Noch immer gibt es für die überwältigende Mehrheit der seltenen Erkrankungen keine ursächliche Therapie. Woran das liegt  zeigte sich auf einem Online-Talk der Care4Rare-Stiftung. Foto: CC0 (Stencil)
Noch immer gibt es für die überwältigende Mehrheit der seltenen Erkrankungen keine ursächliche Therapie. Woran das liegt zeigte sich auf einem Online-Talk der Care4Rare-Stiftung. Foto: CC0 (Stencil)

Seltene Erkrankungen: Forschung für die „Waisen der Medizin“

Rund 200 Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen sind seit dem Jahr 2000 in der Europäischen Union zugelassen worden – allein in den vergangenen fünf Jahren machten sie ein Drittel der Neuzulassungen aus. Doch noch immer gilt für die überwältigende Mehrheit der rund 8.000 Erkrankungen, dass es keine ursächliche Therapie oder gar eine Heilung gibt. Woran das liegt, zeigte sich auf einem Online-Talk der Care-for-Rare-Stiftung.

Die Krankheiten selbst mögen selten sein, aber die Zahl der Patient:innen auf der Welt ist hoch: 300 Millionen Menschen haben eine seltene Erkrankung; vier Millionen allein in Deutschland. Drei Viertel davon sind Kinder; 30 Prozent von ihnen versterben vor dem fünften Lebensjahr. Für Professor Dr. Dr. Christoph Klein, Direktor am Dr. von Haunerschen Kinderspital und Vorstand der Care-for-Rare Foundation, sind sie die „Waisen der Medizin“, die im „Schatten stehen, weil es oft sehr, sehr lange dauert, bis eine korrekte Diagnose gestellt ist. Und selbst wenn, dann gibt es für viele immer noch keine Heilung.“

Professor Dr. Dr. Christoph Klein. Foto: ©Verena Müller / Care-for-Rare Foundation
Professor Dr. Dr. Christoph Klein. Foto: ©Verena Müller / Care-for-Rare Foundation

Auch um das zu ändern hat der Mediziner die Stiftung gegründet: „Alle Kinder haben das Anrecht auf ein Höchstmaß an erreichbarer Gesundheit und sie haben ein Recht darauf, am Fortschritt in der Medizin teilzuhaben. Man dachte viele Jahre, dass man Kinder vor der Forschung schützen müsse – das ist aber ganz falsch. Man muss Kindern den Zugang zur Forschung gewähren, denn ohne Forschung gibt es keine Fortschritte in der Medizin.“ Und ergänzt: „Mit Homöopathie ist noch niemand gesund geworden.“

Seltene Erkrankungen: Eine große Herausforderung für die Wissenschaft

Doch warum ist die Forschung bei den „Seltenen“ eine so große Herausforderung? Um das zu erahnen, muss man nur Bernd Rosenbichler zuhören. Er ist Vater eines neunjährigen Jungen, der am Alström-Syndrom erkrankt ist. (Pharma Fakten berichtete). Das ist ein seltener Gendefekt, der eine ganze Kaskade schwerer Symptome hervorruft, und von dem weltweit rund 1.000 Menschen betroffen sind. Aber selbst das weiß niemand so genau.

Das ist der springende Punkt: Man kann erfolgreiche Lösungsstrategien nur erarbeiten, wenn man das Problem auch (er-)fassen kann. Wissenslücken helfen nicht, wenn man ein komplexes Krankheitsgeschehen bekämpfen möchte. Man spürt, wie Bernd Rosenbichler fast körperlich darunter leidet, dass so vieles bis heute nicht erkannt ist, was nach der Geburt seines Sohnes sein Leben auf den Kopf gestellt hat. Als erfolgreicher Automanager hat er im Blut, dass Probleme dazu da sind, sie aus dem Weg zu schaffen. Er hat seinen Traumberuf hingeschmissen und mischt nun die medizinische Szene auf.

Denn Rosenbichler hat eine Mission: Seit der Erstbeschreibung der Krankheit durch den Schweden Carl Henry Alström im Jahr 1959 ist immer noch wenig bekannt. „62 Jahre und fast neun Monate ist im Kampf gegen Alström nichts passiert. Das aber kann nicht länger die Lösung sein“, sagt er. #STOPNOTHING hat er seine Kampagne getauft (s. www.alstroem.de). In Rosenbichlers Denke übertragen bedeutet das: Akzeptieren ist nicht.

Bernd Rosenbichler: Sein Sohn leidet unter Alström. Foto: privat
Bernd Rosenbichler: Sein Sohn leidet unter Alström. Foto: privat

Er hat deshalb eine gemeinnützige Organisation gegründet. Sie will aufklären, Awareness schaffen, die Finger in die Wunden legen – und vor allem: vernetzen. Denn wenn Wissen spärlich ist, muss man das wenige, das es gibt, bündeln. Sein erster, großer Erfolg: Es wird ein Patient:innen-Register geben. Das Ziel: Licht ins Alström´sche Dunkel bringen, Daten erheben, Betroffene finden. Denn die sind die Grundlage dafür, dass die Forschung einen Ruck bekommt; sie sind der Treibsatz für Fortschritt. Die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung, die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) und die Berliner Charité helfen ihm dabei. Auch ein Center of Excellence steht auf seiner To-Do-Liste. Es soll eine hoch spezialisierte Einrichtung werden, in der er die Themen Früherkennung und Prävention, Lebenshilfe für Betroffene und Angehörige sowie die Forschung unter einem Dach bündeln und vorantreiben will. Rosenbichler ist offen dafür, ein solches Zentrum für andere seltene Erkrankungen zu öffnen. Auch über den „unglaublichen Support“ durch die forschende Pharmaindustrie freut er sich.

Die Hoffnung: Der „unglaubliche“ medizinische Fortschritt

Der eigentlich nicht lösbaren Aufgabe, eine sehr seltene Erkrankung eines Tages therapieren zu können, setzt er seinen Optimismus und seine Energie entgegen. Professor Klein von Care-for-Rare hat er dabei hinter sich: „Wir leben in einer Zeit – ganz anders als vor zwanzig oder dreißig Jahren – eines unglaublichen Fortschritts in der Molekularbiologie, der Zellbiologie aber auch in der Biotechnologie, den wir mehr und mehr nutzen können. Wir haben heute Werkzeuge in der Hand, die früher undenkbar waren.“ In der Diagnostik sei man viel schneller und präziser geworden – unter anderem aufgrund von Genomsequenzierung. „Wir können einzelne Gene modifizieren oder in die Funktionen von Zellen eingreifen.“ Noch stehe man bei Alström vor einer Wand, so der Mediziner, aber er hat große Hoffnung, „dass wir in den nächsten Jahren besser werden.“

Bernd Rosenbichler schreibt auf seiner Homepage: „Eigentlich ist es ganz einfach.“ Hürden sind für den Mann keine Hürden; sie sind ihm offenbar Provokation. Er weiß: In der Forschung und der Wissenschaft liegen die Schlüssel, um eine Krankheit erfolgreich in die Schranken zu weisen. Deshalb wird er nichts unversucht lassen.

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