Mittlerweile sind mehrere Wirkstoffe für die Anwendung bei Ebola im Gespräch, die noch nicht am Menschen erprobt worden ist. Könnte dies eine Lösung auch für künftige Epidemien sein? Pharma Fakten hat dazu Stimmen aus verschiedenen Richtungen eingeholt.
Die Hilfsorganisation
Dr. Armand Sprecher, Epidemiologe, im Einsatz für „Ärzte ohne Grenzen“:
Für nicht zugelassene Medikamenten gelte: „Der Hauptstreitpunkt ist die Sicherheit. Wir wissen nicht, ob das Medikament die Patienten gefährdet und in welcher Form. Wenn Patienten als Reaktion auf die Behandlung in einem labilen Zustand sind, setzen wir sie vielleicht einer noch größeren Gefahr aus.“ Wenn man aber die überaus hohe Sterblichkeitsrate von Ebola in Betracht ziehe und über Wirkstoffe verfüge, bei denen man von einem relativ hohen Sicherheitsniveau ausgehen könne, „glaubt Ärzte ohne Grenzen, dass es sich um eine gute Option handeln könnte“.
„Ärzte ohne Grenzen ist sehr darum bemüht, dass die Patienten von einem der neuen Medikamente profitieren können. Wir hoffen, dass alle Hindernisse beseitigt werden, damit das auch passiert.“ Das betreffe sowohl die Produktion ausreichender Mengen, als auch die Zustimmung aller betroffenen Behörden. „Zu guter Letzt ist der Einsatz eines neuen Medikaments ohne eine äußerst detaillierte Dokumentation und Beobachtung der Patienten undenkbar. Das würde einen gesteigerten Personalbedarf in den Behandlungszentren nach sich ziehen.“ Dafür sei dringend zusätzliche Hilfe nötig.
Die Pharmaindustrie
Dr. Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung / Entwicklung / Innovation des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa):
„Medikamente sollen Menschen helfen und ihnen dabei möglichst wenig schaden. Um das zu gewährleisten, gehört zu ihrer Entwicklung verpflichtend eine mehrjährige Erprobung, erst im Labor und mit Tieren, dann Gesunden, dann Patienten; und erst danach entscheiden Zulassungsbehörden, ob das Präparat zur Verordnung allgemein freigegeben werden kann. Dies dient dem Schutz der Patienten und ist deshalb sinnvoll und allgemein anerkannt. Wichtig ist aber, dass in Härtefällen davon abgewichen werden kann; dass also Medikamente schon während der Erprobungsphase bei darauf angewiesenen Patienten eingesetzt werden können, auch außerhalb der ohnehin durchzuführenden Studien. Geht es um Leben und Tod oder die Gefahr bleibender Organschäden, und fehlen zugelassene Gegenmittel, ist so ein Notfall sicher gegeben. Unverzichtbar ist dann aber, dass Ärzte und Patienten vor der Anwendung individuell über die erhöhten Risiken der Anwendung eines Medikaments aufgeklärt werden, von dem wesentliche Sicherheitsaspekte noch nicht bekannt sind; und dass die Anwendung erst nach ausdrücklicher Zustimmung und unter anhaltender ärztlicher Aufsicht erfolgt.
In Deutschland erfolgt so eine vorzeitige Anwendung in der Regel im Rahmen von Härtefall-Programmen, die von den Herstellern auf Bitten von Ärzten organisiert und mit den Arzneimittelbehörden BfArM oder PEI abgestimmt werden. In der Regel werden Härtefallprogramme nur für Medikamente erwogen, die bereits erfolgreich erste Studien mit Patienten absolviert haben. Härtefallprogramme, bei denen Medikamente, die bisher noch gar nicht mit Menschen erprobt sind, mit voller therapeutischer Dosis zum Einsatz kommen, sind äußerst ungewöhnlich und auch mit sehr hohen Nebenwirkungs-Risiken behaftet.
So etwas würde man im Rahmen einer normalen Medikamentenentwicklung niemals tun. Da würde bei den ersten Studien mit Freiwilligen, in denen ein nur mit Tieren getestetes Medikament untersucht wird, stets mit einer extrem niedrigen Dosis begonnen, die man dann erst ganz allmählich steigert. Das dient der Sicherheit der Anwender.”
Der Forscher
Prof. Dr. Hans-Dieter Klenk vom Virologischen Institut der Philipps Universität in Marburg:
„Im Prinzip muss es Bedenken geben, wenn ein kaum erprobter Impfstoff an Menschen angewandt wird. Doch in dieser besonderen Situation, in der Ärzte Patienten haben, bei denen es bis zu 70 Prozent wahrscheinlich ist, dass sie sterben, darf es keine Frage geben, ob das Mittel verwendet wird. Zumal es offenbar wirkt.“
Ein ähnliches Vorgehen hält Klenk auch in Deutschland für möglich und verweist auf einen Präzedenzfall aus Hamburg. Am dortigen Tropeninstitut hatte sich im Jahr 2010 eine Forscherin an einer Kanüle mit einem Ebola-Virus verletzt. Vorsorglich wurde sie nach der eigenen Zustimmung ebenfalls mit einem experimentellen Wirkstoff behandelt. „Sie hat das damals gut vertragen“, sagt Klenk und ergänzt: „Das einzige Risiko sind die Nebenwirkungen. Da lässt sich nur spekulieren.“
Insgesamt geht Klenk davon aus, dass aus dem noch experimentellen Mittel künftig eine Arznei entwickelt werden kann, die Ebola letztlich heilen kann. „Zunächst jedoch beschäftigt uns die Frage, wer mit wirksamen Mitteln geimpft werden kann.“
Das Bundesgesundheitsministerium
„Der Einsatz eines nicht zugelassenen Arzneimittels in einem sogenannten Heilversuch oder ,compassionate use’ (§ 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG) ist [auch in Deutschland] möglich, es müsste aber zumindest eine klinische Prüfung begonnen sein. Dies ist beim Medikament ZMap, [das zurzeit in Westafrika eingesetzt wird], nach aktuellen Erkenntnissen nicht der Fall.“
Anwendung und Import zur Anwendung solcher Arzneien sind im Einzelfall (nach §73 Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes) grundsätzlich möglich. Da die Sicherheit und Wirksamkeit jeglicher experimenteller Behandlungsmöglichkeiten nicht erwiesen ist, wird ein solcher Behandlungsversuch durch den behandelnden Arzt nur im Ausnahmefall unternommen werden.
„Wenn die Voraussetzungen des AMG nicht vorliegen, ist ein Import oder Einzelimport nach AMG nicht zulässig. Ein Abweichen hiervon könnte nur noch im Wege der Notstandsregelung (§ 34 StGB) gerechtfertigt werden. Für den Fall gibt es keine Genehmigung. Der rechtfertigende Notstand ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz. In dem Fall ist jeder Beteiligte für sein Handeln selber verantwortlich und handelt straf- und haftungsrechtlich auf eigenes Risiko.“
„In Deutschland kann allerdings die Anwendung entsprechender, nicht zugelassener Arzneimittel unter den Voraussetzungen der Zivilschutzausnahmeverordnung erfolgen. Die AMG-Zivilschutzausnahmeverordnung (AMG-ZSAusnV) vom 17. Juni 2003 (BGBl. I S. 851) erlaubt die Beschaffung, die Bevorratung, die Verteilung und die Abgabe von Arzneimitteln für besondere Aufgaben in den Bereichen des Zivil- und Katastrophenschutzes, der Bundeswehr, der Bundespolizei sowie der Bereitschaftspolizeien der Länder abweichend von den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes.“
Verantwortlich für die Beschaffung und Abgabe – auch nicht zugelassener Arzneimittel – sind jeweils die zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden für die Bereiche des Zivil- und Katastrophenschutzes, die Bundeswehr, die Bundespolizei oder die Bereitschaftspolizeien der Länder. Die Behörden entscheiden hierbei in eigener Verantwortung. Insbesondere ist keine Genehmigung oder Freigabe einer weiteren Stelle, z.B. durch das BMG oder die Bundesoberbehörden, erforderlich. Das Verbringungsverbot des § 73 AMG findet in dem Fall keine Anwendung.
Die Beschaffung der Arzneimittel setzt nicht voraus, dass ein Zivil- oder Katastrophenschutzfall bereits tatsächlich eingetreten ist. Auch eine vorsorgliche Beschaffung ist zulässig. Die Beurteilung, ob, wann und in welchem Umfang eine Beschaffung erfolgen soll, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Stellen.