Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

Nach langer Zeit wieder Medikamente

Vor nicht allzu langer Zeit war Tuberkulose (TB) für viele Menschen hierzulande eine Gefahr. Dank Antibiotika konnte die Krankheit erfolgreich zurückgedrängt werden. Doch mittlerweile sind TB-Patienten hierzulande wieder häufiger in Behandlung. Gefährlich wird dies, wenn die Symptome nicht richtig gedeutet werden oder Antibiotika-Resistenzen vorliegen. Einer der führenden TB-Forscher, Prof. Dr. Christoph Lange vom Forschungszentrum Borstel des Leibniz-Zentrums für Medizin und Biowissenschaften, schildert im Interview, wie eine effektive TB-Behandlung aussehen sollte.

Die Anzahl der TB-Erkrankungen ist zuletzt gestiegen. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Prof. Dr. Christoph Lange: Als Robert Koch im Jahr 1882 Bakterien als Verursacher der Tuberkulose identifizierte, war diese Krankheit eine häufige Todesursache von erwerbstätigen Erwachsenen in Deutschland. Das ist heute undenkbar. Während die Tuberkulose in vielen Teilen der Welt immer noch eine der bedeutendsten Erkrankungen ist, ist sie in Deutschland selten geworden. In Hochinzidenzländern, wie z.B. in Südafrika, erkranken jährlich 1% der Bevölkerung an einer Tuberkulose. In Deutschland sind es aktuell nur 0,005% Neuerkrankungen pro Jahr.

Wie ist die Situation aktuell in Deutschland?

Prof. Lange: Tuberkulose ist heute derartig selten, dass man Medizin studieren kann, ohne einen Patienten mit TB-Symptomen zu Gesicht zu bekommen. Das macht Diagnosen schwieriger. Junge Ärzte ohne Auslandserfahrung könnten oft die Krankheit mangels Erfahrung nicht sogleich erkennen.

Die Fallzahlen sind zuletzt gestiegen.

Prof. Lange: Erstmalig in unserer Geschichte sind im Jahr 2013 in unserem Land mehr im Ausland, als in Deutschland geborene Menschen an einer Tuberkulose erkrankt. Oft handelt es sich um jüngere Menschen aus Hochinzidenz-Ländern. Die Anzahl von Tuberkulose-Erkrankungen durch multiresistente Bakterien ist von 2012 auf 2013 von 68 auf 102 Fälle stark angestiegen. Im Grunde sind Bakterien, die TB verursachen, sehr träge. Gerade wenn es darum geht, Mutationen zu erzeugen, die zu Resistenzen führen können. Aus diesem Grunde wurde lange Zeit nicht mehr nach neuen Antibiotika geforscht.

In den letzten zehn Jahren konnten jedoch regional unterschiedliche TB-Stämme mit Multiresistenzen nachgewiesen werden. In Deutschland liegt ihr Anteil bei ca. 4 Prozent. In Moldawien bei ca. 40 und in Weißrussland bei 50 Prozent.  International hat die Zunahme multiresistenter Tuberkulosebakterien dramatische Auswirkungen.

Was sind die Folgen?

Prof. Lange: Die Folgen sind gravierend denn eine Therapie der multiresistenten Tuberkulose dauert mit 20 statt sechs Monaten deutlich länger. Auch sind die Heilungschancen deutlich schlechter.  Nach Angaben der Europäischen Gesundheitsbehörde für Infektionskrankheiten werden nur ca. 30 bis 40 Prozent der Patienten mit einer MDR-Tuberkulose in der EU geheilt.

Auch bei den Kosten schlägt sich dies nieder. Die Arzneien für eine normale Therapie kosten ca. 400 Euro, bei Multiresistenzen können die Ausgaben für Medikamente auf bis zu 90.000 Euro steigen. Bei rund 100 solcher Fälle in Deutschland spielt dies vielleicht keine große Rolle. In der Ukraine jedoch gibt es allein 10.000 TB-Patienten. Von ihnen haben 3.000 wegen des Konflikts in der Donbass-Region überhaupt keinen Zugang zu Medikamenten. Viele derjenigen, die nicht fliehen, müssen sterben.

Sie haben gesagt, es wurde lange nicht nach Antibiotika gegen Tuberkulose geforscht. Womit können diese Patienten jetzt behandelt werden?

Prof. Lange: Mit Bedaquilin und Delamanid gibt es seit 2014 nach langer Zeit wieder neue Medikamente, die bei multiresistenter Tuberkulose eingesetzt werden können. Bislang haben wir 15 Patienten  mit Bedaquilin behandelt. Als Kombinationstherapie eingesetzt, haben wir damit sehr gute Ergebnisse erzielt.

Wie lässt sich eine weitere Ausbreitung verhindern?

Prof. Lange: Am effektivsten wäre ein Impfstoff. Es gibt internationale Initiativen, eine neues Vakzin herzustellen. Doch bislang ist noch kein Ansatz vielversprechend. Im Gegenteil: Die Erkenntnisse jüngster Studien belegen, dass wir noch zu wenig über das Immunsystem verstehen.

Ein Schlüssel ist außerdem der effiziente Einsatz neuer Medikamente. Sie müssen so eingesetzt werden, dass möglichst keine neuen Mutationen entstehen. Denn unter den Patienten gibt es einige, die nicht gut behandelt werden. Wenn etwa die Arzneidosierung zu niedrig ist, könnten dadurch weitere Resistenzen entstehen. Der Ruf nach neuen Medikamenten bringt nur kurzfristig etwas, weil sich Mutationen immer schneller vollziehen. Wir brauchen einen vernünftigen Umgang mit innovativen Medikamenten.

Was würde die Therapien weiter verbessern?

Prof. Lange: Patienten sollten künftig individueller behandelt werden. Bei multiresistenter Tuberkulose heißt es derzeit pauschal: 20 Monate Therapie mit mindestens vier Medikamenten. Doch wahrscheinlich ist, dass eben niemand genau diese 20 Monate Therapie mit mindestens vier Medikamenten benötigt. Wir müssen hin zur Individual-Therapie und nicht eine Lösung für alles nehmen. Mit Hilfe der Molekular-Genetik könnte man die Wahl Therapie genauer bestimmen und mit Hilfe von Biomarkern die Dauer der Behandlung besser definieren. Daran arbeiten wir am Forschungszentrum Borstel intensiv zusammen mit Kolleginnen und Kollegen in einem internationalen Forschungsnetzwerk.

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