SPD-Politiker bei Markus Lanz – Einspruch, Herr Lauterbach!

Die PR-Offensive des SPD-Gesundheitspolitikers Karl Lauterbach ist auf Hochtouren: Mit seinem Buch „Die Krebsindustrie“ ist er derzeit häufig in TV-Sendungen zu Gast und gefragter Interviewpartner diverser Print-Publikationen. Einige Fakten zur Krebsforschung bleiben jedoch stets unerwähnt.

Auch bei TV-Talker Markus Lanz hat der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sein Buch vorgestellt – kritische Nachfragen gab es keine. Es war der vorläufige Höhepunkt einer PR-Kampagne, deren eigentliches Thema lauten könnte: Wie böse ist sie wirklich, die Pharmaindustrie?

Dabei ist Lauterbachs Verdienst, das Thema Krebs auf diese Art auf die Agenda gehoben zu haben. Thesen wie „Bald erkrankt jeder zweite an Krebs“, die damit verbundene Erklärung, dass das in erster Linie ein Resultat einer immer noch steigenden Lebenserwartung ist, sowie die Perspektive einer nun in das „Krebsgefahrenalter“ hineinwachsenden Babyboomer-Generation zeigen die Herausforderung auf, vor der unsere Gesellschaften stehen. Aber auch das gehört zur Geschichte: Lauterbach erwartet bei Krebs das gleiche „Heilungsphänomen“ wie bei HIV – nämlich das einer in wenigen Jahrzehnten heilbaren oder kontrollierbaren Erkrankung.

Die Aufgabe: Krebs heilen bzw. kontrollieren

Man könnte es auch so sehen: Offenbar sind steigende Krebserkrankungen die Folge eines sensationell erfolgreichen Medizin-Betriebes, der Krankheiten zurückgedrängt hat, die dazu führen, dass wir überhaupt erst ins „Krebsgefahrenalter“ vorstoßen. Das Spannende dabei ist: Es gibt mehr als nur Anzeichen dafür, dass sich die Erfolge dieses Medizin-Betriebes auch beim Thema Krebs wiederholen könnten.

Wenn da nicht dieser „Skandal“ (Lanz) wäre. Der Skandal, dass die neuen zielgerichteten Therapien bis zu 150.000 Euro kosteten, aber oft gerade mal zwei bis drei Monate Lebenszeit brächten. Die pharmazeutische Industrie verdiene damit ein „unglaubliches Geld“ mit „sündhaft teuren Medikamenten“ (wieder Lanz), diese „könnten aber viel billiger auf dem Markt sein“ (Lauterbach). Das Argument hoher Forschungskosten lässt der SPD-Politiker nicht gelten, denn die Grundlagenforschung fände nur in amerikanischen Eliteuniversitäten statt – und nicht in der Industrie. Diese bringe dafür lediglich 2 bis 300 Millionen auf statt der angegebenen 1,3 Milliarden Dollar. Was hier fehlt: Grundlagenforschung ist das eine; die Kosten für die klinischen Studien werden elegant heruntergespielt. Das sind aber gerade die, die ins Geld gehen – und für die die Industrie – auch das ist ein Eindruck, der im Kopf des Zuschauers entstehen musste – in der Regel keine öffentlichen Gelder erhält, sondern sie selbst finanziert.

Erfolgsrezept: Grundlagenforschung plus angewandte Forschung

Grundlagenforschung allein aber generiert keine Medikamente. Es ist das Ineinandergreifen von Grundlagen- und angewandter Forschung, das dafür sorgt, dass aus wissenschaftlichen Erkenntnissen Medikamente mit Nutzwert werden, die beim Patienten ankommen. Auf die Organisationsebene gebracht heißt das: Die wissenschaftlichen Zentren brauchen die hochspezialisierten Labore der Industrie genauso wie umgekehrt: Grundlagenforschung liefert die Ideen für neue Optionen. Von einem Medikament ist das erstmal weit entfernt.

Im Fernsehsessel versunken fällt dem aufmerksamen Zuschauer auf, was dem Moderator keine Nachfrage wert ist: Auf der einen Seite bringen die zielgerichteten Therapien nicht viel, auf der anderen Seite wird Krebs in naher Zukunft heilbar oder kontrollierbar sein. Deshalb gerät in dem ZDF-Talk unter die Räder, was sicher ein Teil der Geschichte ist: Die „Krebsindustrie“ ist jetzt schon sehr erfolgreich. Dass wir über solche positiven Szenarien von Kontrolle und Heilung nachdenken können, ist eben auch das Verdienst der vor allem in den vergangenen Jahren auf den Markt gekommenen neuen Therapien.

Entwicklung der Fünf-Jahres-Überlebensraten bei Krebs

Das zeigt ein Blick in die Entwicklung der Fünf-Jahres-Überlebensraten bei Krebserkrankungen, die das Robert-Koch-Institut erfasst hat: Nur 7 Prozent der Männer mit Lungenkrebs lebten Anfang der 70er Jahre nach fünf Jahren noch, 2010 waren es mit 16 Prozent mehr als doppelt so viel. Bei der Leukämie haben sich die Chancen bei Männern um über 200 Prozent erhöht. Besonders auffallend der Erfolg beim Melanom: 38 Prozent Überlebensrate in den 70er Jahren stehen erstaunliche 89 Prozent in 2010 gegenüber. Auch die Frauen profitieren natürlich: Die Überlebenswahrscheinlichkeit beträgt nun 81 Prozent beim Gebärmutterhalskrebs (Steigerung um 12,5 Prozent), beim Melanom sind sie um über 60 Prozent gestiegen.

  • Fazit Nummer 1: Die Krebsindustrie hat noch viel zu tun. Denn wer will sich mit Überlebensraten zufriedenstellen, bei denen – Beispiel Lungenkrebs bei Frauen – nach fünf Jahren vier von fünf Frauen tot sind?
  • Fazit Nummer 2: Die Krebsindustrie hat bereits großartige Erfolge vorzuweisen. Die sind das Ergebnis von hervorragender Forschung, besseren Operationsmöglichkeiten, hochwertigeren Diagnoseverfahren und intelligenteren Medikamenten. Was ist dann erst möglich, wenn die Chancen der Immunonkologie greifen, deren erste Kandidaten nun zugelassen sind?

Bleibt die Frage: Was dürfen diese Medikamente kosten? Diese Frage ist eigentlich nur zu beantworten, wenn man sich anschaut, was man dafür erhält. Diesen qualitätsorientierten Ansatz – also die Frage: Was gewinne ich bei dem Einsatz einer bestimmen medizinischen Intervention an „qualitätsorientierten Lebensjahren“ (QALY) – haben Gesundheitsökonomen vor kurzem versucht: Demnach gibt es offenbar eine Korrelation zwischen hohen Ausgaben für Krebsbehandlungen und sinkenden Todesraten. Am Ende könnte sich herausstellen, dass 150.000 Euro für ein Medikament ein sehr intelligentes Investment war.

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