AMNOG-Schiedsstelle schiedst Insulin aus dem Markt

Wieder einmal hat sich die Schiedsstelle als Sackgasse erwiesen. Novo Nordisk hat sein Insulin Degludec vom Markt genommen.

Die Schiedsstelle soll es richten, wenn es hakt. Sie soll den Weg frei machen, wenn der Weg der Einigung verstopft ist. Denn schließlich wollte der Gesetzgeber, dass aktiv ein Weg gefunden wird, wenn pharmazeutischer Unternehmer und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) im ultimativen Clinch sind.

Soweit die Theorie. In der Praxis erweist sich die Schiedsstelle als Medikamenten-Tod – zumindest für deutsche Patienten. Von 21 Verfahren gab es 14 Schiedssprüche zu Produkten; in 6 Fällen einigten sich die Parteien vor Ende der Verhandlungen. Von den 14 geschiedsten Produkten ist heute noch eines zum Schiedsstellen-Preis auf dem Markt. 13 von 14 Produkte haben den deutschen Markt wieder verlassen – oder haben – in zwei Fällen – nach Abschluss doch noch bessere Preise erzielt. Sie sind heute in Deutschland verfügbar, weil sich die Kontrahenten nach gescheiterten Verhandlungen in der Schiedsstelle doch wieder an einen Tisch setzten. Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren. Offenbar wollte der GKV-SV diese zwei Arzneimittel letztlich doch im Markt halten.

Katastrophale Bilanz

Misst man Erfolg oder Misserfolg einer Schiedsstelle an den Verfahren, die sie einvernehmlich zu einer Lösung führt, ist die Bilanz der AMNOG-Schlichter eine Katastrophe. In rund 93 Prozent der abgeschlossenen Verfahren gelingt keine Schlichtung. Würden andere Schiedsstellen auch so arbeiten – man denke nur an Tarifverhandlungen – befände sich das gesamte Land wahrscheinlich seit 60 Jahren im Dauerstreik.

Einiges deutet darauf hin, dass sich die AMNOG-Schiedsstelle eher als Richter, denn als Schlichter versteht. Das sehen auch die Professoren Cassel und Ulrich in ihrem jüngsten Gutachten so: „Denn es kann nicht sein, dass die Schiedsstelle Erstattungsbeträge nach eigenem Gusto jenseits von Angebot und Nachfrage „ermittelt“, die – wie bereits geschehen – auch noch außerhalb der zuvor von den Konfliktparteien bereits zugestandenen Grenzen liegen.“ Die „alte“ Schiedsstelle unter Manfred Zipperer hatte z.B. in dem Fall eines Schmerzmittels den vom GKV-SV geforderten Rabatt von über 70 Prozent noch unterboten1.

Wer gerne pokert mag auch Schiedsstellenverfahren

Nun hat sich als jüngster „Schiedsstellen-Geschädigter“ das dänische Unternehmen Novo Nordisk zu einem Marktaustritt, dem so genannten Opt-Out, durchgerungen. In einer Pressemitteilung heißt es: “Wir sehen uns durch den Spruch der Schiedsstelle dazu gezwungen, der im Wesentlichen den Forderungen des GKV-Spitzenverbands entspricht und den künftigen Listenpreis auf die Höhe der Kosten einer Therapie mit Humaninsulin festgesetzt hat.” Was nichts anderes heißt, als dass ein Unternehmen ein neues Produkt im Jahre 2015 zu einem Preis eines Produktes aus den 80er Jahren anbieten soll.

Dem GKV-SV geht es offenbar um Preispoker. Dabei übt das AMNOG-Verfahren schon unabhängig von Schiedsstellen-Verfahren einen erheblichen Preisdruck aus. Dazu noch mal Cassel/Ulrich: „Wie stark der Preisdruck bereits durch das AMNOG geworden ist, zeigt sich daran, dass fast 90 % der bisherigen Erstattungsbeträge unterhalb des durchschnittlichen Preises der jeweiligen Präparate in den europäischen Vergleichsländern liegen und knapp 60 % sogar unterhalb ihres niedrigsten Preises.“2

Hoffnung auf die neu besetzte Schiedsstelle

Spätestens jetzt müssten bei der Politik alle Alarmglocken läuten. Wenn ein Unternehmen wie Novo Nordisk sein Produkt in einem der entwickeltsten Gesundheitssysteme der Welt vom Markt nimmt, ist das sicher keine Trotzreaktion. Es zeigt nur: Der reine Zahlenpoker findet jenseits jeglicher wirtschaftlicher Realität statt. Und die Versorgung der Patienten wird dadurch auch nicht besser.

 

Nun ruhen die Hoffnungen der Industrie auf der neubesetzten Schiedsstelle, die alle vier Jahre neu gewählt werden muss und die sich gerade formiert hat. Sie wird künftig von Professor Jürgen Wasem als Vorsitzenden und seinem Stellvertreter Herbert Rische geleitet. Aber schon die Bestallung der neuen Schiedsstelle zeigt, wie tief die Gräben sind. Weder für den Vorsitzenden noch für seinen Stellvertreter gab es eine Einigung; sie mussten per Losverfahren gewählt werden. Geloste Kandidaten sind nicht vier, sondern nur ein Jahr im Amt.
Der Poker über die Ausrichtung der Schiedsstelle geht also spätestens im kommenden Jahr weiter – und die Frage, ob eine Schiedsstelle sich als Schlichter versteht – also im Sinne beider Seiten zu einem für beide tragbaren Kompromiss kommen will – wird zu einem Glücksspiel.

Novo Nordisk wird übrigens sein neues Insulin erst nach einer Übergangszeit von drei Monaten aus dem Markt nehmen, um eine sichere Neueinstellung der rund 40.000 betroffenen Diabetiker gewährleisten zu können.

Quellen:

1 Prof. Dr. Dieter Cassel, Prof. Dr. Volker Ulrich: AMNOG auf dem ökonomischen Prüfstand. Gutachten für den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, Mai 2015, S. 98.

2 Ebd. S. V.

Verwandte Nachrichten

Anmeldung: Abo des Pharma Fakten-Newsletters

Ich möchte per E-Mail News von Pharma Fakten erhalten: