Mediziner und Pfizer-Mann Dr. Christian Petrik brachte seine Corona-Erfahrungen auf den Punkt: „Ich sehe die Pandemie sehr ambivalent. Sie hat unter Patienten irrsinnigen Schaden hervorgerufen, wir hatten keine Medikamente, keine Impfstoffe, wir waren völlig hilflos. Retrospektiv bin ich jedoch begeistert darüber, wie schnell die Medizin, die Wissenschaft, die pharmazeutische Industrie konkrete Hilfe anbieten konnte – und das bei Projekten, die früher Jahre gebraucht haben.“ Für Pfizer steht deshalb außer Frage: Die gemachten Erfahrungen, die erkannten Defizite und das Momentum, mit dem die Pandemie gemanagt wurde, müssen jetzt in einen Reformprozess überführt werden. Dies war Thema des Symposiums „Corona Lessons Learned: Gemeinsam für ein patientenorientiertes Gesundheitssystem“.
Pfizer ist eines der wenigen Unternehmen, das zur Prävention und Therapie von COVID-19 Impfstoffe und ein antivirales Arzneimittel zur Verfügung stellen kann.
Ein Auto-Manager wirbelt das Gesundheitswesen durcheinander
Dass der Reformstau groß ist, ist auf dem HSK in diesem Jahr Konsens gewesen (s. Pharma Fakten). Manchmal hilft allerdings ein Blick von außen, um zu erkennen, was alles schiefläuft. So berichtete der ehemalige Auto-Manager Bernd Rosenbichler über seine Erfahrungen, als sein Sohn mit dem Alstöm-Syndrom diagnostiziert wurde – eine seltene, genetisch bedingte Erkrankung, für die keine kausale Therapie zur Verfügung steht. Er war auf sich allein gestellt, Wikipedia war seine erste Anlaufstelle.
Seitdem hat Rosenbichler viel bewegt. Aus dem Auto-Manager wurde ein Social Entrepreneur: Er hat eine Webseite aufgebaut, ist durch die Welt gereist, um die wenigen Expert:innen zu sprechen, die es zu Alström gibt; er will ein Ökosystem schaffen, in dem Menschen mit seltenen Erkrankungen eine Anlaufstelle finden, und er hat eine Petition gestartet. Sie fordert, alles dafür zu tun, damit die durchschnittliche Diagnosezeit, die sich bisher bei den „Seltenen“ auf rund 8 Jahre summieren kann, deutlich reduziert wird.
Als nächstes auf dem Zettel: Ein Patient:innen-Register, damit endlich mehr Licht ins Zwielicht der Dunkelziffer kommt. Und eine Patientenorganisation.
Er sagt: „Ich stehe einem System gegenüber, das mir nicht immer das Gefühl gibt, da geht was.“ Doch die Pandemie hat einiges geändert, findet er. „Plötzlich ist vieles möglich. Es ist eine Frage des Willens, der Priorität, auch der Effizienz.“
COVID-19-Pandemie: Plötzlich ging, was früher nicht ging
Für Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich von der Leopoldina ist die Art und Weise, wie das Gesundheitssystem gerade durch die erste Welle der Pandemie gekommen ist, ein großer Erfolg. „Es ist uns gelungen, die Versorgung von Patienten mit COVID-19 sicherzustellen. Welche Auswirkung diese Priorisierung von COVID-Patienten auf andere Patienten hat, werden wir noch analysieren müssen.“ Vorsorgeuntersuchungen wurden nicht wahrgenommen, Therapien nicht rechtzeitig durchgeführt. Aber auch sie betonte: „Für mich war es eine extrem positive Erfahrung zu sehen, wie auf einmal Dinge gingen, die vorher nicht gingen.“ Plötzlich spielten Pfründe keine Rolle mehr, Konkurrenzdenken wurde über Bord geworfen, Zusammenarbeit war das Gebot der Stunde.
„Was haben wir gelernt? Wir haben ein leistungsfähiges Gesundheitssystem, das eine solche Krise händeln kann. Aber wir haben auch Probleme erkannt.“ Prof. Dr. Grüters-Kieslich denkt dabei vor allem an die „sträflich vernachlässigte digitale Transformation“. Ein „weiter so wie vorher“ könne es nicht geben: „Wir wollen ein leistungsfähiges Gesundheitssystem, wir wollen ein solidarisches Gesundheitssystem, das niemanden zurücklässt, und ein gerechtes Gesundheitssystem. Und es soll wirtschaftlich tragfähig sein. Das ist eine Riesenaufgabe.“ Stationäre und ambulante Versorgung müssen aus ihrer Sicht besser miteinander vernetzt werden. Spezielle Zentren sollen die Hochleistungsmedizin vorhalten und Gesundheitszentren einen Schwerpunkt auf die Prävention setzen. „Damit könnten wir sehr viel erreichen für die Bezahlbarkeit eines Gesundheitssystems“, so die Wissenschaftlerin und Expertin für seltene Erkrankungen.
Wie sich das anfühlt, wenn man eine Krankheit hat, die nicht richtig diagnostizierbar ist, für die es keine spezifische Therapie gibt, von der man nicht weiß, was sie mit einem macht, und wo man hört, dass andere daran sterben – diese Erfahrung haben weltweit viele Millionen Menschen gerade im ersten Jahr der Pandemie gemacht. „Das ist das Gefühl, das Patienten oder die Eltern von Kindern mit seltenen Erkrankungen immer haben“, so Prof. Dr. Grüters-Kieslich. „Wir haben alle jetzt mal fühlen dürfen, wie es diesen Menschen geht.“ Sie hofft, dass das zu einem besseren Verständnis führt, damit Diagnose und Therapie bei seltenen Erkrankungen stärker unterstützt werden.
Whitepaper für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem
Für Politikberater Wolfgang Branoner muss die Pandemie Startschuss für die Entwicklung eines zukunftsfähigen Gesundheitssystems sein. Zusammen mit Pfizer und anderen Partnern ist ein „Whitepaper für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem“ entstanden, das insgesamt 7 Punkte aufzählt. Demnach muss unter anderem der Zugang zu Fachärzt:innen und die Versorgung der Patient:innen an der Schnittstelle zwischen Krankenhaus und Arztpraxen verbessert werden. Auch Branoner betonte die Notwendigkeit der Digitalisierung, um die Versorgung reibungsloser, effizienter und unter dem Strich besser zu gestalten. Doch: „Gesundheit ist kein Schwerpunktthema dieser Koalition. Das ist äußerst bedauerlich.“
Wird über das Gesundheitssystem diskutiert, dauert es nicht lange, bis das Thema Krankheitsvermeidung auf den Tisch kommt. „Das Gesundheitssystem ist bei uns nach wie vor falsch aufgestellt“, findet Dr. Petrik, Pfizer. „Wenn alle Akteure in die Prävention investieren würden, dann würde das erstmal Geld kosten. Aber die Einsparungen wären enorm.“ Und auch Prof. Dr. Grüters-Kieslich würde „alles auf die Karte Prävention setzen.“
Die eine Lesson Learned aus der Pandemie – mit diesem Konsens ging die Veranstaltung zu Ende – lautet: Es wird Zeit, dass sich was ändert.