Per Gesetz soll ab August 2022 die Regelung gelten  dass Biosimilars automatisch untereinander ausgetauscht werden dürfen. Das ist aus mehreren Gründen keine gute Idee. Foto: ©iStock.com/Ca-ssis (Picasa)
Per Gesetz soll ab August 2022 die Regelung gelten dass Biosimilars automatisch untereinander ausgetauscht werden dürfen. Das ist aus mehreren Gründen keine gute Idee. Foto: ©iStock.com/Ca-ssis (Picasa)

Austausch von Biosimilars: Aus Fehlern lernen ist nicht?

Per Gesetz soll ab August 2022 die Regelung gelten, dass Biosimilars automatisch untereinander ausgetauscht werden dürfen. Dann würden nicht mehr Ärzt:innen darüber entscheiden, mit welchem Biosimilar behandelt wird – maßgeblich ist ein von Krankenkassen und Herstellern ausgehandelter Rabattvertrag. Das ist gleich aus mehreren Gründen keine gute Idee. Die sichere Versorgung der Patient:innen mit ihren Medikamenten ist in Gefahr.
Per Gesetz: Biosimilars untereinander austauschbar. ©iStock.com/AndreyPopov
Per Gesetz: Biosimilars untereinander austauschbar. ©iStock.com/AndreyPopov

Es ist ein altbekanntes Instrument: Die automatische Substitution, die bereits in der Versorgung mit patentfreien, generischen Arzneimitteln großflächig eingesetzt wird. Das Ziel: Geld sparen. Viele Patient:innen kennen diese so genannte Aut-idem-Regelung. Sie verpflichtet Apotheken zur vorrangigen Abgabe von Arzneien, für die ihre Krankenkasse einen Rabattvertrag mit Arzneimittelherstellern abgeschlossen hat. Voraussetzungen sind, dass Wirkstärke und Packungsgröße mit der ärztlichen Verordnung übereinstimmen und dass die Darreichungsform „gleich oder austauschbar“ ist.

Substitution: Preisspirale mit negativen Folgen

Die Regelung aus dem Jahr 2007 hat dazu geführt, dass Hersteller mit Krankenkassen exklusive Verträge anstreben. „Kurzfristig führt das aus Kassensicht natürlich zu Einsparungen“, sagt Walter Röhrer vom forschenden Biotech-Unternehmen Biogen und neu gekürter Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft (AG) Pro Biosimilars. Doch die Regelung habe auch erhebliche Nebenwirkungen: „Wir sehen seit Jahren eine Preisspirale nach unten, die wirksame und sichere Arzneimittel wie Blutdrucksenker oder Statine zu einer Centware hat verkommen lassen. Dies hat unmittelbar zu einer Marktverengung geführt – aus vielen Anbietern sind wenige geworden. Heute diskutiert die Politik die Folgen davon – und versucht gegenzusteuern.“

Die Produktion von Generika-Wirkstoffen konzentriert sich mehr und mehr auf nur wenige Regionen – und das außerhalb Europas. Fällt ein Anbieter aus, etwa, weil er sich aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Markt zurückzieht, es zu unvorhersehbaren Produktionsproblemen kommt oder weil aus verschiedenen Gründen die weltweiten Lieferketten nicht mehr funktionieren, sind Versorgungsprobleme geradezu garantiert.

Biosimilars sind keine Generika

Nun soll also im Sommer die im „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) geplante automatische Substitution von Biosimilars in Kraft treten. Das würde dazu führen, dass behandelnde Ärzt:innen nicht mehr wissen, ob das von ihnen verschriebene Biosimilar tatsächlich auch das ist, was ihre Patient:innen bekommen.

Biosimilars: Nie identisch, stets vergleichbar. Foto: @iStock.com/Shutter2U
Biosimilars: Nie identisch, stets vergleichbar. Foto: @iStock.com/Shutter2U

Aus medizinischen Erwägungen sind an diesem Vorhaben Zweifel angebracht. Denn Biosimilars mögen aus rechtlicher Sicht mit Generika gleichzusetzen sein; auch sie sind Nachfolgeprodukte von einst patentgeschützten Arzneimitteln. Doch anders als bei chemisch-synthetisch hergestellten Medikamenten basieren biologische Arzneimittel auf lebenden Zellen – ihre Herstellung ist ungleich aufwändiger als bei einem klassischen Generikum. Sie werden so entwickelt, dass sie den Originalpräparaten ähneln und in Anwendung, Dosierung und Wirksamkeit mit diesen vergleichbar sind. Bei der Interessenvereinigung der Biosimilar-Hersteller in Deutschland, AG Pro Biosimilars, heißt es: „Anders als Generika sind sie nie absolut identisch, aber stets vergleichbar.“

AG Pro Biosimilars: 8 Gründe, warum es eine Substitution nicht braucht

Und noch etwas spricht gegen die automatische Substitution, denn sie ist ein Eingriff in einen funktionierenden Markt. Das zeigt eine Studie, die die AG in Auftrag gegeben hat. Das Ergebnis sind „8 Gründe, warum es die automatische Substitution nicht braucht“:

  1. Biosimilars bringen jetzt schon massive Einsparungen. Obwohl der Markt an verfügbaren Präparaten noch übersichtlich ist, waren es allein im Jahr 2020 mehr als 1,1 Milliarden Euro. Die Tendenz? Steigend.
  2. Biosimilars verbessern die Versorgung von Menschen mit schweren Erkrankungen wie Rheuma, weil mehr von ihnen Zugang zu modernen Therapien bekommen. Bei dem Rheuma-Wirkstoff Adalimumab gelang sogar die „Quadratur des Kreises“, so die AG: Die Anzahl der verordneten Tagestherapiedosen stieg um fast 30 Prozent, die Kosten für die GKV sanken um 11 Prozent. Das ist eine bessere medizinische Versorgung für weniger Geld.
  3. Die Marktdurchdringung von Biosimilars steigt. „Blickt man auf alle Wirkstoffe, für die es ein Biosimilar gibt, wird deutlich: Der durchschnittliche Versorgungsanteil von Biosimilars liegt bei 57,8 Prozent.“
  4. Und sie geschieht schneller: Neue Biosimilars kommen immer zügiger in die Versorgung.
  5. Die Zulassung neuer Biosimilars hat einen unmittelbaren Preisdruck zu Folge; die Kosten der Tagestherapiedosen sinken.
  6. Hinzu kommt die Wirkung von Rabattverträgen. Die Zahl der Biosimilars, die unter Rabattvertrag sind, steigt und liegt bei 85 Prozent. Auch davon profitieren die Krankenkassen unmittelbar.
  7. Die Produktionslandschaft bei Biosimilars ist diversifiziert – und das steht für eine hohe Versorgungssicherheit. Europa ist ein starker Standort: Aktuell liegt der europäische Marktanteil der hierzulande benötigten Biosimilars (in Tagestherapiedosen) bei 56 Prozent. „Die Vielfalt der Produktionsstandorte ist ein Garant für resiliente Lieferketten und eine verlässliche Versorgung der Patientinnen und Patienten.“
Bei Generika: Globale, störanfällige Lieferketten. Foto: ©iStock.com/ismagilov
Bei Generika: Globale, störanfällige Lieferketten. Foto: ©iStock.com/ismagilov

Und schließlich gibt es – achtens – zur automatischen Substitution von Biosimilars ein Vorbild, das nicht zum Vorbild taugt. Wie bei den Generika ermöglicht sie es den Krankenkassen, exklusive Rabattverträge abschließen zu können. Damit lassen sich, so die Logik einer einseitig Controller-gesteuerten Medizin, Rabatte noch einmal steigern. Dass das gefährlich für die Versorgungssicherheit ist, zeigt die Entwicklung bei den Generika. Hier hat der Kostendruck zur Abwanderung der Produktion nach China und Indien geführt. Es sind globale Lieferketten entstanden, die immer störanfälliger wurden. Die AG Pro Biosimilars befürchtet deshalb auch bei Biosimilars Lieferengpässe, die vor allem Menschen mit schweren Erkrankungen treffen werden.

Noch einmal Walter Röhrer: „Ich sehe die Gefahr, dass sich der Generika-Fehler wiederholt, deshalb sollte die neue Regierung diesen Schritt noch einmal überdenken. Biosimilars generieren immer mehr Einsparungen und sorgen zuverlässig für die Versorgung der Patienten.“

Die Therapiehoheit der Ärzt:innen

Deshalb sollten einzig die Ärzt:innen entscheiden, welches Präparat bei ihren Patient:innen zum Einsatz kommt. Denn biologische Medikamente sind hoch komplexe Wirkstoffe zur Behandlung schwerer oder chronischer Erkrankungen wie Krebs, Morbus Crohn, Multiple Sklerose und rheumatoide Arthritis. Die Entscheidung zu einer konkreten Therapie ist vielschichtig – und sollte da bleiben, wo sie hingehört: In die Hände von medizinischen Fachleuten und nicht von Betriebswirten.

Hinzu kommt: Groß ist der Fanclub einer automatischen Substitution biologischer Arzneimittel ohnehin nicht. Die Arzneimittelkommission der Apotheker (AMK) hat sich klar dagegen positioniert: „Die beabsichtigte Hebung von Wirtschaftlichkeitsreserven darf nicht zulasten der Patientensicherheit erfolgen.“ Und auch die entsprechende Kommission der Ärzteschaft (AkdÄ) hat sich dagegen ausgesprochen.

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