Stellt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in der frühen Nutzenbewertung keinen Zusatznutzen fest oder scheitern die Preisverhandlungen, so kann der Hersteller eine Kosten-Nutzen-Bewertung zur Feststellung eines angemessenen Preises beim G-BA in Auftrag geben. Vereinfacht wird gefragt, ob pro Kosteneinheit ein ausreichendes Maß an Nutzen generiert wird.
Wurde eine Kosten-Nutzen-Bewertung beantragt, hat der G-BA die Möglichkeit, diese an das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zu delegieren. Für die Nutzenbewertung und die Kosten-Nutzen-Bewertung hat das IQWiG eigene Methoden entwickelt. Danach wird die Effizienz einer neuen Arznei anhand der Kosten-Nutzen-Verhältnisse der bereits im jeweiligen Interventionsgebiet zugelassenen Therapien beurteilt.
Das Konzept der sogenannten Effizienzgrenze schreibt vor, dass ein neues Medikament kein schlechteres Kosten-Nutzen-Verhältnis ausweisen darf als die bereits verfügbaren Behandlungsalternativen. Prof. Dr. Oliver Schöffski, Leiter des Lehrstuhls für Gesundheitsmanagement an der Universität Erlangen-Nürnberg hat die zurzeit angewandten Methoden analysiert.
Die IQWiG-Methodik ist speziell unter Gesundheitsökonomen nicht unumstritten. Wieso wurde sie so umgesetzt, wie sie umgesetzt wurde?
Prof. Dr. Oliver Schöffski: Der Vorteil der Methodik ist sicherlich die Tatsache, dass sie sich öffentlich gut verkaufen lässt. Als das Konzept der Effizienzgrenze vorgestellt wurde, war die Öffentlichkeit begeistert – denn sie dachte intuitiv zu verstehen, was man ihr zeigte.
Ist das Konzept denn nicht so einfach und logisch?
Prof. Schöffski: Bei genauerem Hinsehen fallen wesentliche Probleme auf. So sieht das IQWiG zum Beispiel keine indikationsübergreifenden Vergleiche vor. Mit dieser Methodik kann man sagen, welche Diabetes-Therapie die effizienteste ist. Ob man das Geld jedoch besser in Nicht-Raucher-Programme stecken sollte als in die Behandlung von Diabetes, kann nicht abgeleitet werden.
Außerdem ist vor allem die Wahl der Perspektive ein Problem. Das IQWiG sieht die Analyse aus Sicht der Versicherungsgemeinschaft der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vor. Das klingt erst einmal logisch, heißt aber, dass primär lediglich die direkten medizinischen Kosten einer Behandlung berücksichtigt werden. Aus ökonomischer Sicht greift das jedoch zu kurz: Es müsste vielmehr eine gesellschaftliche Perspektive eingenommen werden. Schließlich führt eine bessere Gesundheit beispielsweise auch zu weniger Krankheitstagen von Arbeitnehmern und damit zu weniger Produktionsausfällen.
Was ist die Ursache dafür, dass Vergleiche über Indikationsgebiete hinweg nicht möglich sind?
Prof. Schöffski: Das hängt vor allem mit den verwendeten Nutzenmaßen zusammen. Je nach Indikationsgebiet werden nämlich indikationsspezifische Nutzenparameter – sogenannte patientenrelevante Endpunkte – untersucht. Nicht selten sind die Ergebnisse dieser Nutzenanalysen widersprüchlich: So kann ein Medikament beispielsweise die Sterblichkeit im Vergleich zu einer anderen Therapie verringern, gleichzeitig jedoch deutlich mehr Nebenwirkungen und eine schlechtere Lebensqualität bedeuten.
In anderen Ländern – zum Beispiel in Großbritannien – bedient man sich dagegen indikationsübergreifend einheitlicher Nutzenmaße. Diese verrechnen verschiedene Faktoren wie etwa Lebensqualität und Lebenszeit zu einem einzelnen Nutzwert. Das macht es möglich, die Effizienz einer bestimmten Krebstherapie mit der eines Mittels gegen Kopfschmerzen zu vergleichen. Auf Basis dieser Vergleiche lässt sich dann ermitteln, in welche Leistungen investiert werden sollte, um so denn Gesamtnutzen im Gesundheitssystem zu maximieren.
Gibt es weitere Unterschiede zu international etablierten Methoden?
Prof. Schöffski: Ja, das IQWiG hat eine zweistufige Vorgehensweise etabliert. Neue Medikamente werden hierzulande zunächst einer obligatorischen frühen Nutzenbewertung unterzogen. Erst im zweiten Schritt und auch nur optional folgt dann die Kosten-Nutzen-Bewertung. International ist dieser Ansatz eher ein Sonderweg. In der Regel findet die Untersuchung von Kosten und Nutzen in einem Abwasch statt. Das ergibt auch Sinn. Denn so kann man direkt erkennen, ob eine neue Therapie, die in der Nutzenbewertung womöglich keinen Zusatznutzen attestiert bekäme, vielleicht doch effizienter ist als andere im Markt befindliche Alternativen. Bei der Vorgehensweise des IQWiG haben Innovationen, die geringfügig schlechtere Ergebnisse liefern als bisherige Therapieoptionen, keinerlei Chance auf eine positive Bewertung. Selbst dann nicht, wenn sie sehr viel kostengünstiger wären. Aus ökonomischer Sicht müssten aber diese Maßnahmen als effizient gelten.
Ist das vom IQWiG geforderte Effizienzkriterium sinnvoll?
Prof. Schöffski: Damit eine neue Therapie nach Maßstäben des IQWiG effizient ist, muss sie ein mindestens so gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen wie die bereits verfügbaren Behandlungsalternativen – die Steigung der Effizienzgrenze muss also mindestens so hoch sein wie im letzten Teilstück. In der Vergangenheit waren wir allerdings immer bereit, eine geringere Steigung zu akzeptieren. Wir waren also bereit, für neue, bessere Therapien überproportional mehr zu bezahlen. Warum soll das jetzt plötzlich anders sein?
Können Sie das etwas veranschaulichen?
Prof. Schöffski: Dahinter steckt ein einfaches ökonomisches Gesetz: der abnehmende Grenzertrag. Die erste Therapie in einer Indikation bringt einen hohen Nutzen bei eher geringen Kosten. Die zweite Therapie wird nur noch weniger zusätzlichen Nutzen generieren, die zusätzlichen Kosten werden aber überproportional steigen. Generell wird es immer schwieriger für folgende Therapien noch bessere Ergebnisse zu erzielen und dies muss mit immer höheren Kosten bezahlt werden. Dass der IQWiG-Ansatz das so nicht akzeptiert, ist nur verständlich, wenn man die ganze Methodik lediglich als Vehikel zur Kostensenkung im Gesundheitswesen ansieht.
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