Die nächste Revolution für Diabetiker

Der Zucker hat die Industrienationen fest im Griff. Zwischen acht und zehn Prozent aller Menschen in Europa und den USA leiden an Diabetes. Auch in den Schwellenländern gibt es immer mehr Zuckerkranke. Viele von ihnen sind auf Insulin angewiesen. Während US-Forscher aktuell der nächsten Insulin-Generation auf der Spur sind, zweifelt eine Studie grundlegend den Fortschritt bei der Entwicklung von Insulinen an.

Messen, spritzen, essen – und wieder von vorne. Den Blutzuckerspiegel richtig einzustellen ist der tägliche Balanceakt für Millionen von Diabetes-Patienten. Forscher an der Universität Utah sind jetzt einem Insulin auf der Spur, das den Alltag der Zuckerkranken massiv erleichtern würde. Ihr Insulin ist glucose-sensitiv. Das bedeutet, es hat eine eingebaute Blutzuckermessung. Insulin wird nur ausgeschüttet, wenn der Blutzuckerspiegel erhöht ist. Bei Mäusen hat eine Injektion den Blutzuckerspiegel über 14 Stunden auf einem konstant guten Level gehalten. Beweist es auch in den klinischen Studien seine Wirksamkeit, könnte dieses erste „intelligente“ Insulin in etwa zwölf Jahren für alle Patienten verfügbar sein.

Erfolgsgeschichte oder Scheininnovation?

Diese Revolution in der Diabetes-Therapie wäre der nächste logische Schritt in einer kontinuierlichen Entwicklung, wie auch Diabetesexperte Prof. Dr. Hellmut Mehnert im Interview mit Pharma Fakten unterstreicht. Von der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität kommt jetzt jedoch Kritik an der Erfolgsgeschichte Insulin. „Warum gibt es kein generisches Insulin?“, fragen die Wissenschaftler. Ihre Antwort: Weil die Hersteller seit 90 Jahren nur minimale Änderungen am Insulin vornehmen und so immer wieder das Patent erneuern. Das Wort „Scheininnovation“ fällt nicht – aber es steht im Raum.

Dieser Schluss sei jedoch gänzlich falsch, betont Prof. Dr. Jochen Maas, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung beim Insulinhersteller Sanofi. „Die Änderungen am Insulinmolekül sehen tatsächlich ‚klein’ aus, haben aber weitreichende Folgen“, erläutert er. Letztendlich bestehe das Molekül aus 51 Aminosäuren und die Veränderungen nur weniger davon – ein bis zwei – würden ein anderes pharmakokinetisches Verhalten bewirken. Bei den jüngsten Entwicklungen wird das Insulin sogar gar nicht verändert. „Inhalatives Insulin ist kein neues Insulin, hat aber eine andere Zubereitung und daher auch ein völlig anderes Verhalten. Auch das erste ,potenziell intelligente’ Insulin wird kein neues Insulin sein, aber trotzdem maßgebliche Veränderungen für die Patienten mit sich bringen”, sagt Maas.

Insuline sind schwierig zu kopieren

Bleibt die Frage nach den Kosten für die älteren Insulin-Generationen. Die NPH-Insuline (humane Insuline mit Langzeitwirkung) der vormaligen Patentinhaber sind mittlerweile meist deutlich im Preis gesunken. Preiswerte Generika gibt es in diesem Bereich dennoch nicht. Das liegt an dem komplexen Aufbau des Insulinmoleküls, wie Dr. Katharina Thiele, Director Market Access & Public Affairs des Insulinherstellers Novo Nordisk, erläutert: „Die Besonderheiten langkettiger Proteine und die Komplexität des Produktionsprozesses machen es unmöglich, eine exakte Kopie eines Moleküls herzustellen. Daher wird in diesem Zusammenhang von ‚Biosimilars‘ gesprochen, während man aufbaugleiche chemisch synthetisierte kleine Moleküle als ‚Generika’ bezeichnet.“ Die Herstellung von Biosimilars ist deutlich kostenintensiver als von Generika, nur wenige Unternehmen verfügen über das nötige Know-how und die notwendigen Kapazitäten.

Für Deutschland hat die Frage nach generischem Insulin ohnehin kaum Bedeutung, da die Preise reguliert sind. „Die Erstattung von Humaninsulin ist seit Jahren durch Festbeträge geregelt, die gerade gesenkt wurden“, sagt Katharina Thiele. Und die modernen Insulinanaloga sind durch zwei G-BA-Beschlüsse für gesetzlich Versicherte mit Typ-2-Diabetes nur verordnungsfähig, wenn eine Kostengleichheit mit den entsprechenden Humaninsulinen besteht.“

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