Die wichtigsten Thesen von Karl Lauterbach

Das neue Buch des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach ist erschienen. Pharma Fakten hat die wichtigsten Aussagen aus „Die Krebsindustrie - Wie eine Krankheit Deutschland erobert“ zusammengefasst.
  • Deutschland steht vor einer Krebs-Epidemie. Von der Babyboomer-Generation wird jeder zweite an Krebs erkranken. Eine komplett krebsfreie Familie wird in Zukunft eher die Ausnahme sein. Der Hauptgrund dafür: Die hohe Lebenserwartung.
  • Auf Deutschland rollt deshalb eine Kostenlawine zu. Einmal wegen der indirekten Kosten von Krebs (Arbeitsausfälle etc.). Aber auch wegen der Kosten der Therapien: „Die Therapie von Krebs wird in den nächsten Jahren dramatisch teurer werden, weil wir zurzeit in diesem Bereich eine wahre Revolution erleben: den Übergang von der klassischen Chemotherapie zur sogenannten gezielten Therapie.
  • Die Kosten der Krebsbehandlung nehmen auch deshalb zu, weil andere Krankheiten besser behandelt werden können. Die simple Logik dahinter: Nur wer einen Herzinfarkt überlebt, kann auch Krebs bekommen.
  • Keiner Krankheit widmen Forschung und Industrie mehr Aufmerksamkeit. Bei keiner Krankheit hat es in den vergangenen Jahrzehnten größere Erkenntnisgewinne gegeben.
  • Während das Wissen um Krebs stark gestiegen ist, sieht Lauterbach doch nur bescheidenen Fortschritt; z.B. bei der nur geringfügig gestiegenen Lebenserwartung beim Bauchspeicheldrüsenkrebs. Insgesamt erfüllen unterm Strich weder die Tyrosinkinaseinhibitoren noch die Antikörper die in sie gesetzte Hoffnung – die hohen Kosten sieht er vor dem Hintergrund der Ergebnisse als problematisch an.
  • Es wird in den nächsten Jahren eine regelrechte Krebsindustrie entstehen, die so notwendig ist, wie sie auch anfällig sein wird für Manipulation und Korruption, so Lauterbach. Sie ist das Ergebnis einer strategischen Kehrtwende der pharmazeutischen Industrie von den Herz-Kreislauf-Erkrankungen hin zur Onkologie, die Grundlagenforschung vernachlässige, mit dem Ziel, „schnell neue gezielte Therapien zu entwickeln.“
  • Am Beispiel Imatinib, eine der ersten gezielten Therapieoptionen (targeted therapies), zeichnet Lauterbach das Spannungsfeld nach: Auf der einen Seite beklagt er die „Profitmache“ des Herstellers – auf der anderen Seite heißt es: „Natürlich ist Imatinib (Glivec) dennoch für viele CML-Patienten ein gigantischer Segen. Ohne das Medikament wären selbst an diesem seltenen Krebs Tausende Patienten gestorben.“ Und weiter: „…wären alle gezielten Therapien so aussichtsreich wie Imatinib (Glivec), würde das bedeuten, dass acht von zehn Krebsfällen geheilt werden könnten!“
  • Die Checkpoint-Inhibitoren (PD-1-Hemmer) – man geht davon aus, dass sie künftig bei bis zu 60 Prozent aller Krebsarten eingesetzt werden – sieht der SPD-Politiker als Hauptgrund dafür, dass die Kosten der Krebsbehandlung in den nächsten Jahren explodieren werden. Auf der Immunonkologie ruhen große Hoffnungen: „Vielleicht ergibt sich durch die gezielte Kombination der beiden Verfahren, Tyrosinkinase-Hemmer plus Immuntherapie, eine dauerhafte Heilung für viele Krebsarten.“

Lauterbach beschuldigt Pharmaindustrie

Das Fazit Lauterbachs aus den vergangenen 30 Jahren Krebsforschung:

  • Es sind immer schnellere Fortschritte zu beobachten: „Somit kündigt sich die teuerste, aber medizinisch auch spannendste Phase der Krebstherapie ausgerechnet in jener Zeit an, in der die größte Patientengruppe der Geschichte erkranken wird.“

Für eine unkontrolliert wuchernde Krebsindustrie hat der SPD-Politiker vor allem die Pharmaindustrie als Schuldigen ausgemacht:

  • Die hohen Preise stünden in keinem Verhältnis zu ihrem Nutzen.
  • Die hohen Forschungskosten als Begründung für hohe Preise seien in Wahrheit gar nicht so hoch wie behauptet.
  • Wenige große Firmen verschafften sich de facto ein Monopol, da nur sie über ausreichend Geld, Kontakte und Erfahrungen verfügten, um Krebsstudien schnell durchzuführen.

Die Gesamtausgaben für Krebs lassen sich folgendermaßen aufgliedern:

  • 40 Prozent der Kosten entfallen auf medizinische Behandlung. Die Hälfte davon sind Krankenhauskosten, ein Viertel Arzneimittelkosten, ein weiteres Viertel sind die Kosten für ambulante und Notfallversorgung. Sechzig Prozent der Krebskosten entstehen durch Produktivitätsverluste.

Auch die Politik sieht Lauterbach gefordert; die Struktur der Krebsbehandlung stehe vor einer dreifachen Herausforderung:

  • Regional stehen immer weniger Ärzte und Pflegekräfte zur Verfügung.
  • Die Zahl der Fälle steigt
  • Die Behandlung wird immer komplizierter und teurer.

Um sich aus dem „Würgegriff der Industrie“ zu befreien, fordert Karl Lauterbach:

  • Studien, die untersuchen, ob die in den Kliniken eingesetzten Arzneimittel tatsächlich den Nutzen bringen, den sie versprechen;
  • den Aufbau eines flächendeckenden Krebsregisters;
  • öffentliche Gelder für Studien, die die langfristige Wirkung der Behandlung untersuchen.

Lauterbach prognostiziert Zwei-Klassen-Medizin bei Krebsbehandlungen

Der SPD-Politiker erwartet gerade in der Behandlung von Krebspatienten die Entwicklung einer Zwei-Klassen-Medizin: Schon weil die Behandlungen immer komplexer werden, müssen sie zunehmend von hochspezialisierten Zentren durchgeführt werden. Er erwartet, dass nur Privatversicherte dazu einen gesicherten Zugang haben werden – und fordert deshalb die Einführung einer Bürgerversicherung.

Die Politik sieht Lauterbach bei der Preisregulierung stärker gefordert als bisher. Das AMNOG sei zwar der richtige Schritt in die richtige Richtung, reiche aber nicht aus. „Zum einen lohnt es sich für den Hersteller, das Arzneimittel sehr teuer auf den Markt zu drücken, da die Kassen zu Anfang wie gesagt jeden Preis bezahlen müssen. Gleichzeitig können die Hersteller die eigentliche Bewertung und die dann folgende Preisverhandlung mit Verzögerungstaktiken und Widersprüchen in die Länge ziehen.“ Die Hersteller legten unvollständige Daten vor. Sein Fazit: Das AMNOG ist auf die Spezifika gar nicht vorbereitet, was insbesondere auch für die Bewertung der PD-1-Hemmer gelte.

Meiste Krebsarten laut Lauterbach in nächsten Jahren heilbar

Für besser und transparenter hält er das Arbeiten mit Kosten-Nutzen-Relationen, in dem Kosten pro Lebensjahr mit guter Lebensqualität (QALY) berechnet würden. Problematisch sei aber, dass die Selbstverwaltung einen Schwellenbetrag festsetzen müsste, der aber nicht mehr bezahlt werden würde. Lauterbach hält das nicht für politisch durchsetzbar.

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag fordert höhere Anforderungen an die Zulassung von gezielten Therapien. Er lehnt die beschleunigten Verfahren ab und fordert größere Patientenpopulationen.

Lauterbach wagt die Prognose, dass die meisten der heute tödlich verlaufenden Krebserkrankungen in den kommenden Jahrzehnten geheilt oder zumindest kontrolliert werden können.

Karl Lauterbach: Die Krebs-Industrie. Rowohlt. 288 Seiten, 19,95 Euro

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