Die Demografie trifft Deutschland auf mehreren Ebenen. Da sind einmal die Zahlen: Bis in das Jahr 2035 dürften unter dem Strich etwa sieben Millionen Beschäftigte den Arbeitsmarkt verlassen haben, wenn Zuwanderung und Erwerbsbeteiligung von Frauen nicht deutlich steigen. Das bedeutet Fachkräftemangel, der bereits heute ein Problem für das Wachstum der deutschen Wirtschaft ist. Eine alternde Gesellschaft wirkt sich darüber hinaus auf die Produktivität einer Volkswirtschaft aus; schließlich nehmen kognitive und physische Fähigkeiten ab – sie können häufig nicht vollständig durch Erfahrung ausgeglichen werden.
Klar ist: Der hiesige demografische Wandel wirkt potenziell als Wachstumsbremse und ist für die Sozialversicherungssysteme eine Herausforderung. „Diese Entwicklungen erfordern eine grundlegende Neuausrichtung des Geschäftsmodells der deutschen Volkswirtschaft“, schreibt Dr. Claus Michelsen, vfa-Geschäftsführer Wirtschaftspolitik, in der Veröffentlichung „MacroScope Pharma“. „Notwendig wird eine deutliche Steigerung der Produktivität, die durch höhere Investitionen unterstützt, insbesondere aber durch eine deutliche Steigerung der Wissensintensität in der Wertschöpfung erreicht werden kann.“
Pharmaindustrie: Branche mit der höchsten Forschungsintensität
Die Versuchung sei groß, die Innovationspolitik an den existierenden industriellen Strukturen auszurichten, heißt es in dem Papier weiter; in Deutschland sind das in erster Linie der Fahrzeug- und Maschinenbau und die metallverarbeitende Industrie. Allerdings macht es Sinn, sich nicht nur die Größe von Branchen anzuschauen. Vielmehr ist die Innovationsintensität ein wichtiger Parameter und die ist bei der Pharmaindustrie mit Abstand am größten: „Knapp ein Fünftel des Umsatzes wird in der pharmazeutischen Industrie in Forschung und Entwicklung (F&E) verwendet. In den ebenfalls Innovationsstarken Branchen der Automobilherstellung, EDV oder dem Maschinenbau sind es deutlich weniger.“
Dabei gilt als Faustregel: Je intensiver die Forschung, „desto geringer ist der Anteil investiver Innovationsausgaben, also der Mittel, die für den reinen Zukauf neuer Verfahren und Produkte aufgewendet werden. Branchen mit hoher Innovationsintensität betreiben daher in großem Umfang eigene Forschung und Entwicklung mit entsprechend hochqualifiziertem Personal“, schreibt Dr. Michaelsen. Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, muss die forschende Pharmaindustrie deshalb einen starken Fokus auf echte Produktinnovationen haben; die „reine Anpassung und inkrementelle Verbesserung existierender Lösungen“ reicht nicht aus. Ein Branchenvergleich zeigt: Bei der Automobilindustrie liegt der Umsatzanteil von „Nachahmerinnovationen“ bei rund 40 Prozent, denn die Zielsetzung von F&E ist eine andere: In der Automobilindustrie werden die Forschungskapazitäten in großem Umfang dazu genutzt, um bereits am Markt verfügbare Lösungen nachzuahmen oder diese inkrementell zu verbessern; sie dienen dem Erhalt und Ausbau von Marktanteilen. „In anderen innovationsintensiven Branchen ist dies deutlich anders gelagert. Beim F&E-intensivsten Wirtschaftszweig – der pharmazeutischen Industrie – beträgt der Anteil von ´Nachahmerinnovationen` rund zehn Prozent. Dort liegt der Fokus vielmehr auf der Entwicklung neuartiger Produkte.“
Ein Innovationsbooster für Hightech-Branchen
Um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu überwinden und die Wachstumsaussichten der Wirtschaft zu verbessern, empfiehlt das vfa-Papier einen „Innovations-Booster für Hightech-Branchen“. Dazu müssten die F&E-Ausgaben auf mindestens 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung (rund 125 Milliarden Euro jährlich) angehoben werden – momentan sind es etwas mehr als 3 Prozent. Ziel müsse es sein, den Hightech-Branchen ein deutlich größeres Gewicht zu geben. „Hierfür bedarf es allerdings einer konsequenten Politik zur Stärkung des Wissenschafts-, Gründungs- und Hightech-Standorts.“ Dazu gehört laut vfa eine international konkurrenzfähige Finanzierung öffentlicher Grundlagenforschung, eine moderne Dateninfrastruktur und Datennutzungspolitik sowie der Abbau von Bürokratie für private Forschungsvorhaben.
Für hochinnovative Industrien liegen die Herausforderungen vor allem darin, wichtige Trends in der Forschung und Entwicklung nicht zu verpassen. Dabei gelten die Durchbrüche im Bereich der mRNA-Technologie als deutsche Erfolgsgeschichte. Weitere grundlegende Durchbrüche seien zu erwarten – auch in anderen Bereichen der personalisierten Medizin, schreibt der vfa.
Den Wirtschaftsstandort zukunftsfest machen
„Für den Standort bieten diese Durchbrüche Chancen, um größere Anteile am global wachsenden Markt für innovative Therapien zu gewinnen.“ Andere Wirtschaftsräume hätten das bereits erkannt: So würden in den USA und China, aber auch in der Europäischen Union erhebliche Anstrengungen zur Stärkung der Innovationskraft dieser Branche unternommen. „Die USA haben erst jüngst ein milliardenschweres Programm zur Förderung der mRNA-Technologie angekündigt. China verfolgt schon seit vielen Jahren erfolgreich ein Programm zur Stärkung des Pharmastandorts mit dem Ziel einer weitgehend autarken Versorgung und globaler Marktführerschaft.“
Es gibt viel zu tun, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfest zu machen. Laut vfa muss der Weg dorthin vor allem durch einen „strukturellen Wandel hin zu einer deutlich wissensintensiveren Wertschöpfung gekennzeichnet sein.“