Wie gehen Ärzte damit um, wenn sie mit dem Vorwurf konfrontiert werden, sie seien käuflich, sobald sie von Pharmaunternehmen gesponserte Fortbildungen besuchen?
Prof. Dr. Dr. Gerd Geißlinger: Persönlich betrifft mich das nicht, weil ich nicht praktiziere und somit keine Arzneimittel verschreibe. Dennoch muss ich sagen: Man macht es sich sehr einfach, wenn man Ärzten generell Käuflichkeit unterstellt. Wer meint, dass durch ein Mittagessen oder eine Übernachtung in einem Mittelklassehotel das Verschreibungsverhalten beeinflusst wird, täuscht sich meiner Meinung nach. So, wie ich die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen kenne, sind sie sehr kritisch und würden Veranstaltungen, die darauf abzielen, ihr Verschreibungsverhalten zu beeinflussen, ohnehin meiden.
Warum schotten sich Ärzte nicht grundsätzlich von Pharmaunternehmen ab, um ausschließlich neutrale Informationen zu erhalten?
Prof. Geißlinger: Es wäre sicherlich nicht im Sinne der Patienten, wenn sich Mediziner von den Arzneimittelherstellern abschotten würden. Pharmaunternehmen sind meines Erachtens nicht nur für die Erforschung, die Produktion und den Vertrieb von Medikamenten zuständig, sondern haben auch eine ethische Verantwortung, über ihre Arzneimittel zu informieren. Bei neuen Präparaten haben sie anfangs die umfangreichsten Studiendaten. Letztlich kommt es darauf an, diese Informationen ausgewogen, transparent und wissenschaftlich korrekt darzustellen. Ein Arzt sollte unbeeinflusst von Werbung Zugang zu Studiendaten erhalten und daraus seine eigene Entscheidung fällen. Und meiner Erfahrung nach praktizieren die meisten Ärzte dies auch so.
Hat sich das Zertifizierungsverfahren der Ärztekammern bewährt oder müsste es Änderungen geben?
Prof. Geißlinger: Ich selbst bin Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von meet, eine Fortbildungsplattform, die Pfizer ins Leben gerufen hat, um Daten und Fakten zu Therapiemöglichkeiten produktneutral, unabhängig, transparent, aktuell und auf hohem wissenschaftlichen Niveau praktizierenden Ärztinnen und Ärzten zur Verfügung zu stellen. Unsere Kriterien werden aber wohl nicht von allen sonstigen ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen eingehalten. Von Ärztekammern wurden sie dennoch zertifiziert. Hier müssten die Ärztekammern strenger sein und auf die Einhaltung von derartigen Kriterien pochen.
Im Großen und Ganzen hat sich das System aber durchaus bewährt. Beurteilt werden im Vorhinein die eingereichten Unterlagen. Was hinterher stattfindet müsste aber noch besser überprüft werden. “Schiedsrichter” könnten im Auftrag der Ärztekammern unangemeldet Veranstaltungen besuchen, um zu überprüfen, ob bei den jeweiligen Veranstaltung tatsächlich alle Regeln eingehalten wurden.
Angenommen, die Industrie zöge sich mit ihrem Engagement zurück, welche Folgen hätte dies für ärztliche Fortbildungen?
Prof. Geißlinger: Wer sollte denn stattdessen Fortbildungsveranstaltungen organisieren und durchführen? Einige sagen: Das könnten doch komplett die Ärztekammern übernehmen. Ein Problem wäre dann aber, dass ein Organ gleichzeitig veranstalten und zertifizieren würde. Dann hätten wir keine Trennung, sondern eine Vermischung von Funktionen, was meines Erachtens nicht gut wäre.
Es ist ein Dilemma: Auf der einen Seite Unternehmen, die natürlich wirtschaftliche Interessen haben. Auf der anderen Seite die Ärzte. Wie lässt sich das auflösen?
Prof. Geißlinger: Dadurch, dass beide Seiten ein gemeinsames Ziel haben: Sie wollen für die Patienten die bestmögliche Versorgung. Dass Ärzte sich bei Verschreibungen einfach beeinflussen oder gar kaufen lassen – das halte ich insgesamt für abwegig. Nochmal, Ärzte wollen die bestmögliche Therapie für ihre Patienten und da ist ihnen egal, welche Firma die verordneten Arzneimittel vertreibt. Letztlich kommt es aber immer darauf an, dass klar wird, woher die Informationen, die Ärzte heranziehen, wenn es darum geht, welches Medikament sie verordnen stammen. Hier ist absolute Transparenz zu fordern.
Foto: Uniklinik Frankfurt