Weckrufe gibt es genug – seit Jahren warnt die Weltgesundheitsorganisation vor einer Welt ohne Antibiotika. Nobelpreisträger Alexander Fleming, Erfinder des Penicillins, wies schon 1945 darauf hin, dass die unüberlegte Einnahme von Antibiotika diese letztlich unbrauchbar macht. Doch die Lernkurve der Weltgemeinschaft ist in dieser Hinsicht relativ flach: In den meisten Ländern Osteuropas beispielsweise sind Antibiotika bis heute rezeptfrei. Man kann sie in jeder Apotheke kaufen – wie Hustenbonbons.
Antibiotika gelten als einer der ganz großen Errungenschaften der Medizingeschichte. Um rund zehn Jahre soll die Lebenserwartung durch sie gestiegen sein. Sie nahmen Infektionskrankheiten den Schrecken. Aber im „Krieg der Bakterien“ verlieren sie immer mehr ihre Wirksamkeit. Die WHO rechnet im Jahr 2050 mit jährlich zehn Millionen Toten als Folge der AMR, der Antimicrobial Resistance.
Die Gründe sind schnell erzählt:
- Antibiotika werden als „Allzweckwaffe“ zu häufig und unreflektiert eingesetzt.
- Sie werden oft falsch eingenommen; d.h. entweder unterdosiert oder die Therapie wird zu früh abgebrochen oder es gibt Einnahmelücken.
- Die weltweit zunehmende Mobilität (Reisen, Flüchtlingsströme) bedeutet: Auch resistente Keime globalisieren sich.
- Der exzessive Einsatz von Antibiotika in der Tiermast fördert ebenfalls Resistenzen.
Die globale Bedrohung der Antibiotika-Resistenzen ist Thema auf dem Gipfel der großen Sieben in Elmau. Bundeskanzlerin Angela Merkel will erreichen, dass die führenden westlichen Industriestaaten die WHO im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen unterstützen. Weltweite Aktionspläne gibt es genug. Die der WHO und der Europäischen Union fordern die Regierungen auf, nationale Pläne zu entwerfen und umzusetzen. Sie sollen das Problembewusstsein stärken, aufklären, Infektionen vermeiden, Überwachungsprogramme etablieren und die Forschung stärken.
Denn ohne neue Antibiotika wird es nicht gehen. Forschung und Entwicklung antibakterieller Medikamente findet in zehn der großen Pharmaunternehmen statt – und in über 30 kleineren und mittleren Firmen. Und die Pipelines fangen an zu liefern: 2014 kamen zwei Breitband-Antibiotika und drei Medikamente gegen multiresistente Tuberkulose heraus. 2015 wurden bis dato drei weitere Antibiotika zugelassen. Für die Behandlung bakterieller Infektionen stehen heute rund 80 Medikamente aus 20 Klassen zur Verfügung.
Mehrere Maßnahmen verlängern Wirksamkeit von Antibiotika
In ihrer Rede anlässlich der Eröffnungssitzung der 68. Weltgesundheitsversammlung am 18. Mai 2015 erklärte Merkel: „Die pharmazeutische Industrie ist ein wichtiger Partner im Kampf gegen Krankheiten, aber sie kann auch nichts vollbringen, was durch Forschung nicht geschafft werden kann. Ich habe mir berichten lassen, wie schwierig es ist, neue Wirkstoffe für Antibiotika, die die alten ersetzen, zu erforschen.“
Deshalb muss an mehreren Stellschrauben gedreht werden. So sind die Möglichkeiten der Prävention noch lange nicht ausgeschöpft: Höhere Impfraten etwa gegen Grippe und Pneumokokken bei älteren Menschen sorgen nachweislich für weniger Krankenhauseinweisungen (wo krankenhausbedingte Infektionen drohen).
Aber schon die konsequente Umsetzung der Aktionspläne – u.a. mehr Aufklärung, weltweite Rezeptpflicht, Verbot von Antibiotika als Masthilfe – würde dazu beitragen, das angekündigte Antibiotika-Desaster zu vermeiden.
Staatliche Strategie gegen Resistenzen bei Antibiotika
Die Bundesregierung hat deshalb vor kurzem ihre Antibiotika-Resistenzstrategie (DART 2020) noch einmal überarbeitet. Sie will sowohl bei der Human- als auch der Veterinärmedizin ansetzen und sektorenübergreifend dazu beitragen, dass die Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika unterstützt sowie alternative Therapiemethoden und schnellere Testverfahren entwickelt werden. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat bei der Vorstellung von DART noch einmal klar gestellt, worum es geht: „Wenn Antibiotika nicht mehr wirken, drohen die Behandlungsmöglichkeiten in ein Vor-Penicillin-Zeitalter zurückzufallen, mit dramatischen Konsequenzen. Krankheiten, die heute gut heilbar sind, wie etwa eine Blasenentzündung oder auch eine entzündete Operationswunde können dann zu schweren Gesundheitsschäden führen.“