Jeder Krebstote ist einer zu viel. Über die „Vision Zero“ sprachen Fachleute auf einem hybriden Kongress in Berlin. Foto: Pharma Fakten.
Jeder Krebstote ist einer zu viel. Über die „Vision Zero“ sprachen Fachleute auf einem hybriden Kongress in Berlin. Foto: Pharma Fakten.

Vision Zero: Damit das Wort „Krebstod“ irgendwann Geschichte ist

Rund 140.000 Menschen sind in Deutschland durch COVID-19 gestorben. Die Zahl der Krebstoten ist in einem vergleichbaren Zeitraum dreimal so hoch – der öffentliche Aufschrei fehlt. Die Initiative „Vision Zero“ setzt sich dafür ein, dass die Zahl der vermeidbaren krebsbedingten Todesfälle gegen Null geht. Wie das gehen kann? Darüber sprachen Fachleute auf einem Kongress in Berlin.
Prof. Dr. C. von Kalle. Foto: Pharma Fakten
Prof. Dr. C. von Kalle. Foto: Pharma Fakten

„Müssen wir nicht endlich auch von einer Krebs-Pandemie sprechen“, fragte Onkologe Prof. Dr. Christof von Kalle, „und eine von allen Beteiligten gegen sie gerichtete Vision Zero entwickeln?“ Denn: „Jeder Krebstote – jeder – ist einer zu viel“, so Simone Day, die als Leiterin des Ressorts „Leben und Wissen“ bei der BILD in die hybride Veranstaltung einführte. Ihre Hoffnung: „dass das Wort Krebstod irgendwann Geschichte sein kann“. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg: Über 230.000 Menschen sterben pro Jahr hierzulande an einem bösartigen Tumor. Das müsste nicht sein – in vielen Fällen könnte die Gesellschaft Krebserkrankungen besser Einhalt gebieten als sie es aktuell tut.

Das zeigt das Beispiel Hautkrebs – „eine Volkskrankheit“, wie Prof. Dr. Dirk Schadendorf, Direktor der Klinik für Dermatologie am Uniklinikum Essen, sagte. Die Zahl der neuen Fälle steigt (s. Pharma Fakten) – allein beim sogenannten malignen Melanom um rund 84 Prozent in den vergangenen 20 Jahren. Aktuell geht es also eher weg von der „Zero“. Dabei sind alle Instrumente vorhanden, um zahlreiche Erkrankungen und Todesfälle zu vermeiden.

Mehr Prävention und Früherkennung gegen Hautkrebs

Als „ganz wichtiges Element“ sieht der Epidemiologe Prof. Dr. Alexander Katalinic die „Primärprävention“, die die Entstehung von Hautkrebs von vornherein verhindern soll. Stichwort: UV-Schutz – sei es etwa mit Sonnencremes, schützender Kleidung oder dem Verzicht auf Solarien. „Wir haben ein Umsetzungsproblem auf Bevölkerungsseite.“ Aus Sicht von Katharina Kaminski, Mitgründerin der Patientenorganisation „Melanom Info Deutschland“, müssten Bildungsorte wie Schulen verstärkt genutzt werden, um Informationen darüber zu verbreiten. „Die Prävention muss definitiv ins schulische Curriculum.“ Und es gilt, die Verhältnisse vor Ort zu verbessern – sodass zum Beispiel für die Kinder draußen genügend Schattenplätze zur Verfügung stehen.

Vision Zero Berlin Summit: Gemeinsam gegen Krebs. Die akzeptierte Opferzahl ist Null. 
Foto: Pharma Fakten.
Vision Zero Berlin Summit: Gemeinsam gegen Krebs. Die akzeptierte Opferzahl ist Null.
Foto: Pharma Fakten.

Luft nach oben ist auch bei der sogenannten „Sekundärprävention“: Dabei geht es darum, Hautkrebs mittels eines Screenings möglichst früh in einem heilbaren Stadium zu erkennen und schwere Verläufe und Todesfälle zu vermeiden. In Deutschland können alle gesetzlich Krankenversicherten ab 35 Jahren diese Untersuchung in Anspruch nehmen. „Das Hautkrebs-Screening kann wirken, hat aber diverse Defizite“, kritisierte Prof. Dr. Katalinic. Unter anderem ist es nicht systematisch genug organisiert – Einladungen werden nicht verschickt. „In der Bevölkerung kommt es nur unzureichend an“. Die Teilnahmerate liege bei 20 bis 30 Prozent: „viel zu niedrig“. Es „fehlen öffentlichkeitswirksame Aktivitäten“, die Aufmerksamkeit schaffen.

Patientenvertreterin Kaminski möchte einen „Neubeginn“: Das Screening solle sich nicht am Alter, sondern am persönlichen Risiko orientieren; die Anspruchsberechtigten sollten regelmäßig eingeladen, technische Innovationen wie Künstliche Intelligenz bei der Untersuchung hinzugezogen werden.

Großes Potenzial haben darüber hinaus digitale Technologien, wie Mediziner und Smart Health-Experte Dr. Titus Brinker deutlich machte. Er stellte die „Sunface“-App vor, die den Nutzer:innen anhand eines persönlichen Fotos aufzeigt, welche Schäden Sonne bzw. mangelnder UV-Schutz über die Zeit anrichten kann. Das Ziel: Bewusstsein erhöhen. „Die Message dieser App sollte unter anderem sein, dass Sonnenschutz besser wirkt als Botox. Sonnenschutz muss in Deutschland wieder sexy werden.“ 

Rote Karte dem Lungenkrebs

Unsexy sollte hingegen Tabakkonsum werden. Hämatoonkologe Prof. Dr. Jürgen Wolf weiß: „Lungenkrebs verursacht […] die meisten Krebstote“ – sowohl global als auch in Deutschland. „Aber das muss nicht so bleiben.“ 85 Prozent aller Lungenkrebsfälle könnten allein durch die Elimination von Tabakkonsum verhindert werden. Es sei „unbegreiflich, wie halbherzig unsere Politik gegen das unheilvolle Wirken der Tabakindustrie in Deutschland vorgeht. Eine Schachtel Zigaretten kostet bei uns 7 Euro. Es gibt viele europäische Länder, wo das bedeutend teurer ist“. Prof. Dr. Wolf will dem Lungenkrebs die „rote Karte“ zeigen: Ein „totales Werbeverbot für Tabakprodukte sollte selbstverständlich sein“. Und er fordert „einen Präventions-Euro pro Schachtel Zigaretten. Bei 72 Milliarden konsumierter Zigaretten pro Jahr in Deutschland stünden somit sofort 3,6 Milliarden Euro für Projekte zur Primärprävention, zur Früherkennung und zur genomischen Medizin zur Verfügung.“

Weiter führte er aus: „Es gibt nun überzeugende, große Studien, […] die zeigen, dass man Lungenkrebs-Todesfälle einsparen kann bei Rauchern durch eine Computertomographie-gestützte Früherkennung“.

Prof. Dr. Wolf. Foto: Pharma Fakten
Prof. Dr. Wolf. Foto: Pharma Fakten

An der Einführung so einer Untersuchung werde aktuell in Deutschland gearbeitet. Geht es nach Prof. Dr. Wolf sollten Programme der genomischen Medizin und Künstlichen Intelligenz „angedockt“ werden, um die Früherkennung präziser zu gestalten. Der Hintergrund: „Lungenkrebs ist nicht gleich Lungenkrebs, sondern besteht aus vielen molekular-definierten Untergruppen“. Wird eine dieser Untergruppen erkannt und zielgerichtet behandelt, „dann kann man für die Patienten, die früher mit der Chemotherapie nur ein mittleres Überleben von einem Jahr hatten, eine Überlebensverlängerung um Jahre herausholen, bei guter Lebensqualität“.

Bislang wird laut Dr. Anna Kron vom „Nationalen Netzwerk Genomische Medizin Lungenkrebs“ eine solche molekulare Testung zu selten durchgeführt. „Das führt zu einem Verlust von über 10.000 Lebensjahren pro Jahr, weil wir einfach zu wenig testen und somit auch nicht richtig behandeln.“

Vision Zero in der Onkologie: Viele Stellschrauben

Es gibt noch viele weitere Hürden, die der „Zero“ in der Onkologie bislang im Weg stehen: „Wir haben es geschafft, die Darmkrebsvorsorge in Deutschland so komplex und bürokratisch zu machen, dass man fast denken wollte, wir wollten die Bürger lieber davon abhalten, daran teilzunehmen“, erläuterte Onkologe von Kalle. „Es gelingt uns bis heute auch nicht, die hochwirksame Impfung gegen das krebsauslösende Humane Papillomvirus flächendeckend in die Akzeptanz zu bringen.“ 

Was notwendig ist? „Ein Grundkonsens bei allen Beteiligten, dass wir in der Medizin – speziell auch in der Onkologie – eine Zeitenwende im Sinne einer Vision Zero brauchen.“ Das Gesundheitssystem solle nicht länger „reine Reparatur-Werkstatt für schwer erkrankte Patienten“ sein, sondern die Erhaltung von Gesundheit in den Fokus rücken. Im Mittelpunkt stehen dabei im besten Fall die Bürger:innen: „individuell und persönlich – und nicht erst dann, wenn er oder sie Patient oder Patientin ist.“

Weitere Informationen zur Initiative Vision Zero e.V.www.vision-zero-oncology.de

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