Das Magazin Kontraste hatte gefragt, warum die Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) keinen besseren Preis bei Arzneimitteln aushandeln – und dafür als Kronzeugen das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi aufgerufen – das Produkt, das als „1000-Dollar-am-Tag-Pille international Medienkarriere machte.
Und hier liegt das Hauptproblem des Beitrages. Man nehme ein einziges Produkt (eines von rund 100.000 in Deutschland zugelassenen Arzneimitteln) – ein einzigartiges dazu – und mache es zum Beweis dafür, dass
- die Republik einem Preisdiktat der internationalen Pharmakonzerne unterworfen ist,
- die Politik unfähig ist, Gesetze zu machen und gegebenenfalls zu reformieren
- die Krankenkassen aus purer Not aus dem Verhandlungsmonopol ihres Spitzenverbandes ausscheren und damit die Macht der Konzern weiter unterfüttern
- die Patienten leiden, weil die Industrie Gesetzeslücken „gnadenlos“ ausnützt.
Starker Tobak. Aber mal der Reihe nach:
Die Moderation beginnt mit der Aussage, die GKV gebe über 33 Milliarden Euro für Arzneimittel aus – Schuld daran seien die großen Pharmakonzerne. Richtig ist: Das sind die Gesamtkosten der GKV für Arzneimittel und deren Distribution. Soll heißen: Hier ist die Mehrwertsteuer enthalten, die der Staat kassiert (allein rund 5 Milliarden Euro). Er enthält die Ausgaben für Großhandel, das Apothekenhonorar und eben auch die Kosten der Arzneimittel. Laut Arzneiverordnungsreport (AVR) machen letztere 55,7 Prozent dieser Summe aus – knapp über die Hälfte. Ein bisschen genauer könnte es also schon sein, wenn man für diese gewaltigen Summen nur einen einzigen Schuldigen sucht.
Das AMNOG und die Folgen für die Preise
Seit Einführung des AMNOG ist es de facto mit der freien Preisbildung für neue Arzneimittel vorbei. Zwar darf der Hersteller den Preis im ersten Jahr nach Zulassung noch frei bestimmen – in einer freien Wirtschaft eigentlich nicht etwas, was man weiter betonen müsste. Aber dann beginnen die Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband. Wohin das führt, das hat gerade ein Gutachten der Professoren Cassel und Ulrich belegt. Sie haben nach vier Jahren AMNOG Bilanz gezogen: „Wie stark der Preisdruck bereits durch das AMNOG geworden ist, zeigt sich dran, dass fast 90 % der bisherigen Erstattungsbeträge unterhalb des durchschnittlichen Preises der jeweiligen Präparate in den europäischen Vergleichsländern liegen und knapp 60 % sogar unterhalb ihres niedrigsten Preises.“
Dass Sovaldi trotzdem viel Geld kostet, basiert auf zwei Gründen: Die medikamentöse Behandlung von Hepatitis C war schon immer aufwändig und deshalb teuer, weshalb die hinzugezogene Vergleichstherapie auch schon nicht auf niedrigem oder gar generischen Niveau lag. Und: Sovaldi ist eine Revolution in der Hepatitis C-Behandlung; etwas, was der Bericht von Kontraste zwar streift, aber eben nicht ausreichend honoriert. Denn Sovaldi und deren Nachfolgepräparate haben die Tür aufgestoßen für Heilungsraten, die vor ein paar Jahren noch undenkbar waren. Für viele Patienten, bei denen die alte Therapie entweder nicht anschlug oder die wegen der schweren Nebenwirkungen abgebrochen haben, ist das ein Meilenstein. Vor allem aber ist das Produkt aus den genannten Gründen ein Beispiel, das nicht als Beispiel zur Verallgemeinerung taugt. Und zwar gar nicht.
Der Preis von Innovationen
Richtig ist: Die Preisbildung von Arzneimitteln ist komplex und für die meisten Menschen undurchschaubar. Aber ein paar Determinanten gibt es dann doch: Zum Beispiel haben bei Innovationen die Herstellungskosten mit den letztlichen Produktkosten wenig zu tun. Die Herstellungskosten von Pillen liegen in der Tat oft in einem niedrigen Bereich – manchmal sind es nur Cents. Aber bezahlt wird bei einer Innovation weniger die Herstellung – der Preis richtet sich entscheidend nach dem Grad der Innovation. Um auf unser kleines, umstrittenes Beispiel zurück zu kommen: Wir bezahlen nicht das „Pulver“ aus dem die Tablette gepresst ist. Wir bezahlen vielmehr das Wissen darum, was dieses „Pulver“ auslöst. Wir bezahlen also für die Möglichkeit, eine fiese, eine schwer behandelbare Krankheit ausrotten zu können. Welchen Wert hat das? Hier scheiden sich die Geister.
Versprochen wird dem Zuschauer ein Beispiel, das „Ihnen die Schuhe ausziehen wird“. 53.566,53 Euro für eine Behandlung werden an der Kasse des Apothekers angezeigt – und das sei schon die Zahl nach Abzug von Rabatten. Das stimmt aber nur zum Teil. Denn erstens gehen noch einmal sieben Prozent für den Herstellerrabatt ab (der wird nicht über die Apotheke abgerechnet) und zweitens enthält die Summe – siehe oben – Mehrwertsteuer, sowie Honorare für Apotheke und Großhandel. Beim Hersteller landen also eher 40.000 Euro. Immer noch viel Geld – zugegeben.
Aber noch eine Zahl stimmt im Kontraste-Bericht nicht: Gilead habe mit Sovaldi 12 Milliarden Dollar Gewinn gemacht. Das ist aber der Gesamtgewinn des Unternehmens. Der weltweite Gesamtumsatz von Sovaldi betrug 2014 10,3 Milliarden Dollar. Liebe Pharmakritiker: Aus 10 Milliarden Umsatz 12 Milliarden Gewinn zu machen – das schafft auch diese Industrie nicht.
Es gibt kein Preismonopol der Industrie
Aus purer Not seien einige Kassen ausgeschert und hätten so ein Preismonopol des Herstellers ermöglicht, so der Bericht in Kontraste. Tatsächlich gab es aber bis 15. Mai dieses Jahres 72 abgeschlossene AMNOG-Preisverhandlungen. Bei keinem dieser Verfahren haben die Kassen vorab Rabattverträge geschlossen. Auch hier gilt eben: Das Beispiel Sovaldi passt nicht zur These.
Der Beitrag schließt mit der alten Forderung des GKV-Spitzenverbandes, den im AMNOG-Verfahren ausgehandelten Preis vom ersten Tag an gelten zu lassen – „der Patient würde natürlich von Tag eins profitieren.“ Die Hersteller weisen das zurück – sie könnten überhaupt nicht betriebswirtschaftlich kalkulieren, denn sie wissen ja nie, was am Ende herauskommt. Die Politik hat diese Forderung schon mehrfach zurückgewiesen.
Der Patient übrigens profitiert auch so vom ersten Tag an.