Impfen kostet. Die Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) haben im vergangenen Jahr rund eine Milliarde Euro für Impfstoffe aufgewendet. Das ist eine von über 180 Milliarden, die die GKV in Deutschland insgesamt ausgibt.1 Dabei zeigen Daten, dass höhere Investitionen in diese Primärprävention aktive Wirtschaftsförderung wäre. Denn nicht zu impfen, geht richtig ins Geld – aus schlechten Impfquoten können schnell hohe volkswirtschaftliche Belastungen werden.
Anfang März hatte das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsinstitut (RWI) die Kosten der diesjährigen Grippewelle auf 2,2 Milliarden Euro hochgerechnet. Das Bruttoinlandsprodukt könnte im ersten Quartal um 0,3 Prozentpunkte zurückgehen, so die Wirtschaftsforscher. „Die Influenza zählt zu den Krankheiten, die einen relativ großen wirtschaftlichen Effekt haben, weil sich viele Leute anstecken und sich viele Arbeitnehmer krankmelden. Es wird weniger konsumiert und produziert. All das belastet das BIP”, erklärte Torsten Schmidt, Konjunkturexperte des RWI in der Tageszeitung Die Welt. Hohe Impfraten könnten diesen Effekt dämpfen. Bei den Impfraten gegen die saisonale Grippe liegt die Bundesrepublik nur im Mittelfeld (s. Grafiken).
Aktives und gesundes Altern als Wachstumsstrategie
Prävention und hier insbesondere das Impfen hat also eine starke volkswirtschaftliche Komponente. Das gilt umso mehr für eine Gesellschaft, in der die Arbeitnehmer immer älter werden. Deshalb hat die Europäische Kommission die Innovationspartnerschaft „Aktives und gesundes Altern“ ins Leben gerufen. Ziel dieses Pilotprogramms ist es, die durchschnittliche Zahl der gesunden Lebensjahre der Europäer bis zum Jahr 2020 um zwei Jahre zu erhöhen. Dafür soll die Gesundheit und Lebensqualität insbesondere älterer Menschen verbessert werden – um die Nachhaltigkeit von Gesundheits- und Sozialsystemen zu gewährleisten.
Will Europa weltweit Wachstumsmotor sein, braucht es gesunde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb sitzen bei der Innovationspartnerschaft auch Impfstoffhersteller mit am Tisch. Und auch in Deutschland ist „Gesundes Altern“ ein Gesundheitsziel. Außerdem hat die Bundesregierung sich in den Koalitionsvertrag geschrieben, die Impfraten erhöhen zu wollen. Im vierten Anlauf doktern Gesundheitspolitiker am Entwurf eines Präventionsgesetzes herum. Auch volkswirtschaftlich betrachtet ist es überfällig.
Masern kosten
Experten sind sich schon lange einig: Es muss ein Schwenk von der kurativen zur präventiven Gesundheitspolitik erfolgen2. Dafür stellen Impfungen nicht nur ein wirksames, sondern auch ein kosteneffektives Instrument dar. Die folgenden Beispiele zeigen, dass es eben nicht nur um Gesundheit, sondern auch um eine gesunde Wirtschaft geht.
- Masern kosten, konstatiert die Weltgesundheitsorganisation. In Deutschland, so Schätzungen, schlägt ein Fall von Masern mit rund 520 Euro zu Buche. Bei einem Ausbruch in Duisburg im Jahr 2006 fehlten 311 Kinder insgesamt 2.854 Tage in der Schule – und 30 Erwachsene brachten es auf 301 Fehltage. Eine Studie mit Daten aus zehn europäischen Ländern zeigt, dass Mütter zwischen acht und 24 Stunden bei der Arbeit fehlen – schon bei unkomplizierten Krankheitsverläufen. In Italien taxierte man 2002/2003 die unmittelbar durch Masern entstandenen Kosten auf rund 20 Millionen Euro. Das entspricht ungefähr den Kosten von 1,9 Millionen Impfdosen, die Kinder nicht nur vor Masern, sondern auch vor Mumps und Röteln schützen würden.
- Das Influenza-Virus sorgt für volle Wartezimmer. In England konnte gezeigt werden, dass für jeden Euro, der in ein Grippe-Impfprogramm gesteckt wurde, 1,35 Euro durch die Vermeidung direkter und indirekter Krankheitskosten eingespart wurden3. Saisonale Influenzawellen verursachen in Deutschland jährlich zwischen einer Million und fünf Millionen zusätzliche Arztkonsultationen und etwa 5.000 bis 20.000 zusätzliche Krankenhauseinweisungen, so das Robert-Koch-Institut. Ein Erwerbstätiger mit Grippe, erscheint im Schnitt zwischen zwei und fünf Tage nicht zur Arbeit4: Die Grippe ist ein negativer Wirtschaftsfaktor.
- Das Alter ist Hauptrisikofaktor für das Entstehen einer Gürtelrose und ihrer Komplikationen. Die jährlichen Kosten dieser Krankheit werden hierzulande auf 182 Millionen Euro geschätzt. Sie werden aufgrund der Demografie noch steigen. Studien deuten außerdem darauf hin, dass Gürtelrose das Schlaganfallrisiko um 30 Prozent erhöht5. Es scheint also gut angelegtes Geld zu sein, dass sich das britische Gesundheitssystem zu einem umfassenden Impfprogramm für Senioren entschieden hat. In Deutschland spielt diese Impfung noch keine große Rolle.
- Hohe Krankenstände lassen auch Betriebe lahmen. 14 Tage fehlen Arbeitnehmer im Schnitt pro Jahr, so hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin für das Jahr 2012 vorgerechnet. Für die deutsche Wirtschaft sind das Produktionsausfälle von 53 Milliarden Euro – oder 1.431 Euro pro Arbeitnehmer. Auch der sogenannte Präsentismus wird zunehmend ein wirtschaftliches Problem. Damit sind Produktivitätsverluste durch Arbeitnehmer gemeint, die zwar zur Arbeit erscheinen, aber zu krank sind, um ihre Arbeit effektiv zu erledigen. Eine Studie von Strategy& beziffert diese zusätzlichen Kosten auf jährlich knapp 2.400 Euro pro Arbeitnehmer und Jahr. Somit belaufen sich die krankheitsbedingten Kosten pro Arbeitnehmer insgesamt auf mehr als 3.800 Euro jährlich. Fazit von Strategy&: Der demografische Wandel und der zunehmende Wettbewerb um Arbeitskräfte sind die wichtigsten Treiber für die steigende Bedeutung betrieblicher Gesundheitsvorsorge. Dazu kann auch das Angebot von innerbetrieblichen Impfangeboten gehören.
Es ist die große Leistung von Impfungen, dass sie Krankheiten vermeiden, bevor sie entstehen. Aber ihren tatsächlichen Wert zeigen sie erst in der gesamtgesellschaftlichen Betrachtung: Denn darüber hinaus verhindern sie Folgekomplikationen (z.B. Infektionen in Krankenhäusern), sie vermeiden Fehlzeiten von Patienten oder von Eltern, die auf ihre erkrankten Kleinen aufpassen müssen. Und sie leisten einen entscheidenden Beitrag dazu, dass Menschen egal welchen Alters länger produktiv sein können.
Quellen:
1 GKV-Spitzenverband: Kennzahlen der gesetzlichen Krankenversicherung, zuletzt aktualisiert: Dez. 2014, S. 16.
2 Annika Ahtonen: Healthy and active ageing: Turning the ‘silver’ economy into gold; European Policy Centre: Policy Brief, 12.03.2012, S. 3.
3 Scuffham P, West, P. Economic evaluation of strategies for the control and management of influenza in Europe. Vaccine 2002; 20:2562-78
4 Keech M, Beardsworth P. The impact of influenza on working days lost: a review of the literature. Pharmacoeconomics. 2008;26(11):911-24.
5 Kang JH, Ho JD, Chen YH et al. Increased risk of stroke after a Herpes zoster attack. A population-based follow-up study. Stroke 2009;40: 3443-8.