinder wieder hell und dunkel unterscheiden, sind weniger nachtblind und können sich besser orientieren. Oder Kinder mit Beta-Thalassämie – eine Erkrankung der roten Blutkörperchen. Sie brauchen nach einer Gentherapie keine Transfusionen mehr. Die Gentherapie hat auch riesiges Potenzial für Kinder mit Immundefekten oder neuromuskulären Erkrankungen. Das ist spektakulär. Zum Beispiel bei der spinalen Muskelatrophie, einer Erkrankung mit schnell fortschreitendem Muskelschwund: Die Kinder, die eine bestimmte Unterform dieser Krankheit hatten, sind in der Regel bis zum zweiten Lebensjahr gestorben. Und jetzt, mit der Gentherapie, lernen sie laufen, selbstständig essen und vieles mehr. Mehr als 30 Jahre lang war es das Ziel so vieler Forschungen – jetzt ist es Realität.

Werfen wir einen Blick auf das GESTERN bzw. die Vergangenheit.

Gabbert: Schon in den 1990er Jahren hatte man die Vision, vererbbare Krankheiten, die auf fehlerhaften Genen basieren, dauerhaft zu therapieren, indem man „gesunde“ Gene in den Körper einschleust. Doch erst heute werden Gentherapien für zunehmend mehr PatientInnen Realität.

Was erhoffen Sie sich für das ÜBERMORGEN: Wie könnte die Zukunft im Bereich Gentherapie aussehen?

Gabbert: Die generell mit Gentherapien verbundene Hoffnung ist, bei Menschen mit Erkrankungen, für die es bisher keine Therapien gab, mit einer einzigen Behandlung entweder die Lebensqualität sprunghaft zu verbessern, das Fortschreiten einer Krankheit aufzuhalten oder sogar vor einem frühen Tod zu schützen. Insofern sind Gentherapien aus meiner Sicht ein Game Changer in der zukünftigen Behandlung einiger Erkrankungen. Dabei geht es vor allem um die so genannten seltenen Erkrankungen, von denen hierzulande vier Millionen Menschen betroffen sind – das ist jeder Zwanzigste. 80 Prozent dieser seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt, also durch ein fehlerhaftes Gen ausgelöst. Und genau da wollen wir mit der Gentherapie ansetzen: an der Wurzel dieser Erkrankungen. Die Einsatz-Möglichkeiten sind groß: Dazu zählen Stoffwechselerkrankungen – wenn irgendein Zwischenprodukt in der Verwertung unserer Nahrung nicht entstehen kann und Schäden im Körper entstehen, weil sich diese Zwischenprodukte in einem Organ anreichern. Dann neurologische Erkrankungen. Das fängt an bei frühkindlicher Blindheit und geht bis zu ALS. Und das ganze Spektrum von seltenen Blut- und Krebserkrankungen. Zum Beispiel PatientInnen, bei denen fehlerhafte rote Blutzellen gebildet werden. Diese brauchen heute noch ständig Bluttransfusionen und können in lebensgefährliche Krisen geraten.

Die europäische Zulassungsbehörde (EMA) rechnet 2025 mit 10 bis 20 neuen Gentherapien pro Jahr. Wir bei Pfizer forschen in verschiedenen Kooperationen zu unterschiedlichen Erkrankungen. Am weitesten sind wir bei der klinischen Erprobung einer Gentherapie für die Hämophilie A und B. Das sind Erkrankungen, bei denen die Blutgerinnung gestört ist: Schon bei kleinsten Verletzungen hören die entstehenden Blutungen nicht mehr oder nur verzögert auf.

Weitere Artikel aus der Serie „Medizinische Zeitreisen: Heute – Gestern – Übermorgen“ lesen Sie hier.

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